CDs der Woche - Popkolumne:Macht der Gewohnheit

Deichkind halten am musikalischen Wahnsinn fest - und bleiben sich treu. Gleiches gilt für AC/DC und Pink Floyd. Die Smashing Pumpkins versuchen zwar Neues, kommen aber an frühere Platten nicht heran. Lust auf 2015 machen einzig Future Brown.

Von Annett Scheffel

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Deichkind

Pyramidenköpfe und Remmidemmi: Deichkind verändern sich so bald nicht.

Quelle: dpa

So manches drehte sich in dieser Woche um die gute alte Zuflucht namens Gewohnheit. Denn es soll ja Anlässe geben, bei denen sich besonders das angestellte Herdentier von keinerlei Neuheiten beeindrucken lässt: beim Feierabendbier ist das so oder beim Sonntags-Tatort. Und beim Feiern natürlich, genauer: beim Richtig-die-Sau-rauslassen.

Dass man nichts Neues braucht, wenn man ohnehin schon richtig Spaß hat, das wissen auch die Remmidemmi-Spezialisten von Deichkind, die soeben die erste Single ihres für Januar angekündigten Albums "Niveau Weshalb Warum" veröffentlichten. Gleich nach den ersten Zeilen von "So ne Musik" ahnt man, dass sich bei den Hamburgern am Konzept Krawall-Freakshow nicht viel geändert hat.

"Verkauf das letzte Hemd für die Karten vom Konzert / Alle woll'n den Abriss, gefedert und geteert / Wir haben euch vermisst, es ist viel zu lange her / die Show kann jetzt beginnen und alle nur so: YEAH!" Dazu gibt es wieder allerlei absurde Kostüme, Pyramiden-Köpfe, Robin-Hood-Kappen und Star-Trek-Brillen - als Ersatz für all den Wahnsinn, der im Alltag des malochenden Bausparers sonst abwesend ist. Na dann also: Yeah!

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Smashing Pumpkins

Keine wirklich gute Platte, aber Grund genug die alten Alben der Samshing Pumpkins hervorzurkamen.

Quelle: BMG

Der Preis für das Großmaul der Woche geht trotzdem an Billy Corgan. Dem britischen Independent gab der Kopf der Smashing Pumpkins anlässlich des neuen achten Albums "Monuments To An Elegy" eines seiner wahnwitzig hochmütigen Interviews, in dem er seine Sicht auf die vergangenen Grunge-Tage zum Besten gab.

Gemeinsam mit Nirvana-Sänger Kurt Cobain sei er der beste Songwriter der Generation X gewesen, alle anderen schafften es höchstens auf einen "weit abgeschlagenen dritten Platz". So, so. Corgan, der sich optisch längst vom zotteligen Flanellrocker in eine Art Nosferatu verwandelt hat, ist immerhin voll des Lobes für Cobain, obwohl die beiden sich bekanntlich nicht sonderlich nah waren (nachdem Courtney Love Corgan 1991 als Lover gegen Cobain eintauschte).

"Ich glaube, dass eine Welt mit ihm, ein besser Ort wäre und dass es eine Menge schlechter Musik, die auf Nirvana folgte, nicht gegeben hätte, wenn er sich noch darüber hätte ärgern können." Fast traut man sich gar nicht zu sagen, was sich bei Hören von "Monuments To An Elegy" aufdrängt: Cobain hätte an den größtenteils schwerfälligen, in graue Mittelmäßigkeit abdriftenden Songs, die sich sogar in Schlager- ("Run2Me") und Synthie-Pop ("Dorian") verirren, womöglich kein gutes Haar gelassen.

Außer einzelnen schönen Momenten, die tosende Melancholie von "Tiberius" etwa oder die zornige Antihero-Selbstvergewisserung "Drum + Fire", gibt es nicht viel zu bestaunen. Für Fans (gesetzt dem Fall, sie haben sich trotz eifriger Anhängerschaft ein Minimum an kritischen Bewusstsein erhalten) kann das nur enttäuschend sein. Immerhin aber: ein guter Anlass, die frühen Platten herauszukramen.

"Siamese Dreams" von 1993 zum Beispiel, das zum großen Teil von Courtney Love handeln soll, wie Madame selbst vor einigen Monaten kundtat. Was wir dieser Frau wohl noch so alles zu verdanken haben?

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AC/DC und Pink Floyd

Pink Floyds Reste-Werk ist in den Charts bislang erfolgreich.

Quelle: AP

Auch in den deutschen Charts herrscht nichts als einträchtige Rückschau. Zum Jahresende werden die frühen Achtziger gefeiert: AC/DC landen mit ihrer mittlerweile 14. Platte "Rock Or Bust" an der Spitze der Album-Charts, auf Platz 3 steht Pink Floyds Reste-Werk "The Endless River". Und in den Single-Charts fragen eine Handvoll zweitklassiger deutscher Popstars auf Bob Geldofs Geheiß immer noch: "Do they know it's Christmas?" Oje, oje.

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Future Brown

Die dritte Single von Future Brown macht Lust auf das 2015 erscheinende Album.

Quelle: Warp

Gut, dass es mit dem futuristischen Culture-Clash-Sound von Future Brown in dieser Woche auch Musik zur Zeit zu bestaunen gab: "Talkin Bandz" ist die dritte Single der vierköpfigen, Underground-Supergroup um die im Senegal geborene und in Kuwait aufgewachsene Wahllondonerin Fatima Al Qadiri (ihres Zeichens die Strategin hinter einem Konzeptalbum namens "Asiatisch" aus dem Mai, das eindrucksvoll mit asiatischen Motiven und Dubstep experimentierte).

Eine wahre Wucht ist es, wie elegant sich Future Brown durch allerlei Genres und Kulturräume manövrieren, durch britischen Grime, R'n'B, Kudoro aus Angola und jamaikanischen Dancehall, Reggaeton und Chicago Drill-Hip-Hop. Das Wundersame dabei: Nichts ist hier zu viel, nichts hakt oder poltert. Jeder Ton fügt sich in die große globale Vision des Quartetts, das seit September zum Aphex-Twin-Label Warp gehört.

Ein wunderbar aufgeräumtes Update des Global Ghetto-Tech einer M.I.A., deren Debütalbum "Arular" nächstes Jahr bereits zehn Jahre alt wird - ihr alter Kreativpartner DJ Diplo veröffentlichte übrigens passenderweise schon in dieser Woche sein richtungsweisendes Debüt "Florida" zum Zehnjährigen in einer Neuauflage. Time is running. Wenn Popmusik 2015 aber so klingt wie "Talkin Bandz", dann bitte ganz schnell her damit!

© SZ vom 10.12.14/danl
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