CD: Richard Hawley "Truelove"s Gutter":Der Sinatra mit den Friedhofsblumen

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Dieser Mann rührt Frauen zu Tränen. Auch mit "Truelove's Gutter" poliert der englische Ex-Pulp-Musiker Richard Hawley das Erbe derer von Ratpack.

Alexander Gorkow

Wenn Männer wie Richard Hawley Frauen versprechen, weniger zu trinken, weniger zu rauchen und weniger darüber zu jammern, mal sterben zu müssen, so ist das auch deswegen lustig, weil man ja weiß, dass solche Versprechen gebrochen werden. Große Songs, so war es in allen Zeiten, atmen zwar große Töne, verhexen aber tun sie durch kleine Gesten. Hawley zum Beispiel trägt der Gattin seine guten Vorsätze in dem Lied "For Your Lover Give Some Time" nach dem Heimweg aus der Bar vor, und in der Hand hat er Blumen, die er auf dem Friedhof geklaut hat. So etwas rührt bei aller leisen Komik - Frauen einer persönlichen Erhebung nach sogar zu Tränen.

Zwei Jahre hat sich der 42-jährige Richard Hawley Zeit gelassen für die CD "Truelove's Gutter" (Mute Records), benannt nach einer historisch verbürgten Gasse im rauen Sheffield. In der "Gasse zur Wahren Liebe" trafen sich im 19. Jahrhundert nachts die Liebenden, um sich für die Ewigkeit zu rüsten. Das Album ist nach "Coles Corner" (2005) und "Lady"s Bridge" (2007) eine Art Abschluss der "Sheffield-Trilogie".

Diese drei Alben sind ein Opus Magnum von literarischer wie musikalischer Brillanz, nach der man in der Popmusik im Moment sonst vergeblich suchen wird. In ihrer britischen und schwarzlakonischen Erzählweise, dazu mal im sparsam ratternden Rock "n" Roll, mal im Jazz, mal im Doo-Wop, mit der dezenten Wucht alter englischer Music Halls orchestriert, sind sie so durchtrieben schön, dass man mit den Verwünschungen, Träumen und Rätseln, um die diese Lieder kreisen, durchaus nachts den Mond anstarren und morgens schon wieder den ersten Kaffee brauen kann.

Wie Hawley das konkret macht? Glücklicherweise muss man da - wie immer bei großer Kunst, bei den Todessehnsüchten Leonard Cohens, bei den Lebensanbetungen Johnny Cashs, bei den Rattenfängereien Frank Sinatras - sagen: keine Ahnung. Es wird wohl unter anderem damit zu tun haben, dass der jüngst verstorbene Vater des Sängers einst tagsüber im Stahlwerk arbeitete, nachts aber als Teddyboy der ersten Stunde an der Gitarre im legendären Sheffielder "Club 60" John Lee Hooker und Muddy Waters begleitete.

Es wird damit zu tun haben, dass Hawley mehr als jeder andere seiner Ex-Kollegen in der Band Pulp, vor allem mehr noch als der einst berühmtere Pulp-Sänger Jarvis Cocker, dionysische Kräfte mit in die Solokarriere gerettet hat. Es wird auch sehr wesentlich damit zu tun haben, dass Hawley mit einiger Sturheit auf dem Fundament seiner Herkunft steht: der britischen Arbeiterklasse, die heute keine Frage des Jobs mehr ist, aber immer noch und vielleicht wieder mehr denn je eine Frage der Einstellung.

Dieser Link in die normale Sheffielder Tristesse - die auch nur das globale Grau des großen westlichen Dorfes unserer Tage spiegelt -, sie verleiht "Truelove's Gutter" die Unmittelbarkeit einer realistischen Erzählung in acht Kapiteln.

Die Mischung aus Old Labour, Music Hall und Neo-Psychedelic kulminierte letztes Jahr im Frühling in einem bemerkenswerten Auftritt Hawleys in der Londoner Albert Hall, zu dem der Sänger als Gäste nicht nur Jarvis Cocker, sondern auch für einen Folksong seine Mutter und für einen tränenreichen Fetzen sogar Tony Christie auf die Bühne holte. Richard Hawley blieb dabei, wie alle großen Crooner, der lässige Impresario, und so wirkt er auch jetzt auf "Truelove"s Gutter" wie der Impresario seiner eigenen Songs. Der Bariton ist so warm wie ein Spätsommertag, schwingt sich aber bei Hymnen wie "Soldier On" zu baumausreißenden Kräften auf.

Humor?

Natürlich. Richard Hawley ist Brite, also deprimiert im besten Sinne. Auch hier muss er etwas von Daddy geerbt haben, denn der, erzählte Hawley mal, "war so komisch, dass er sogar die Katze zum Grinsen brachte".

Die Songs der Crooner handelten noch nie von gelösten Problemen, sondern von ungelösten, außerdem von guten Vorsätzen, aus denen nichts wird, und dann vielleicht noch vom Sommerwind, der vom Pazifik her in den offenen Wagen weht und mit dem Haar der Geliebten spielt. Singt Frank Sinatra so etwas, dann knallt es einem auch deshalb aufs Gemüt, weil die welthaltige Stimme in einem Song wie "Summer Wind" mit der Macht einer Guillotinenklinge über Nelson Riddles federleichtem Orchesterarrangement schwebt. Allein der Klang der Stimme erzählt ja schon, dass es nicht nur der Wind sein wird, der bald weiterzieht, sondern natürlich auch die Geliebte. Ach, es ist alles so schrecklich und vor allem: schön.

Nach dem Crooner-Grundgesetz handelt es sich natürlich bei jedem Mann um ein armes Schwein, dabei aber im Glücksfall um eine coole Sau. Crooner wie Sinatra haben aus diesem Grund den lässigen Bariton ins einst tenorgeplagte Genre eingeführt. Ein Crooner knödelt nicht, sondern brummt, er kreischt nicht, sondern seufzt, und wenn er umfällt, dann nicht mit seinen Überzeugungen, sondern weil er betrunken ist. Die diesen Abstürzen zugrunde liegende und überaus tückische Musik wird oft als Easy Listening bezeichnet, was in seiner Unzulänglichkeit schon okay ist und natürlich nur in Deutschland pfeilgrad missverstanden wird, denn hier gilt Roger Cicero als Crooner, von noch größeren Missverständnissen zu schweigen.

Hawleys "Truelove"s Gutter" nun ist eine besonders tückische Umarmung. Das Album ist insofern "Easy Listening", als dass einen der ruhige Atem und die großformatige Orchestrierung der Songs, auf die Claus Ogerman oder Nelson Riddle stolz gewesen wären, regelrecht umfängt: mit Arrangements von graziler Sparsamkeit, winzigen Kindermelodien aus der E-Gitarre mit ihrem anachronistischen Rockabilly-Hall, einer Glasharmonika aus dem 18. Jahrhundert, irgendwo weint sogar eine antike singende Säge, dann ballert ein elektrisches Cembalo aus den sechziger Jahren los, so dass man meint, gleich komme der unglaubliche Peter Sellers zum Tee.

Bald hängt man also im Netz dieser Lieder, und immer wieder packt einen Hawley: in diesen teils fünf- oder sogar zehnminütigen Songs über die ersten und die letzten Fragen, über die Liebe, die verschlossenen Türen, die verblassenden Gesichter, über den Namen der Geliebten, über die Lügen der Liebsten und die Licht versprechenden Drogen. Über dieses Netz aus kleinen Geschichten und großen Andeutungen schmeißt das Streichorchester mit einem Mal eine Art Wasserfall aus Tönen. Und auch hier hat Hawley von Sinatra gelernt, nämlich, dass das perfekte Songkino nur wirkt, wenn die Hoffnung groß, die Musik diszipliniert und der Abgrund tief ist: "Here"s a toast to you Helene / To all the cinemas, we run in from the rain."

Sicher vor dem ewigen Regen Yorkshires hat Richard Hawley in den Sheffielder Yellow Arch Studios ein Album aufgenommen, das - anders als das Leben, von dem es handelt - in jeder Sekunde hält, was es verspricht: dass einmal, und sei es in der Kunst, alles aus einem Guss sein möge. "Truelove"s Gutter" ist ein unaffektiertes, unzeitgemäßes und deshalb vollkommen zeitloses Album. Man steigt aus dieser CD, die eine einzige große Geschichte erzählt von einem Mann, seiner Frau, seinen Freunden und der trostspendenden Kraft der Kunst, nicht einfach aus. Und man wird diese großen Songs auch gar nicht mehr los.

Irgendwo im Olymp, so muss es sein, reicht der alte Sinatra dem jungen Hawley gerade einen Malt.

© SZ vom 19./20.09.2009/bgr/hai - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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