Catherine Meurisse: "Nami und das Meer":Ein Haiku zur Beruhigung

Lesezeit: 3 Min.

Schön und schrecklich: Japans Natur wie sie in "Nami und das Meer" von Catherine Meurisse dargestellt wird. (Foto: Catherine Meurisse/Carlsen)

Die französische Zeichnerin Catherine Meurisse entdeckt in ihrer Graphic Novel "Nami und das Meer" Japans Landschaft für die Traumabewältigung.

Von Laura Weißmüller

Man bemüht sich, man spricht leise, macht weniger raumgreifende Handbewegungen, nimmt alles, was einem angeboten wird, immer mit zwei Händen und betoniert sich ein sanftes Lächeln ins Gesicht - allein: In Japan als Westlerin nicht unangenehm aufzufallen, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Schon die eigene Statur wirkt zu grobschlächtig in diesem Land der sanften Töne, wo selbst 160 Kilogramm schwere Sumo-Ringer es schaffen, anmutig auf ihren Holzsandalen zu balancieren.

Die Heldin stolpert unbekümmert über den Verhaltenskodex auf der Insel

Exakt diesen Zwiespalt schafft es Catherine Meurisse in ihrer neuen Graphic Novel "Nami und das Meer" darzustellen. Denn während sie die japanischen Landschaften, die zerklüfteten Meeresfelsen, sanfte Bergrücken und sattgrüne Wälder geradezu altmeisterlich darstellt, lässt sie ihre Heldin, eine französische Zeichnerin mit leerem Skizzenblock und großen Augen in Japan immer wieder unbekümmert über den feingesponnenen Verhaltenskodex stolpern.

Nur bedingt mit europäischen Kategorien zu fassen: die Vorstellung der japanischen Künstler von ihrer Natur. (Foto: C. Meurisse/Carlsen)

"Meines Erachtens kann kein Westler Haikus verstehen oder erschaffen. Sie vermögen es nicht", kommentiert anfangs etwas schmallippig ein älterer japanischer Maler die Begeisterung der französischen Zeichnerin für die traditionelle Gedichtform des Landes und begibt sich dann doch mit ihr auf eine märchenhafte Suche nach Inspiration in der Natur. Die jüngere Frau, im Land der Trippelschritte und leisen Schläppchen stets in Jeans und mit schweren Bergschuhen gekleidet, lässt sich von der Bemerkung des Malers nicht in ihrer Faszination für "die Mysterien" seines Landes beirren. Wobei die Zeichnerin, unschwer zu erkennen als die 42-jährige Catherine Meurisse selbst, die für das Buch mehrere Monate in Kyoto gelebt hat, trotz ihres Enthusiasmus' sehr genau hinschaut - und hinhört: allein wer das "Schlpp, schlpp, schlpp" der Hausschuhe einer alten Japanerin liest und dadurch hört, fühlt sich mitten in die einzigartige Geräuschkulisse dieses Landes versetzt.

Wie in all den Werken von Catherine Meurisse erkennt man die Bedeutung der Kunstgeschichte für ihre Arbeit. (Foto: C. Meurisse/Carlsen)

Das konzentrierte Hinsehen und Festhalten zeichnet das Buch von Catherine Meurisse aus, haben doch schon viele aus dem Westen ihre Japanbegeisterung in Fotobänden, Filmen und Büchern dokumentiert. Den Unterschied macht, wer mehr sieht als das Offensichtlichste (was, zugegeben, in diesem Wunderland auch schon unterhaltsam ist). Zwar gibt es auch in "Nami und das Meer" die obligatorischen Jokes einer Westeuropäerin, allen voran die Überforderung bei der Bedienung einer vollautomatischen Toilette, die hier im versehentlich ausgelösten Tsunami-Alarm gipfelt. Doch solche Witzchen sind selten. Vielmehr interessiert Meurisse der Umgang der Japaner mit der Natur ihres Landes, der von einem enormen Zwiespalt geprägt ist: Denn während die Natur einerseits essentieller Teil der Identität, Kultur und Religion Japans ist, festgehalten vor allem in den weltbekannten Holzschnitten diverser Künstlergenerationen, muss die Natur hier andererseits fortwährend gewaltsam im Zaum gehalten werden, damit im Land der Erdbeben, Tsunamis und Vulkanausbrüche ein (Über-)Leben überhaupt möglich ist.

Betonwall? Welcher Betonwall? (Foto: C. Meurisse/Carlsen)

Sichtbar wird das im Buch etwa an einer Szene mit einem gigantischen Betonwall, der "wohl vor Erdrutschen und Schlammlawinen" schützen soll, von der Gruppe der Hobbymaler aber geflissentlich übersehen wird, weswegen sie auf ihren Bildern nur unberührte Natur festhalten. Während die Westeuropäerin darin traurige Zensur erkennt, empfindet die Gruppe der Maler das als "Natsukashii", die japanische Variante von Nostalgie, die so viel bedeutet wie die "schönen Erinnerungen, die man mit Freunden heraufbeschwört".

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Immer wieder erinnern Meurisses Landschaftsdarstellungen an Hokusais berühmte Holzschnitte. Aber auch wenn die Motive im Buch die Auseinandersetzung der französischen Zeichnerin mit dem berühmtesten Künstler Japans sichtbar machen, so ist es doch immer auch ihr eigener Blick auf die "vertraute Fremdheit" dieses Landes. Und nicht selten, wird er von herrlichem Witz durchbrochen: "Ein Haiku! Machen Sie ein Haiku! Das beruhigt!" ruft die Zeichnerin dem verzweifelten Maler durch die papierne Trennwand zu, als er mal wieder an seiner Inspirationsblockade leidet. Hier blitzt das frühere Leben der Zeichnerin auf, hat sie doch zehn Jahre lang für das französische Satiremagazin Charlie Hebdo gearbeitet. Dem brutalen Anschlag entkam sie nur, weil sie an dem verhängnisvollen Tag verschlief und zu spät auf dem Weg zur Redaktionskonferenz war. Ihre Bücher, die seitdem entstanden sind, haben sich immer wieder mit Natur beschäftigt, und dem was der Mensch darin sieht, auch und gerade als Hilfe nach dem traumatischen Erlebnis. Die japanische Landschaft liefert dieser kongenialen Beobachterin nun die passenden Motive, um diese Auseinandersetzung fortzuführen.

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