Castorf inszeniert Handke:Kleine Feuer überall

Pressebilder: Wiener Burgtheater. Mavie Hörbiger. Stück von Handke.

Tatort Küche: Mavie Hörbiger in verdächtiger Pose.

(Foto: Matthias Horn)

"Zdeněk Adamec" erzählt die Geschichte eines vergessenen Märtyrers in Prag. Am Wiener Burgtheater werden daraus vier respektvolle Stunden bei Bier, Würstchen und Witzen auf Kosten des Regisseurs.

Von Wolfgang Kralicek

Obwohl auch das vielleicht ein spannendes Experiment wäre, inszeniert Frank Castorf am Wiener Burgtheater nicht alle Stücke dieser Spielzeit. Aber nur zwei Wochen nachdem der Berliner Regisseur im Akademietheater Elfriede Jelineks Corona-Stück "Lärm. Blindes Sehen. Blinde sehen!" zur Premiere gebracht hatte, folgte im großen Haus nun seine Inszenierung von Peter Handkes "Zdeněk Adamec". Das durch pandemiebedingte Verschiebungen entstandene Castorf-Doppel war so nicht geplant, aber allemal reizvoll. Man konnte gespannt darauf sein, wie der Regisseur, der mit Gegenwartsdramatik sonst wenig am Hut hat, mit den jüngsten Dramentexten der österreichischen Literaturgranden Jelinek und Handke umgehen würde.

Beide Aufführungen sind unverkennbar Castorf-Inszenierungen, es gibt Parallelen und Ähnlichkeiten, es gibt aber auch große Unterschiede - vor allem, was die Textfassungen betrifft. Während der Jelinek-Abend höchstens zur Hälfte mit Jelinek-Text bespielt wird und der Rest aus verschiedenen anderen Quellen stammt, kommt in "Zdeněk Adamec" überwiegend Originaltext auf die Bühne. Obwohl Castorf und Handke sehr verschiedene Menschen und Künstler sind, begegnet der Regisseur dem Text in seiner ersten Handke-Inszenierung also betont respektvoll.

"Zdeněk Adamec" ist ein literarisches Denkmal für einen vergessenen Märtyrer unserer Zeit. Am Morgen des 6. März 2003 - 34 Jahre nach Jan Palach - übergoss sich der 18-jährige Zdeněk Adamec auf dem Prager Wenzelsplatz mit Benzin und zündete sich an. Die Beweggründe für seine Tat erläuterte Adamec in einem langen offenen Abschiedsbrief, in dem er den Zustand der Welt ("Drogen, Gewalt, Geld und Macht") beklagt, die Schaffung einer "totalen Demokratie" fordert und sich selbst als "weiteres Opfer des Systems" bezeichnet. "Bitte, macht keinen Irren aus mir!", schreibt er am Ende. Trotzdem ist genau das passiert, die meisten hielten Adamec für einen armen Spinner, und seine Verzweiflungstat war bald vergessen. Die Sympathien, die Handke für den lebensmüden Kapitalismusgegner hegt, teilt Castorf offensichtlich.

Zdeněk Adamec stammte aus der Kleinstadt Humpolec, für die knapp 100 Kilometer lange Fahrt nach Prag nahm er den Bus. Das von Aleksandar Denić gestaltete Bühnenbild beinhaltet deshalb eine Bushaltestelle; gleich daneben steht ein Häuschen für die per Live-Video übertragenen Innenraumszenen, die es natürlich auch in dieser Castorf-Inszenierung gibt. Auch Reklamesujets sind bei Denić/Castorf obligatorisch; die meisten nehmen diesmal Bezug auf das bittere Ende: "Let's Start Burning!" (Fitnesstraining), "Burn" (Energydrink), "Fire Walk With Me" (Film). Teil des Bühnenenvironments ist auch die Anzeigetafel des örtlichen Fußballvereins (AFC Humpolec), auf der Matchuhr kann man nachsehen, wie lange der Abend schon dauert.

Bei Handke taucht der Titelheld gar nicht auf. Bei Castorf gibt es gleich zwei Adamec-Darsteller

Mehr als vier Stunden werden es am Ende gewesen sein. Für eine Castorf-Inszenierung ist das grundsätzlich nicht viel; hier erstaunt es, weil das Stück nicht besonders umfangreich ist. Schon daran erkennt man, dass Castorf sich Zeit lässt, nicht aufs Tempo drückt (abgesehen davon, dass anfangs gleich einmal rasante Videobilder eines Autocross-Rennens aus Humpolec zu sehen sind). Im Stück unterhält sich eine nicht näher definierte Gruppe Menschen über Zdeněk Adamec. Während der Titelheld bei Handke gar nicht auftritt, gibt es bei Castorf gleich zwei Adamec-Darsteller: Vor der Pause übernimmt Marie-Luise Stockinger den Part; ihre durch Wodka aus einer Kalaschnikow-Flasche befeuerte Wutrede gehört zu den ganz großen Momenten des Abends. Gegen Ende deklamiert Franz Pätzold lange Passagen aus Adamec' Abschiedsbrief - einer der wenigen Fremdtexte, auf die Castorf in dieser Inszenierung zurückgreift.

Die sieben Schauspielerinnen und Schauspieler besaufen sich mit Dosenbier, grillen Würstchen und überschütten einander mit brühend heißer Gemüsesuppe; einer geht, in der spektakulärsten Szene des Abends, sogar als Burning Man über die Bühne. Auch die üblichen Insiderwitze - etwa über die vielen Kinder des Regisseurs ("sieben Mal Ja zum Leben!") oder die finanziellen Möglichkeiten des Burgtheaters ("Ich war in ,Faust' an der Volksbühne dabei, und das hat die Hälfte gekostet!") - werden gerissen. Trotzdem ist die Stimmung ruhiger, als man das von einer Castorf-Inszenierung gewohnt ist.

Wie ernst es dem Regisseur ist, wird spätestens dann klar, wenn vollkommen unironisch zwei kritische Lieder von Georg Danzer - "Zehn kleine Fixer" und "Die Freiheit" - eingespielt und mitgesungen werden. In einem Interview mit der Wiener Zeitung hat Castorf sich vor der Premiere als Danzer-Fan geoutet: "Bob Dylan ist einer meiner liebsten Literaturnobelpreisträger", sagt er da, "obwohl Georg Danzer die Auszeichnung auch verdient hätte." Dass er die Literaturnobelpreisträger Jelinek und Handke in diesem Zusammenhang nicht erwähnt, könnte eine versteckte Pointe sein.

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