CDs der Woche - Die Retrokolumne:Königin der alten Ordnung

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Der Sprechgesang von Grace Jones klingt nicht nach Hip-Hop, sondern mehr wie eine Replikantenversion von Edith Piaf.

(Foto: Getty Images)

Mit Bürstenhaarschnitt und herrischer Stimme war Grace Jones der Star im New Yorker Studio 54. Als die Disco-Kultur nichts mehr hergab, erfand sie sich auf "Nightclubbing" einfach neu - und ist bis heute Vorbild in Sachen Glamour und Kompromisslosigkeit. Die Retrokolumne - zum Lesen und zum Hören.

Von Thomas Bärnthaler

Disco war toter als tot, als Grace Jones 1981 ihr Album "Nightclubbing" (Island/Universal) aufnahm, das jetzt als Deluxe-Version, inklusive vieler Remixe und Langversionen wieder aufgelegt wurde. Das Nachtleben aber starb nicht, es wechselte einfach den Aggregatszustand. Und genau das ist auf diesem Album zu hören: ein Epochenwechsel im Pop, angeführt von der Königin der alten Ordnung.

Mit ihrer Androgynität und amazonenhaften Schönheit war Jones zum Star und zur Schwulenikone im Studio 54 aufgestiegen, da spielten Boy George und Madonna dort noch unscheinbare Nebenrollen. Ihre Persona als Soldatin der Disco-Kultur, mit Bürstenhaarschnitt, herrischer Stimme und Dolph Lundgren als Toyboy hatte sich jedoch erschöpft. Bereits ein Jahr zuvor hatte sie in den Compass Point Studios auf den Bahamas zusammen mit dem Produzentenduo Sly & Robbie an einer Formel gebastelt, die den Groove des Dub-Reggae und Funk mit der synthetischen Strenge des New Wave kurzschloss.

Doch erst auf "Nightclubbing", das ihr kommerziell erfolgreichstes Album werden sollte, wurde diese Formel so wirkungsmächtig, das sie einen neuen Standard setzte: die Vermählung karibischer Sounds mit europäischer Maschinenmusik. Der Raum der sich dabei auftat, schuf Platz für so unterschiedliche Temperamente wie Iggy Pop, Sting und Bill Withers, deren Songs Jones so interpretierte, als wären sie wie neu vom Himmel gefallen.

Dabei kultivierte sie eine Art Sprechgesang, der nicht billig von der aufkeimenden Hip-Hop-Kultur geklaut war, sondern eher wie eine Replikantenversion von Edith Piaf klang. Den Weg, den dieses Album vorgab, gingen später Bands wie Massive Attack oder die Gorillaz weiter. Von all den weiblichen Pop-Acts, die sich seitdem bei Grace Jones ein paar Dinge in Sachen Gender bending, Glamour und Kompromisslosigkeit abschauten, ganz zu schweigen.

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XTC

Wie entscheidend die Wahl des richtigen Produzenten sein kann, musste 1986 auch die britische New-Wave-Band XTC erfahren, als sie sich auf Drängen ihrer Plattenfirma für ihr Album "Skylarking" mit dem altgedienten Bombastrocker Todd Rundgren zusammentat , was laut Linernotes der nun neu abgemischten Re-Issue (Ape House/Virgin) zu einer Art Studiokleinkrieg führte, der unerwartete Blüten trieb.

Rundgren, der Multinstrumentalist und Maniker, sah in dem poppigen Songmaterial nämlich ein Konzeptalbum, das nach einer entsprechenden Orchestrierung verlangte - mit Vögelgezwitscher, elegischen Streichern und singenden Kindern. Also etwas in der Art von "Pet Sounds", mindestens. Der Popkritiker Diedrich Diederichsen nannte das seinerzeit "oberharmloses Kunsthandwerk", einen "Spinnergarten", durch den zu streifen aber schon ein gewisses Vergnügen sei.

XTC At the Edge, Toronto, 1977/78

Auch heute klingt XTCs "Skylarking" völlig überambitioniert und einfach großartig.

(Foto: Jean-Luc Ourlin/CC-by-sa-2.0)

Auch von heute aus betrachtet bleibt "Skylarking" pophistorisch eine Fußnote. Es wirkt noch immer überambitioniert, dabei einem eigentümlichen Privatuniversum verpflichtet, sehr nahe an den Beach Boys gebaut und bis in die letzte Tonspur überproduziert. Mit anderen Worten: Es ist ganz und gar großartig.

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Slint

Im April adelte das amerikanische Independent-Label "Touch and Go" ein Album mit einer Luxus-Ausgabe, dem man noch vor wenigen Jahren nur in obskuren Plattenläden habhaft wurde. 130 Euro kostet das Box-Set aus diversen Vinylplatten, CDs und einem Dokumentarfilm, das noch einmal die ganze Geschichte von "Spiderland" nachzeichnete, jenem mythischen zweiten Album aus dem Jahre 1991 der noch viel mythischeren Rockband Slint aus Louisville, Kentucky.

Das Set war binnen Tagen ausverkauft, so dass die Plattenfirma für Juni das Ganze noch einmal als abgespeckte CD-Version angekündigt hat. Es ist ein monolithisches Stück Musik, schroff wie Kryptonit, dessen Strahlkraft sich erst mit den Jahren zeigen sollte. Slint dekonstruierte klassische Rock-Schemata und setzte diesen das Prinzip der Überwältigung, der Klimax und der Reduktion entgegen.

Die sechs Songs, alle an nur einem Wochenende eingespielt, beginnen meist tastend, schwelend und enden im instrumentalen Flächenbrand. Sänger Brian McMahan sang auch nicht, er flüsterte, raunte, erzählte oder kreischte, immer in dem Wissen, dass die Stille um so lauter ist, je mehr Platz man ihr einräumte. Es gibt Momente bestürzender Schönheit auf diesem Album, die Grundstimmung jedoch ist Desillusion und Verstörung. Heute gilt "Spiderland" als Meilenstein des Post-Rock.

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