Caricatura Museum feiert Marie Marcks:Es brennt!

Zeichnend kämpfte sie für Frauenrechte, gegen Atomwaffen oder Fremdenhass und wurde so zu einer der bedeutendsten Karikaturistinnen der Bundesrepublik. Eine Ausstellung in Frankfurt feiert nun Marie Marcks, die neunzig Jahre alt wird. Sie zeichnet immer noch. Dürfen wir also auf weitere Werke hoffen? Es wäre wunderbar!

Christoph Haas

Engel tummeln sich am winterlichen Himmel. Eine große Schar, die meisten von ihnen in hellem Weiß. Unten sind die Menschen, schwarze Silhouetten, die Weihnachtsbäume mit sich tragen. Dazu das Getriebe einer modernen Großstadt: Autos, hohe Häuser, kräftig qualmende Fabrikschornsteine - und die Kühltürme eines Atomkraftwerkes. Schöne neue Zeiten!

Die Grußkarte, die Marie Marcks zu Neujahr 1958 anfertigte, enthüllt eine Seite der Zeichnerin, die den meisten ihrer vielen Leser unbekannt sein dürfte. In Berlin geboren, war der jungen Frau das Talent in die sprichwörtliche Wiege gelegt worden: Ihr Vater war Architekt, die Mutter, eine Meisterschülerin von Emil Orlik, leitete eine private Zeichenschule. Mit ihrem Onkel, dem Bildhauer Gerhard Marcks, verband sie bis zu dessen Tod eine enge Beziehung; außerdem stand sie ihm Modell. Nach einem abgebrochenen Studium zog sie 1948 nach Heidelberg und begann als Malerin und freie Grafikerin zu arbeiten.

Die ersten Bilder, die in der Ausstellung im Caricatura Museum in Frankfurt zu sehen sind, stammen aus dieser Zeit. Es sind fast durchweg lokal orientierte Werbearbeiten: für einen Club amerikanischer Offiziere, für Faschingspartys und den studentischen Filmclub, für den Jazzkeller "Cave 54", in dem der junge Fritz Rau seine Karriere als Konzertveranstalter begann.

Das ist alles mit Witz und Eleganz ausgeführt, im damals üblichen karikaturistischen Stil, der gerne auf die Errungenschaften der kurz zuvor noch verfemten ästhetischen Moderne zurückgriff; als Einflüsse sind Picasso, Cocteau und die expressionistische Druckgrafik bemerkbar.

Danach kam ein Bruch, in weltanschaulicher wie ästhetischer Hinsicht. Ab Anfang der Sechziger Jahre begann Marie Marcks als politische Karikaturistin zu arbeiten, zunächst für die sozialwissenschaftliche Zeitschrift atomzeitalter, dann für viele andere Publikationen, unter anderem bis 1988 auch für die Süddeutsche Zeitung.

Attacken gegen die Lobbyarbeit der Atomindustrie

Unmittelbar neben der Karte zum Jahreswechsel hängt in Frankfurt eine Collage, in der sich ein von K. F. Schinkel entworfener Kelch und C. D. Friedrichs "Kreuz im Gebirge" zum Umriss eines Atomkraftwerks vereinen. In dem schmutzigen Rauch, der aus dem Kelch aufsteigt, steht der Satz: "Die Gesellschaft für Reaktor-Sicherheit lädt ein zum fröhlichen Umtrunk." Die Lobbyarbeit der Atomindustrie und die nahezu religiöse Verehrung der von ihr propagierten Technik hat Marie Marcks immer wieder attackiert.

Pionierin in einem männlichen Gewerbe

Dabei blieb es allerdings nicht. Rüstungswettlauf und Friedensbewegung, Vergangenheitsbewältigung, Neonazismus und Ausländerhass, Kindererziehung und Bildungspolitik, Gleichberechtigung und Feminismus - zu jedem dieser nach 1968 brisanten Themen hat Marie Marcks zeichnerisch Stellung bezogen.

Marie Marcks

Marie Marcks zeigt in ihrem Haus in Heidelberg eine ihrer ältesten Karikaturen: Ob zum Rüstungswettlauf oder der Friedensbewegung, der Vergangenheitsbewältigung, dem Neonazismus und Ausländerhass, der Kindererziehung und der Bildungspolitik, der Gleichberechtigung und dem Feminismus - zu jedem dieser nach 1968 brisanten Themen hat Marie Marcks zeichnerisch Stellung bezogen. Und darauf beruht ihr berechtigter Ruhm.

(Foto: dpa)

Darauf beruht ihr berechtigter Ruhm - und auf der Tatsache, dass sie eine Pionierin war in einem lange ausschließlich männlichen Gewerbe. Die Ausstellung zeigt allerdings auch, dass nicht alle ihrer Arbeiten gut gealtert sind. Manchen von ihnen merkt man den Druck der Tagesarbeit an, unter dem sie entstanden sind, und aus heutiger Sicht stört ein wenig der ständig erhobene Zeigefinger, das offenbar ungetrübte Bewusstsein, sich auf der Seite der Aufklärung und des Fortschritts zu befinden.

Für die Widersprüche, die sich aus den eigenen Positionen ergeben können, gibt es bei Marie Marcks - anders etwa als in Chlodwig Poths "Mein progressiver Alltag" - kaum einen Platz. Die seltenen Ausnahmen, wo dies der Fall ist, sind sehr komisch. Da beschließt eine Versammlung von Wissenschaftlerinnen aus geschlechterpolitischen Gründen ihr "Clara-Schumann-Symposion" in "Clara-Schufrau-Symposion" umzubenennen. Und zu Zeiten des NATO-Doppelbeschlusses flieht das Alter Ego der Künstlerin mit einem gequälten "Help!" vor kitschigen weißen Tauben und fetten "Künstler für den Frieden"-Schriftzügen. Der Titel dieser Zeichnung: "Die Vögel" - eine Anspielung auf den gleichnamigen Thriller von Hitchcock.

In den achtziger Jahren entwickelte sich Marie Marcks in bemerkenswerter Weise noch einmal künstlerisch weiter. Sie begann die Farbe zu entdecken, zugleich wurde ihr Strich weicher, ruhiger - beides möglicherweise unter dem Einfluss des von ihr sehr verehrten Hans Traxler.

Einige sehr starke Beispiele hierfür sind zu sehen, etwa ein Blatt, das in drei stummen Bildern die Entwicklung des Verhältnisses einer Mutter und ihrer Tochter über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnten skizziert. Mit "Marie, es brennt!", der mit Buntstiften gezeichneten Geschichte ihres Lebens zwischen 1922 und 1968, hat Marcks schließlich den aktuellen Boom der autobiografischen Comics um viele Jahre brillant vorweggenommen. Der erste, 1984 erschienene Teil ist in Frankfurt komplett im Original zu betrachten.

An diesem Samstag feiert Marie Marcks ihren 90. Geburtstag. Sie zeichnet immer noch. Dürfen wir also auf weitere Werke hoffen? Es wäre wunderbar!

Marie Marcks. Bis 21. Oktober im Caricatura Museum für komische Kunst, Frankfurt/M. Infos: www.caricatura-museum.de. Kein Katalog.

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