"Die Höhle der vergessenen Träume" im Kino:Am Ursprung der Kunst

Werner Herzog, einer der wichtigsten Vertreter des Neuen Deutschen Films, dreht leidenschaftlich Dokumentarfilme am Rande der Fiktion. Nun hat er sich aufgemacht, die Chauvet-Höhle in Südfrankreich filmisch zu erforschen. Dort befinden sich die ältesten bekannten Malereien der Welt. Er entdeckte dort das Urkino der Menschheit.

Susan Vahabzadeh

Es gibt eine Szene in "Die Höhle der vergessenen Träume", in der man sehr genau versteht, was Werner Herzog will, wenn er einen Dokumentarfilm macht. Er sitzt einem Wissenschaftler gegenüber, der am Computer die exakten Abmessungen der Chauvet-Höhle eingibt und dabei erklärt, wie da Millimeter für Millimeter eine virtuelle Nachbildung entsteht. Und plötzlich sagt Herzog, mit seiner unverwechselbaren Stimme selbst der Erzähler in diesem Film: Das ist wie das Telefonbuch von Manhattan - vier Millionen Nummern, aber wovon träumen diese Menschen?

Höhle der vergessenen Träume

Werner Herzog mit dem Team in der Chauvet-Höhle: Die Summe aller Fakten ergibt nicht notwendigerweise eine Wahrheit.

(Foto: Ascot Elite Filmverleih GmbH)

Herzog hat andere Prioritäten. Besonders die Höhlenbilder von Tieren, die wie in Bewegung übereinander gemalt sind, haben es ihm hier angetan - vorweggenommener Film, in Stein gemeißelt vor unendlich langer Zeit.

Urkino, sagt Werner Herzog, als er vor diesem Gemälde steht, und alles, was er sagt, klingt immer ein wenig mystisch. An einer anderen Stelle der Höhle sieht man Handabdrücke auf dem Fels. Warum haben die Menschen diese Spuren hinterlassen, hatten sie eine Vorstellung von Zukunft, davon, dass diese Spuren eines Tages jemand findet?

Werner Herzog, spätestens seit "Aguirre, der Zorn Gottes" (1972) einer der wichtigsten Vertreter des Neuen Deutschen Films, macht leidenschaftlich Dokumentarfilme am Rande der Fiktion. Nun hat er sich mit Archäologen aufgemacht, die Chauvet-Höhle in Südfrankreich filmisch zu erforschen, in der sich die ältesten bekannten Malereien der Welt befinden, und obwohl dies natürlich eine wissenschaftliche Expedition ist, bleibt Herzog dabei, dass die Summe aller Fakten nicht notwendigerweise eine Wahrheit ergibt, und schon gar keine, die etwas bedeutet - alles Greifbare entsteht erst dadurch, dass man ihm eine Form gibt, einen tieferen Sinn.

Die Abbildung der Realität ist profan - ein Kunstwerk wird erst daraus, wenn sich einer einen Reim macht auf das, was ihm die Wirklichkeit zu bieten hat. "Höhle der vergessenen Träume" ist ein Dokumentarfilm, aber keiner, der versucht, zu enträtseln, sondern einer, der mit großer Lust sich durch die Höhle tastet und seine Freude daran hat, dass man nichts endgültig erklären, aber alles mit Phantasie und Poesie erfüllen kann, und mit Fragen: Was wird man in 30.000 Jahren von uns halten?

An den Wänden konserviert

Insofern ist diese "Höhle der vergessenen Träume" auch für Herzog ein besonderes Projekt, denn so ein Film muss von Haus aus einiges an reiner Abbildung abarbeiten: Mehr als 400 Bilder gibt es in den unterirdischen Sälen und Gängen, entstanden über einen Zeitraum von mehreren tausend Jahren, an den Wänden konserviert, weil der Eingang der Höhle verschüttet war. 1994 wurde er entdeckt, und damit diese Bilder nicht, wie es schon an anderen Orten passiert ist, nach 30.000 Jahren Überdauern vom Touristenatem zerstört werden, ist die Chauvet-Höhle für Besucher gesperrt.

Herzog hat einmal erzählt, wie er schon als Kind lange sein Taschengeld gespart hatte für ein Buch über die Höhle von Lascaux; in diesem Fall soll eine Geschichte im New Yorker über die Chauvet-Höhle den Ausschlag gegeben haben (von derselben Judith Thurman im Übrigen, deren Karen-Blixen-Biographie Sydney Pollack einst benutzte für "Out of Africa").

Bemalt wie eine Kathedrale

Die meisten Darstellungen in der Höhle von Chauvet sind Tierbilder, Büffel und Pferde und Löwen, aufgenommen in 3D, was hier sehr viel Sinn ergibt: Weil es dem Film den Charakter einer Exkursion verleiht, durch Hallen ohne jede gerade Fläche - die Höhle selbst ist schon ein Kunstwerk der Natur, mit ihren kristallüberzuckerten Tierskeletten und den schimmernden, von der Zeit geformten Wänden, und auch die Bilder nehmen den unebenen Untergrund auf, auf den sie gemalt wurden, die Rundungen und Löcher im Fels.

Seltsam klare, naturalistische Bilder. Man weiß nicht so recht, was unsere Ahnen bewogen haben mag, diese Bilder an die Felswände zu malen - ob die Höhle eine Kultstätte war, bemalt wie eine Kathedrale, oder bewohnt wurde, dekoriert wie ein Palast. Aber es ist klar, wohin uns Herzog hier mitnimmt: an den Geburtsort aller Kunst.

Die Arbeit war für Herzog und sein Team eine echte Herausforderung - nur drei Mitarbeiter durften ihn begleiten, in Spezialanzügen; die engen Gänge und die nur sechzig Zentimeter breiten Stege, die das Team, auch mit Sondergenehmigung, nicht verlassen durfte, machten die Arbeit, besonders mit Equipment für einen 3D-Film, mühselig - und das alles musste in nur einer Woche Drehzeit, jeweils vier Stunden am Tag, absolviert werden.

Mit nur wenig Licht, denn auch das könnte den Bildern schaden - die andererseits damals, als sie entstanden, auch nur im flackernden Licht einer Fackel zu sehen gewesen sind. Der Film ist hauptsächlich eine amerikanische Produktion, in den USA ist der Film schon vor einem halben Jahr gestartet, einer der erfolgreichsten Dokumentarfilme 2011.

Im Komödienboom der Neunziger gab es einmal die Mode unter deutschen Filmemachern und Kritikern, den Neuen Deutschen Film für allen Stillstand verantwortlich zu machen, der nach ihm kam. Das war schon damals falsch, aber im Moment gehören zwei seiner wichtigsten Vertreter, Herzog und Wim Wenders, dessen 3D-Tanzfilm "Pina" für Deutschland ins Rennen um die Nominierung für den Auslands-Oscar geschickt wurde, zu den Filmemachern, die weltweit am meisten aus der 3D-Technik machen - und die kann, da sie jetzt schon nicht mehr als alleiniges Attraktionsmoment den Erfolg eine Films garantieren kann, Innovation und Kreativität gut gebrauchen. Herzog hat keinen Film gemacht, der aus der Leinwand heraustritt, sondern einen, der den Zuschauer hineinlässt.

Verwinkeltes Labyrinth von Gedankenhöhlen

Höhle der vergessenen Träume" ist beides gleichermaßen geworden, die Reise in die verbotene Höhle, die keiner von uns ohne den Film machen dürfte, und ein Herzogscher Trip in ein verwinkeltes Labyrinth von Gedankenhöhlen, in denen sich fast ein so prachtvolles Reich auftut wie jenes in der Höhle von Chauvet. Ein magischer Ort, bewohnt von Geistern aus einer weit entfernten Vergangenheit, Seelen, die einen Weg gefunden haben, zu überstehen für die Ewigkeit

CAVE OF FORGOTTEN DREAMS, USA/CAN/D/F/GB 2010 - Regie und Buch: Werner Herzog. Kamera: Peter Zeitlinger. Schnitt: Joe Bini, Maya Hawke. Mit: Werner Herzog. Ascot Elite, 90 Minuten.

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