CD: Tomte:Vom Suchen und Finden der Liebe

"Tocotronic für Taubstumme" nannten böse Kritiker die Musik von Tomte. Mit ihrem neuen Album ist die Band auf dem besten Weg zur neuen deutschen Konsensband. Für Sänger Thees Uhlmann nicht weiter verwunderlich.

Frederic Huwendiek

"Ich bin einfach ein stinknormaler Typ, der etwas Außergewöhnliches, etwas Bleibendes geschaffen hat", sagt Thees Uhlmann und grinst sein Thees-Uhlmann-Grinsen. Der 31-Jährige mit dem schütteren blonden Haar hat in diesen Tagen allen Grund von sich selbst überzeugt zu sein. Vom Dorfpunk zum feuchten Traum deutscher Musikjournalisten. Er lacht. "Ich mach dieses Ding schon so lange. Ich habe mich nicht verändert. Nur hören jetzt einfach ein paar mehr Menschen zu". Bescheidenheit und Größenwahn liegen nahe beieinander beim Sänger von Deutschlands derzeit wohl meistgefeierter Indieband. Die in diesen Tagen die Titelseiten aller relevanten Musikmagazine schmückt. Und eigentlich nur die deutschen Oasis sein will.

Tomte

Ganz normal: die Jungs von Tomte

(Foto: Foto: Label)

Astrid Lindgren und der deutsche Pop Dieser "stinknormale Typ" mit dem schwarzen Shirt und den blauen Augen ist Sänger der Deutschpop-Band Tomte, die Anfang Februar ihr viertes Album "Buchstaben über der Stadt" veröffentlicht. Tomte übrigens wie "Tomte Tummetott", dem Wicht aus einer Geschichte von Astrid Lindgren.

Gefangen in der Ödnis der norddeutschen Provinz gründet Thees Uhlmann Anfang der neunziger Jahre mit Schulfreunden diese Band, die jetzt da ist, wo sie immer hinwollte. Top of the pops. Sogar die gute alte "Brigitte" zeigt sich beeindruckt von diesen "kristallklaren Popsongs voller Weisheit und Intelligenz".

Gestartet als Punkmucker-Kollektiv spielen sich Tomte mit ihrer dritten Langspielplatte "Hinter all diesen Fenstern" 2003 in die Herzen aller Freunde großer, handgemachter Popmusik. Uhlmann verweigert sich erfolgreich den profitfixierten Entscheidern der Plattenindustrie und gründet mit Freunden kurzerhand "Grand Hotel Van Cleef" - heute eines der erfolgreichsten deutschen Indie-Labels. 2005 spielt er in dem Kinofilm "Keine Lieder über die Liebe" an der Seite von Heike Makatsch und Jürgen Vogel im Grunde sich selbst. Um dann für das vierte Tomte-Album Lieder über die Liebe zu schreiben.

Selbstverliebt grandios

Thees Uhlmann ist Stichwortgeber, Sinnstifter, Romantiker, Rampensau. Er hat ein Herz so groß wie der Frankfurter Flughafen. Und ein Ego so groß wie der JFK. Er weiß, dass er Lieder schreibt, die einen mitnehmen, begleiten, berühren. Die trösten, verstören, das Herz hüpfen lassen. Er weiß um seine Gabe.

Er weiß, wie er wirkt. Und was er will. Wäre es anders, wäre er vielleicht Unternehmensberater wie sein Bruder geworden. Mit Haus, Hund und Kind. Oder in Hemmoor hängen geblieben, jenem kleinen Dorf in der Nähe von Cuxhaven, in dem er aufgewachsen ist. "Ob ich mich nach einem normalen Leben sehne? Ich kann euch sagen: Es gibt keinen besseren Job als Thees Uhlmann zu sein."

"Buchstaben über der Stadt" ist voller kleiner Beobachtungen, großer Gesten. Voller Melancholie und Zuversicht. Kitschig und klebrig könnte man das finden. Ein Konglomerat überzuckerter Gefühligkeit. Aber Sänger Thees Uhlmann betont und intoniert so eigenartig, dehnt die Worte wie Tage altes Kaugummi, wehrt sich so erfolgreich gegen Reime, dass dieses Album weit entfernt ist von der glatten Gefälligkeit einer überproduzierten Schmusepop-Platte. Verkaufen wird sie sich wohl trotzdem wie geschnitten Brot.

"Ich bin so glücklich wie noch nie in meinem Leben", sagt Thees Uhlmann und schwärmt von seiner großen Liebe. Die erste Single "Ich sang die ganze Zeit von dir" ist die musikalische Verneigung vor dieser Frau, "die den alten Uhlmann gehörig umgekrempelt hat". Überhaupt ist wieder die Liebe der blutrote Faden dieses vierten Tomte-Werks. Sie ist es, die in großen, weich geformten Lettern über der Stadt leuchtet: In "New York" singt er von der "Stadt mit Loch" - und der Liebe, in "Walter & Gail" von der zärtlichen Beziehung zweier Menschen, die zusammen alt geworden sind.

In "Warum ich hier stehe" findet Uhlmann wieder diese eindeutig-mehrdeutigen Bilder, die ihn so bekannt, so geliebt gemacht haben: "Du hast gesagt, dass die Sonne scheint, für den, der sie nicht mehr begehrt/Ich sag: die Sonne scheint, so oder so/Die Wolken entscheiden, ob du sie siehst/Man könnte sagen, dass man das stärker liebt, was man seltener sieht".

Verdammt nah dran

"Ich lebe mich durch eines der schönsten Leben mit den schönsten Songs der Welt.", singt der sympathische, selbstverliebte Tomte-Frontmann im letzten Titel des Albums. Die Texte hat der immer zwischen laut und leise, zwischen tiefbetrübt und himmelhochjauchzend Pendelnde im ICE von Hamburg nach Berlin geschrieben. Auf den Fahrten zu seiner Freundin. Angekommen ist er noch nicht. "Ich bin noch immer auf dem Weg, auf der Suche nach dem Sinn. Aber ich bin verdammt nah dran, ihn gefunden zu haben".

Stunden später wird der Mann mit dem schütteren blonden Haar und der unvergleichlichen Stimme ein gefeiertes Konzert vor ausverkauftem Haus spielen. Er wird sein verschmitztes Thees-Uhlmann-Lächeln aufsetzen und sagen: "Guten Abend, wir sind Pink Floyd. Wir spielen hier nur wegen der Kohle". Und niemand, wirklich niemand wird ihm auch nur ein Wort glauben.

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