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Casanova-Ausstellung in Paris:Vom Priesteraltar zum Frauenverführer

Keiner war so bekannt für seine Verführungskünste und Frauengeschichten wie er: Giacomo Casanova. Ausführlich schilderte der Libertin des 18. Jahrhunderts seine zahlreichen Liebschaften. Die Französische Nationalbibliothek in Paris feiert ihn nun mit einer Ausstellung. Sie zeigt Facetten seines Lebens, die überraschen.

Joseph Hanimann

Die Erwartungen lagen hoch, die Ausstellung sollte auf der Höhe des Ereignisses sein, das sie zu feiern versprach. Im Februar 2010 war mit der Einigung zwischen den Erben des Verlegers Friedrich Arnold Brockhaus und dem französischen Kulturministerium die bislang teuerste Manuskripttransaktion getätigt worden.

Das auf Französisch verfasste Manuskript von Casanovas Memoiren "Histoire de ma vie", das seit 1821 im Besitz der deutschen Verlegerfamilie war, ging für sieben Millionen Euro an die Bibliothèque Nationale de France. Ein verborgener Schatz im Keller der deutsch-französischen Beziehungen wurde gehoben. Eine große Ausstellung werde diesem Ereignis die Ehre machen, hieß es damals. Da ist sie nun, die Casanova-Schau. Wird sie dem Sensationsankauf gerecht? Werden neue Züge des großen Verführers sichtbar?

Szenographisch ist die Ausstellung etwas vom Reizvollsten, was bisher in den Räumen der Nationalbibliothek zu sehen war. In zehn Sälen wandern wir auf den Spuren Casanovas durch Licht und Halbschatten der europäischen Aufklärung. Der munter sprudelnde Plauderton der Memoiren, der auf den Manuskriptblättern weitgehend ohne Streichungen auskommt, hat seine dunklen Untertöne.

Das kam schon aus der Schreibsituation. Der Vierundsechzigjährige langweilte sich auf dem böhmischen Schloss Dux, als er 1789 mit dem Aufschreiben seiner Lebenserinnerungen begann. "Wenn ich nicht schlafe, träume ich, und wenn ich des Träumens leid bin, träufle ich Trübsinn aufs Papier, dann lese ich es durch und verwerfe das meiste - die verfluchte Revolution Frankreichs bedrückt mich den ganzen Tag", schrieb er an die Prinzessin von Clary. Sein irischer Arzt Jacobus O'Reilly tröstet ihn in einem Brief auf Lateinisch und verfällt dann plötzlich ins Französische: "Mais mon cher ami" - gehen Sie doch in Gedanken die schönen Tage durch, die Sie in Venedig und anderswo verbracht haben!

Der Italiener ist dem Rat gefolgt. Mit dunklen Schlosssaalkulissen wird im Eingangssaal der Ausstellung die Situation des alternden Verführers, Eroberers und Spielers suggeriert, der unwillig aus der Genusswelt des Ancien Régime in eine ungewisse neue Epoche, aus dem Aristokratenprivileg in die dämmernde Bürgermoral, aus dem Empfindungsraffinement eines Fragonard in die Fratzenphysiognomie eines Goya oder William Hogarth stolperte.

Umso heller leuchten die Erinnerungen aus dem Venedig der Kindheit. Die Stadt ist ein einziges Theater, nicht nur in den heiteren Ansichten Canalettos und Guardis, sondern auch in den barocken Jahrmarkt-Spiegelkästen oder in der Kulissenstaffelung des Theaters San Samuele, an dem Casanovas Eltern schauspielerten, von Gabriele Bella gemalt. Vom Altar, zu dem die Priesterausbildung den jungen Casanova zunächst brachte, führte der Weg bald hinaus in die weite Welt. Zwei vorzügliche Leihgaben aus dem Schloss Versailles bezeugen diese Entwicklung. Ein großformatiges Gemälde von Francesco Casanova, Giacomos jüngerem Bruder, zeigt hinter dem Großwesir die Stadt Konstantinopel, wie der junge Giacomo sie bei seinem Besuch vorfand. Von dort führte der Weg bald weiter zu den Frauen.

Das Bild "Madame Henriette de France mit der Bass-Viola" von Jean-Marc Nattier, das Casanova in einem Pariser Salon gesehen haben könnte, schlägt eine mögliche Verbindung zur ominösen Französin in Parma, die in den Memoiren unter dem Namen "Henriette" eine wichtige Rolle spielt. Sicher ist hingegen die Identität der Porträtierten auf einem anderen Gemälde Nattiers, aus der Londoner National Gallery: Manon Balletti, mit der Casanova nach seiner legendären Flucht 1756 aus den Bleikammern Venedigs in Paris sich verlobte.

Der Italiener war aber nicht nur ein Frauenheld und ein Abenteurer, sondern auch ein Gelehrter, Unternehmer, Erfinder mit einer unermüdlichen Wissensgier - so sucht die Ausstellung weiter zu zeigen. Ein spezieller Porträt-Saal würdigt Casanovas vielfältige Begegnungen, mit den Enzyklopädisten wie mit Papst Clemens XIII., mit Winckelmann und Albrecht von Haller, mit dem Maler Anton Raphael Mengs, mit Rousseau und mit dem hoch geschätzten Voltaire. An der Einführung der Lotterie für die Königliche Militärschule in Paris, an der Casanova aktiv mitwirkte, scheint neben d'Alembert auch Diderot beteiligt gewesen zu sein, wie ein Blatt aus dem Diderot-Fonds der Nationalbibliothek nahelegt. Für die russische Kaiserin Katharina II. wiederum entwickelte Casanova ein Ackerbauprojekt, für Kaiser Joseph II. schrieb er einen Traktat über Wucherzinsen, in der Stadt Warschau wollte er eine Seifenfabrik eröffnen, mit Friedrich II. spazierte er durch den Park des Schlosses Sanssouci und wunderte sich über dessen Wendigkeit im Themenwechsel bei der Konversation.

Das Jahrhundert, das die Wissenschaft als eine höhere Form der Verführungskunst pflegte, stand diesem unermüdlichen Bummler zwischen den Höfen vorzüglich. Weder von restaurativer Feudalherrschaft, noch von progressiver Bürgermoral wollte er sich seine Freiheit nehmen lassen.

Das zeigte sich gerade in der Hingabe fürs Spiel, die für Casanova oft Zeitvertreib und Lebensunterhalt war. Die Spielernatur wird in der Ausstellung vielfach beleuchtet, von der neckischen Blickverdrehung in Pietro Longhis Bild "Il Ridotto" bis zur stummen Anspannung im "Billardspiel" von Jean-Baptiste Chardin.

Und selbst das Reisen war für Casanova eine ernste Sache, die sorgfältig vorbereitet sein wollte. Die Ausstellung zeigt ein Notizblatt, das die Poststationen von Hamburg über Magdeburg bis Leipzig aufführt, und ein Blatt mit dem Titel "Was ich nach Dresden mitnehmen muss" aus dem Jahr 1797 erwähnt die notwendigen Gegenstände: Kamm, Morgenrock, Schuhe, fünf Hemden und, nicht zu vergessen, Hefte, Briefpapier, spanischen Siegelwachs. So freizügig und wenig retuschiert die Schrift auf den großformatigen Papierbögen von Casanovas Memoiren durch die Ausstellungsvitrinen läuft, so klar zeigen die Arbeitspapiere mit Listen von Themen und Namen doch auch eine planende Absicht dahinter.

Die "Geschichte meines Lebens", die wir heute in den unterschiedlichsten Ausgaben lesen, beruht auf der Edition des französischen Originals aus den Jahren 1960-62 bei Brockhaus. Der Ankauf des Manuskripts durch die Bibliothèque Nationale ist Anlass zur digitalen Erfassung und zu einer kritischen Textausgabe - der ersten - ab dem kommenden Jahr bei Gallimard in der Pléiade-Reihe. Die Ausstellung der Nationalbibliothek schafft Vorfreude darauf. Sie holt den Autor aus dem Klischee des Frauenverführers, mag auch die Profilabstufung nicht immer ganz überzeugen und etwa der Freimaurer Casanova zu massiv, der politische Stratege zu schmal geraten sein.

Casanova, la passion de la liberté. Bibliothèque Nationale de France, bis zum 19. Februar 2012. Der Katalog mit ausführlichem Faksimile-Teil kostet 49 Euro.

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SZ vom 30.11.2011/rela
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