Süddeutsche Zeitung

"Catherine Called Birdy" auf Amazon Prime:Heiraten? Nö, lieber nicht

Die feministische Zündlerin Lena Dunham hat einen familienfreundlichen Kostümfilm gedreht. Man staunt: So gut wie mit "Catherine Called Birdy" war sie lange nicht.

Von Annett Scheffel

Eine provokative Erfolgs-Serie, polternde Auftritte, der eine oder andere Shitstorm - Lena Dunham ist eine kontroverse Figur. Mit dem Indie-Film "Tiny Furniture" und ihrer ironischen Millennial-Nabelschau-Serie "Girls" wurde die Filmemacherin vor etwa zehn Jahren bekannt. Ihre unangepasste und explizite Art machte sie zu einer prägenden Stimme ihrer Generation; man hasste und man liebte sie. Was die New Yorker Regisseurin und Drehbuchautorin aber auf jeden Fall nicht ist: jemand, von dem man einen familienfreundlichen Kostümfilm erwartet. So einen wie den, der nun bei Amazon Prime startet.

"Catherine Called Birdy" ist eine Coming-of-Age-Komödie, die im 13. Jahrhundert spielt. Und ja, inszeniert hat diesen Feel-good-Film tatsächlich Lena Dunham - hinreißend liebevoll, witzig und modern. Genauer betrachtet, verlässt die 36-jährige Filmemacherin ihr bekanntes Terrain aber nur wenig. Die für Dunham so typische Erzählstimme, ihre Haltung - das Aufmüpfige, der spitze Humor, die Themen - all das ist immer noch da. Nur dass man sich das jetzt auch guten Gewissens mit Zwölfjährigen anschauen kann.

Überraschend ist das vor allem, weil Dunhams letzte Arbeit "Sharp Stick", die in diesem Jahr auf dem Filmfestival in Sundance lief, noch einmal alles an sexueller Provokation auffuhr, was man sich von Dunham vorstellen kann. Mit "Catherine Called Birdy" erfüllt sie sich nun einen Kindheitswunsch: Der Film ist eine Adaption des von ihr geliebten gleichnamigen Jugendromans von Karen Cushman. Dunham hat nicht nur das Drehbuch geschrieben und Regie geführt, sondern auch produziert.

Bella Ramsey hat ein Gesicht wie eine mittelalterliche Madonna und einen sehr gegenwärtigen Furor

Die Handlung ist so simpel wie unterhaltsam, erzählt aber viel über die gesellschaftliche Rolle von Frauen im Mittelalter. Das Publikum folgt der charismatischen vierzehnjährigen Titelheldin, es ist das Jahr 1290, und Lady Catherine, von allen nur - ja, genau - Birdy genannt, ist gerade an jenem heiklen Scheitelpunkt zum Erwachsensein angekommen, den ihre Amme "die Dame in Rot" nennt. Dunham inszeniert diesen Schreck der ersten Menstruation mit viel Humor, Einfühlungsvermögen und mittelalterlichen Stofflappen. Da Birdy nun offiziell im heiratsfähigen Alter ist, will der mittellose Vater so schnell wie möglich eine rentable Ehe arrangieren. Das wiederum ist aber so ziemlich das letzte, was die Tochter will. Birdy ist laut und rebellisch, sie hat ihre eigene, wenn auch naive Vorstellung von ihrem Recht auf Unabhängigkeit. Und so lässt sie sich so manchen Streich einfallen, um die Bewerber loszuwerden und weiter ungestört auf den matschigen Feldern herumtoben zu können.

Gespielt wird Birdy mit unbändiger Energie von "Game of Thrones"-Star Bella Ramsey. Die britische Schauspielerin hat ein Gesicht wie eine mittelalterliche Madonna und einen Furor, mit dem sich wohl viele heutige junge Zuschauerinnen identifizieren können werden. Ohne sie würde der Film nur halb so gut funktionieren. Aber auch Dunham hat hervorragende Arbeit geleistet, seit den Anfängen mit "Girls" hat sie nicht mehr so gut inszeniert: "Catherine Called Birdy" ist kreativ, mit der genau richtigen Balance zwischen historisch korrekten Details und erzählerischen Freiheiten. Der Film ist warmherzig und publikumsfreundlich. Dennoch ist er ganz klar und unmissverständlich ein Dunham-Film. Die Themen und Fragestellungen sind dezidiert feministisch. Die Dialoge erfrischend temporeich. Der Blick auf diese Zeit der Pubertät und des Übergangs - die für alle Frauen, auch für jene im 21. Jahrhundert einschneidend ist - ist scharfsinnig und gespickt mit kleinen und großen Wahrheiten.

Kurz meint man deswegen in der Hauptfigur eine Wiedergängerin ihrer "Girls"-Rolle Hannah Horvath zu entdecken. Aber Dunham hält sich an den unschuldigen, optimistischen Grundton der Vorlage. Sie widersteht der Versuchung, tiefer in die hässlichen Schichten der mittelalterlichen Gesellschaft zu graben. Birdy ist keine Hannah. Sich die Hände nicht mit Sozialkritik schmutzig zu machen, zumindest dieses eine Mal, ist die beste Entscheidung, die sie hätte treffen können.

Catherine Called Birdy, USA 202s - Regie und Buch: Lena Dunham (nach einem Roman von Karen Cushman). Mit: Bella Ramsey, Andrew Scott, Joe Alwyn. Amazon Prime, 108 Minuten. Streamingstart: 7.10.2022.

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