Er hat ihn entdeckt und gefördert, er hat ihn bewundert und ist vor ihm erschrocken. Er hat in Gesprächen mit Dritten sogar über ihn geschimpft. Ein kleiner, gewichtiger Aufsatz lässt sich als unadressiertes, liebevoll mahnendes Sendschreiben an ihn entziffern: Goethes Reaktionen auf Caspar David Friedrichs Kunst sind so zwiespältig, dass sie mehr Erkenntnisse versprechen als die gefühlige Schwärmerei, die dieses Jubiläumsjahr zu Friedrichs 250. Geburtstag zu einem Massenerfolg gemacht hat.
Den Rang haben Goethe und sein trockener Kunstberater Meyer sofort erkannt, als Friedrich ihnen 1805 zwei Sepia-Blätter zum Weimarer Preisausschreiben einreichte. Eigentlich kamen sie außer Konkurrenz, denn Friedrich zeigte weite Landschaften mit riesigen leeren Himmeln, nicht den verlangten mythologischen Stoff. Und doch bekam er eine der Auszeichnungen, die Blätter wurden angekauft. Bis 1810 sah Goethe überhaupt nur solche „Sepien“, aber Friedrichs überragende Begabung stand trotzdem fest.
Schopenhauers Mutter war entsetzt: „Welch ein Bild des Todes ist diese Landschaft!“
1810 besuchte Goethe ihn dann in seinem Dresdner Atelier und notierte: „Zu Friedrich. Dessen wunderbare Landschaften. Ein Nebelkirchhof, ein offnes Meer.“ Es handelt sich um die bis heute berühmtesten, später für Berlin erworbenen Friedrich-Bilder, den „Mönch am Meer“ und die „Abtei im Eichwald“. „Wunderbar“: das ist im Sprachgebrauch damals weniger unspezifisch als heute, es hat immer noch den Beiklang des Magischen, von Zauberei. Und so zeigt es auch schon den Zweifel, die Befremdung: Diese Kunst übersteigt menschliches Maß, die winterliche Abtei hat nichts von der Lebenslustigkeit holländischer Winterbilder mit ihren Schlitten und Schlittschuhläufern, so monierte Goethe im Gespräch mit dem Bildhauer und Zeichner Schadow. „Hier ist Kälte, Hastereien, Hinsterben und Trostlosigkeit.“
Dass das keine Einzelmeinung war, zeigt eine kluge Rezension, die Johanna Schopenhauer (die Mutter des Philosophen und der von Thomas Mann bekannten Adele) fürs Weimarer Journal des Luxus und der Moden formulierte: „Welch ein Bild des Todes ist diese Landschaft! Wie schauerlich, wie hoffnungslos leer ohne den ewigen Stern der Liebe, der oben blinket.“
Eine Malerei des Todes im Herzen der Weimarer Klassik: Das benennt die Spannweite, das Problem, das die Ausstellung erklärt, mit der die Weimarer Klassik-Stiftung das Friedrich-Jahr beendet. Eine „wunderbare“, intelligente, nachdenkliche Präsentation des gesamten in Goethes Epoche aufgebauten Friedrich-Bestandes, soweit er erhalten ist: der von ihm selbst erworbenen Blätter, der Bilder des Herzogs und seiner Frau, und der Sammler und Künstler im Umfeld, samt Dokumentation der über die Bilder geführten Diskurse. Dass man hier nicht nur schauen, sondern auch lesen und mitdenken darf, zeigt ein begleitendes Heft mit Quellenzeugnissen außerhalb des unbedingt zu rühmenden Katalogs.
Man liest darin auch Gedichte und Dramenpassagen, auf die Friedrich sich bezog, von Schiller und von Goethe. Die Sendung seiner Blätter nach Weimar 1805 war auch ein Tribut an die eigenen literarischen Grundlagen: Sie dankte für Wirkungen. Wie nah Goethes Zeichnen in der frühen Weimarer Zeit Friedrichs späteren Bildfindungen war, das konnte der Maler dabei noch gar nicht wissen, aber die Besucher der Ausstellung können es erleben. Der Brocken im Nebelmeer, Monde auf blauem Papier über hingehauchten Vegetationen, dampfende Nebel in Ilmenauer Wäldern: Diese Goethe-Blätter wirken genauso streifenhaft, randlos, dass man auch sie auf den Kopf stellen und verkehrt herum anschauen könnte, wie Goethe es in einem weiteren Ausbruch des Ärgers über Friedrichs Bilder behauptete.
Diese etwas satirische Kritik (wenn sie von Sulpiz Boisserée korrekt notiert wurde) nähert sich treffend der Abstraktion, die hinter Friedrichs Erfindungen schon lauert, etwa in den auffälligen, fast geometrischen Symmetrien, die seine Landschaften zeigen. Dazu kommt das Religiöse, Allegorische, Mystische von Friedrichs Symbolwelten. Das allein hätte Goethe und seinen Adlatus Meyer vielleicht noch nicht gestört. Verstörend war, dass die Menschen in diesen Bildern immer wie Verlorene aussehen, einsam in einem übergroßen, leeren Universum.
Goethe wetterte gegen die Tendenz des „Deutsch-Religios-Christlichen“ der neuen romantischen Kunst
Das debattierende Befremden verhinderte nicht, dass in Weimar Friedrich gekauft wurde, allein fünf Gemälde im Jahre 1810 vom Herzog Carl August selbst, nachdem die Herzogin Louise schon 1808 eine monumentale Zeichnung „Hünengrab am Meer“ für ihre Privaträume erworben hatte. Im Katalog wird vermutet, dass das Herzogpaar die patriotisch-politischen Subtexte schätzte, ihre antifranzösischen Botschaften, das Deutsch-Christliche. Gegen diese Tendenz, das „Deutsch-Religios-Christliche“ der neuen romantischen Kunst, ließen nun Goethe und Meyer 1817 harte Donnerworte erschallen, ästhetisch konservativ, politisch hellsichtig.
Auf „Huttens Grab“, das möglicherweise um 1826 nach Weimar kam, platzierte Friedrich die Namen zeitgenössischer Autoren wie Arndt, Jahn, Görres, den des Freiherrn vom Stein und zweier Befürworter der griechischen Befreiungskämpfe namens Krug und Tzirschner, die jetzt erst für die Weimarer Ausstellung wieder lesbar gemacht wurden: ein Programm des neuen, schon völkischen Nationalismus, das Goethe zuwider war.

Angesichts solcher Funde ist es schade – und die einzige Kritik an dieser Ausstellung –, dass man darauf verzichtet hat, Goethes Aufsatz „Ruysdael als Dichter“ einzuspielen. Hier entwarf Goethe, wie Ernst Osterkamp gezeigt hat, anhand dreier Gemälde, die schon damals in Dresden hingen, eine Anti-Friedrich-Ästhetik, und zwar in bestimmter Negation, weil er Werke des Holländers auswählte, die thematisch den Interessen Friedrichs nahestanden: Friedhof, Ruine, Natur am Rande der Zivilisation. Aber Ruysdael (wie Goethe ihn schrieb) entwarf eben erzählbare Kontinuen von Natur und Menschenwerk. Dass man in Weimar jetzt der Dresdner Friedrich-Schau keine Konkurrenz machen wollte und sich auf eigene Bestände verließ, ist naheliegend – darum darf man jedem Besucher trotzdem Goethes Fünf-Seiten-Essay und Osterkamps Kommentar dazu ans Herz legen.
Aber noch viel mehr wird jetzt in Weimar gezeigt: das romantische Umfeld, auf das Goethe auch reagierte, Runges Tageszeiten, die kleinen Bilder von Carus, die überwältigend schönen, intimen Rückenansichten von Kersting. Das weiblich dominierte „Netzwerk“ zwischen Weimar und der Dresdner Romantik wird sichtbar. Dazu kommt Goethes eigener Einfluss auf die Kunst seiner Epoche, durch die Illustrationen zu seinen Werken. Außerhalb Deutschlands gilt Goethe ja als Romantiker, in den vielen Illustrationen von Delacroix bis Schwind versteht man, warum.
Ein Clou wartet in einer technisch-konservatorischen Abteilung: Dort wird gezeigt, wie mithilfe künstlicher Intelligenz ein womöglich unten abgeschnittenes Bild, die „Bergkette mit Mond“, ergänzt werden könnte, aus dem Corpus der erhaltenen Landschaften Friedrichs. Das womöglich schönste, Goethe-nächste Bild der Weimarer Sammlung, die „Rügenlandschaft mit Regenbogen“ kann nur mit einem Platzhalter gezeigt werden, denn es wurde 1945 wahrscheinlich von amerikanischen Soldaten entwendet – irgendwo mag es noch existieren.
Dieses herrliche Bild reagiert auf Goethes Gedicht „Schäfers Klagelied“, einen langen Wehmutseufzer in liedhaften Reimen, der wieder zeigt: Wenn Goethe Reserven zeigte, dann, weil er wusste, wovon Friedrichs ihn verstörende Bilder sprachen.
Caspar David Friedrich. Goethe und die Romantik in Weimar. Schiller-Museum Weimar, bis 2. März.