Cécile de France:"Frauen sind noch lange nicht frei"

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Cécile de France, "Frauen sind noch lange nicht frei" (Video: Alamode)

Cécile de France spielt im neuen Kinofilm "La belle saison" zum wiederholten Mal eine lesbische Frau. Die Nacktszenen dienen aus ihrer Sicht der Sache.

Interview von Paul Katzenberger

Dem neuen Kinodrama "La belle saison" der französischen Filmregisseurin Catherine Corsini gibt sie das bekannte Gesicht: Die belgische Schauspielerin Cécile de France spielt darin die Frauenrechtsaktivistin Carole, die in Paris im Tumult der Siebzigerjahre auf Bauerstochter Delphine trifft, gespielt von Izïa Higelin. Die zwei verlieben sich und bewirtschaften gemeinsam Delphines elterlichen Hof, was zum Problem wird. Denn noch ist die Zeit nicht reif, um auf dem Land offen eine gleichgeschlechtliche Liebe zu leben. Corsini, Jahrgang 1956, verarbeitete in dem Film eigene Erfahrungen, die für die knapp zwanzig Jahre jüngere Cécile de France einen großen Erfahrungsschatz boten.

SZ.de: Frau de France, "La belle saison" ist schon der vierte Film, in dem Sie eine lesbische Frau spielen. Woher kommt Ihre Affinität zu dieser Rolle?

Cécile de France: Dazu muss ich eines klarstellen: Als mir Catherine Corsini die Rolle anbot, war ich in meiner ersten Reaktion sehr ablehnend. Ich sagt zu ihr: 'Schon wieder eine lesbische Frau darstellen - das wird mir zu viel.' Denn in der Tat hatte ich schon in "L'auberge espagnole", in "High Tension" und in "Sœur Sourire" jeweils eine Lesbe gespielt. Ich wollte nicht darauf festgelegt werden, nur noch diese Figur darzustellen.

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Was hat Sie umdenken lassen?

Die Lektüre des Drehbuchs. Ich war restlos begeistert davon und verliebte mich auf Anhieb in die Rolle. Denn das Thema geht mir sehr nahe: der Kampf der Frauen um ihre Rechte in den Siebzigerjahren, in dieser Zeit des Aufbruchs. Also sagte ich mit Freuden und mit großen Erwartungen zu. Auch, weil Catherine in dem Film ihre eigene Lebensgeschichte erzählt. Ich war beeindruckt von ihrer Aufrichtigkeit und ihrer tiefen Emotionalität.

Die Carole, die sie im Film spielen, ist in Wirklichkeit also Catherine Corsini?

Nicht ausschließlich. Auch die Figur der Delphine beruht auf der Biografie Catherines. Die zwei Frauen verkörpern die verschiedenen Gefühlslagen, die für Catherine prägend waren: Carole ist die mutige Tabubrecherin, während es für Delphine viel schwieriger ist, sich nach außen zu ihrer Homosexualität zu bekennen, vor allem gegenüber ihrer Mutter.

Was bedeuten die Siebzigerjahre für Sie?

Der Gedanke an diese Zeit stimmt mich nostalgisch - wegen all der damaligen Energie, der Freude, der Dynamik und dem Mut. Die Feministinnen dieser Zeit waren ungeheuer tapfer. Sie kämpften mit aller Konsequenz und mit allen damit verbundenen Risiken für ihre Rechte, für die Emanzipation, für das Recht auf Abtreibung und die Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Diesen Elan gibt es nicht mehr, heute erscheint mir die Verzagtheit viel größer zu sein.

Es stimmt sicher, dass der Idealismus damals viel größer war als heute. Andererseits war die Akzeptanz alternativer Lebensentwürfe noch viel geringer. Zum Beispiel ist es inzwischen leichter, offen homosexuell zu leben. In Deutschland hat sich da in den vergangenen 15 Jahren viel verändert. Wie ist das in Belgien?

In Belgien können Homosexuelle schon lange heiraten. In Frankreich ist das erst seit Kurzem möglich ( in Belgien seit 2002, in Frankreich seit 2013; Anm. d. Red.). Im Kino wird das Thema Homosexualität viel stärker aufgegriffen als früher. Trotzdem ist der Weg zur Gleichberechtigung noch lang. Wir sind da noch längst nicht am Ende angekommen, wenn ich zum Beispiel an das gesellschaftliche Bild der Frau denke.

Cécile de France: "Der Weg zur Gleichberechtigung ist noch lang." (Foto: AFP)

Was meinen Sie damit?

Die Konsumgesellschaft fasst Frauen vor allem als Objekte auf. In der Öffentlichkeit und in den Medien werden Frauen oft auf das Äußere reduziert und einem Diktat der Schönheit unterworfen. Frauen sind daher noch lange nicht frei. Die feministische Carole der Siebzigerjahre, die ich im Film spiele, war da schon viel weiter. Sie bestimmte selbst, was mit ihrem Leib geschieht, Stichwort Körperbehaarung, oder die Art und Weise, wie sie sich kleidet. Die heutigen Frauen entscheiden nicht selbst, welches Bild sie nach außen abgeben wollen. Der Feminismus hat viel erreicht, das stimmt. Doch der Kampf geht weiter.

"La belle saison" feierte im vergangenen Jahr beim Filmfestival in Locarno Premiere. Von der Kritik bekamen Sie und Izïa Higelin damals viel Lob für die natürliche und ungezwungene Darstellung des lesbischen Liebespaares. Wie ist Ihnen das gelungen? Sie sind ja beide nicht lesbisch.

Uns beiden war klar, dass wir das mit derselben Aufrichtigkeit spielen müssen, als wären wir in einer heterosexuellen Beziehung. Außerdem hat uns Catherine sehr geholfen, ein Verständnis dafür zu entwickeln, wie wir das möglichst offen und ehrlich darstellen können.

Wie fühlt es sich für Sie jetzt an, wenn Sie die freizügigen Liebesszenen auf der Leinwand sehen?

Wenn ich mich einmal für eine Rolle entschieden habe, dann stehe ich danach zum Ergebnis. Ich vertraue da immer dem Regisseur. Wenn der mich bittet, intime Szenen zu spielen, dann mache ich das. Am Set ziehe ich mich aus, ohne darüber nachzudenken. Wenn ich eine Szene mit mir auf der Leinwand sehe, dann weiß ich ja, warum wir sie so oder so gedreht haben. Ich hadere nicht mehr damit.

Was sprach dafür, Carole nackt zu zeigen?

Für sie ist das ein Ausdruck von Freiheit. Und es ist eines der Rechte, für das sie kämpft: Selber zu entscheiden, was sie mit ihrem Körper macht. Sie bricht damit ein Tabu. Es hat mir sehr viel Freude bereitet, diese Souveränität im Denken darstellen zu können.

Sie haben schon mit sehr unterschiedlichen Regisseuren zusammengearbeitet, etwa mit Clint Eastwood, der den Schauspielern sehr viel Freiheit am Set gewährt, oder den Dardenne-Brüdern, die als Kontrollfreaks gelten. Wie empfanden Sie die Zusammenarbeit mit Catherine Corsini? Wie bestimmend war sie im Vergleich?

Das war ganz unterschiedlich. Catherine hat Izïa viel mehr geführt als mich. Wie Sie richtig gesagt haben, hatte ich schon sehr viel Erfahrung bei der Darstellung von lesbischen Frauen, während Izïa noch sehr jung ist, und vorher überhaupt erst in drei Filmen mitgewirkt hatte. Zudem war ihre Rolle sehr komplex, da sie die Zerrissenheit darstellen musste, von der ihre Protagonistin betroffen ist, weil sie nach außen hin nicht offen zu ihrer sexuellen Orientierung stehen kann. Aber Catherine ist kein Kontrollfreak. Sie hat uns viel Vertrauen entgegengebracht.

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Welche Botschaft enthält "La belle saison" für das nichtlesbische Publikum?

Es geht hier nicht an erster Stelle um Homosexualität, sondern um Menschenliebe. Ich weiß, dass der Film viele Heterosexuelle ebenfalls sehr berührt hat. Denn für sie ist es doch genauso wichtig, sich selbst gegenüber ehrlich zu sein. "La belle saison" will die Zuschauer dazu ermutigen, auf die innere Stimme zu horchen.

Warum hört ausgerechnet Carole - die mutigere von beiden - ihre innere Stimme zunächst nicht? Ihr ist gar nicht klar, dass sie lesbisch ist, während Delphine das schon ganz früh im Leben für sich akzeptiert.

Das gehört zur Symmetrie des Plots, der die Geschichte zweier Menschen erzählt, die das Leben des anderen für immer verändern. Carole zeigt Delphine, was Freiheit heißt. Wie wir am Ende des Films erfahren, nimmt Delphine diesen Impuls auf. Und durch Delphine bemerkt Carole erst, welche sexuellen Neigungen sie wirklich hat. Ich finde, das ist eine optimistische und doch lebensnahe Dramaturgie: Die Pfade zweier Menschen kreuzen sich, und das krempelt beide Biografien in positiver Weise um - auch wenn sich ihre Wege wieder trennen.

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