CDs der Woche - Die Retrokolumne:Beach Boys und Space Cowboys

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Bei den Livemitschnitten des CD-Sets "Made in California" lassen die Beach Boys die Wellen überraschend laut krachen. (Foto: Capitol / Universal)

Das CD-Set "Made in California" ist ein amüsanter Spaziergang durch die mehr als 50 Jahre lange Karriere der Beach Boys. Der texanische Funk-Superstar Sly Stone gibt auf "Higher!" den afroamerikanischen Außerirdischen und Mike Oldfield spielt seine Gitarre wie einen Dudelsack. Die Retrokolumne - zum Lesen und zum Hören.

Von Joachim Hentschel

The Beach Boys

Keine der wirklich wichtigen Popgruppen Amerikas bestand zu einem derart großen Anteil aus Pose und Suggestion. Außer ihnen. Mit Surfbrett unter den gebräunten Armen, versammelt um den 409-er Chevy, die gestreiften Sonntagshemden, die sonderliche Szene im Zoo, die auf dem Cover der LP "Pet Sounds" landete: Immer mussten die Beach Boys auch gleich vorführen, was man zu ihrer Musik alles machen und anziehen sollte. Daher trifft die Aufmachung des neuen CD-Sets "Made in California" (Capitol / Universal) absolut den ästhetischen Kern: ein Bildband, gestaltet wie ein College-Jahrbuch, mit großartigen Fotos, wenig Text - die Geschichte steht eh überall.

Verglichen mit der historisch-kritischen Ausgabe "The Smile Sessions", die 2011 mit fast sieben Stunden Archivmaterial die Arbeit an einem einzigen Album dokumentierte, sind die hier enthaltenen sechs CDs eher ein amüsanter Spaziergang durch 52 Karrierejahre, wenn auch nicht ohne Überraschungen und Erkenntnisse.

Erstens: Es dauerte am Anfang erstaunlich lange, bis die Beach Boys sich spürbar vom Durchschnitt heiterer Doo-Wop-Spaßbuben abhoben. Zweitens: Wenige haben den Prozess des Aufnehmens, des tontechnischen Illusionismus' in ihrer Musik so sehr thematisiert, weshalb auch diese Box wieder viele ungehörte, teils höchst interessante Work-in-progress-Versionen bietet. Drittens: Auch auf der Bühne hatten sie eine Zeit lang viel Energie. Bei den auf CD Nummer fünf gesammelten Livemitschnitten krachen die Wellen überraschend laut.

Noch ein Karriereüberblick, zumindest über die besten Jahre: "Higher!" (Sony), eine Vier-CD-Box mit großem Hüftschwung durch das Werk des texanischen Funk-Superstars, Animateurs und Bandleaders Sylvester Stewart. Es beginnt 1964 mit einem ähnlichen Chuck-Berry-Riff wie die Geschichte der Beach Boys. Wobei sich Stewart - verwandelt in sein sternenäugiges Alter Ego Sly Stone - unmissverständlich für den Rhythmus im Rhythm 'n' Blues entschied, den Erkenntnisgewinn nicht in Virtuositäten suchte, sondern im Soul, im Jam, der am Ende auf Songgröße geschnippelt wurde.

Die CD-Box "Higher!" bringt wenig neues über Sly and the Family Stone zutage. Es sei denn, man findet eine mit Schlumpfstimme gesungene Version von "Dance To The Music" erhellend. (Foto: Sony)

Wo James Brown der hart arbeitende Boss war, spielte Sly Stone den Hohepriester, den afroamerikanischen Außerirdischen, der die Bürgerrechte immer streng am sich freitanzenden Körper festmachte. Neue, überraschende Aspekte an Sly and the Family Stone zeigt die Sammlung mit ihren 77, teilweise bislang unveröffentlichten Stücken nicht auf - es sei denn, man findet eine mit Schlumpfstimmen gesungene, ins Französische übersetzte Version von "Dance To The Music" erhellend.

Hinter dem Humor und den Grimassen steckte natürlich auch hier immer eine Sehnsucht, das Sich-ausstrecken-Wollen, aber Nie-berühren-Können des Gospel. Umso tragischer, dass der Urheber Stewart selbst nichts zu dieser Edition beitragen konnte. Um die teure Drogensucht zu finanzieren, hat er offenbar in den 80er-Jahren seine Autorenrechte verkauft, zuletzt soll er im Wohnwagen gelebt haben. Ein Space Cowboy ohne Heimatbasis.

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Er ist auch schon 60, und wahrscheinlich hat er nicht mal bemerkt, dass kaum noch Lorbeeren übrig sind. Als Mike Oldfield 1973 mit dem "Tubular Bells"-Album die eigene Karriere startete (und die seines 22-jährigen Labelchefs Richard Branson), hielten auch die Stocknüchternen ihn für einen Satansmeister, der alle Instrumente, Stilrichtungen, elektronischen Geräte beherrschte. Branson ist heute der viertreichste Brite, er plant die Eroberung des Weltalls. Oldfield hat auch viel Geld, ist aber eher ein Notfall, dessen Ehre gerettet werden muss.

Er hat mal als Gitarrist für den großen Kevin Ayers Herausragendes geleistet, und unter den frühen Soloplatten gibt es Schätze. Auch "Crises" (Universal), das nun als Deluxe-Ausgabe vorliegende Album von 1983, ist kein Achtziger-Bad-Taste-Ausrutscher. Im Grunde ging es Oldfield damals um eine Transfusion des britischen Folk, die Überführung der Highlandsongs und Heubodentänze in etwas, das zeitgenössischen Stürmen standhalten könnte.

Wahrscheinlich klang seine Gitarre deshalb wie ein Dudelsack, und was im 20-minütigen Titelstück noch progressiv-verzwungen wirkt, klappt in "Moonlight Shadow" ganz grandios: ein Gute-Nacht-Lied, das auch im Klangbild exzellentes Verständnis fürs Bukolische verrät. Erweitert wird das Album um Konzertaufnahmen aus der Wembley Arena, bei denen das Publikum teilweise im Takt mitklatscht, wie bei Volksmusikfesten. Sie hatten es kapiert.

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© SZ vom 27.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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