Phillips befiehlt seiner Crew, sich zu verstecken und liefert sich selbst den Piraten aus. Mit dem Piraten Muse liefert er sich ein Katz und Maus-Spiel an Bord, das auch deshalb so spannend ist, weil die Handkamera zwar auf Hektik macht, aber dennoch nicht die Orientierung verliert. Das Schiff bleibt immer ein realer Ort, es wird nie zum bloßen Spielfeld für Verfolgungsjagden degradiert.
Aus dem Action-Thriller wird ein Psychodrama, als Phillips die Piraten tatsächlich vom Frachter vertreiben kann, diese mit dem Rettungsboot die somalische Küste erreichen wollen, aber Phillips als Geisel nehmen. Auch jetzt lässt Greengrass ein paar Standardmotive des Unterhaltungskinos glücklicherweise aus, so erwächst aus Phillips' Annäherung an seine Entführer nie eine Freundschaft. Schließlich geht es ums Geschäft, wie Musi gleich zu Beginn klargestellt hatte - was Folter oder Mord allerdings nicht ausschließt. In der klaustrophobischen Enge des Bootes, das bald belagert wird von einem Aufgebot amerikanischer Kriegsschiffe, wird auch Phillips Nervenstärke und Heldenmut zerrieben.
Auf den einzelnen Menschen, egal wie erfahren oder souverän, wie todesmutig, skrupellos oder verzweifelt, kommt es nicht mehr an. Während Phillips noch versucht, zu fliehen oder seine Entführer zum Aufgeben zu überreden, hat das amerikanische Militär seine Tötungsmaschine in Gang gesetzt.
Eiskalte Präzision
Das Rettungsboot darf nicht an die Küste kommen, lautet der Befehl, auf die Geisel wird im Zweifelsfall keine Rücksicht genommen. Selten hat man die eiskalte Präzision des amerikanischen Militärs so überzeugend dargestellt gesehen.
Tom Hanks, der nicht immer nur gute Filme gemacht hat, ist großartig in dieser Rolle, vor allem in der zweiten Hälfte, als der Captain zunehmend die Kontrolle über die Situation und auch über sich selbst verliert. Am Ende, da verrät man kein Geheimnis, wird er von den Navy Seals befreit, aber es ist kein Happy-End, das Erlösung verschafft. Hanks' Spiel vermittelt eine Ahnung davon, wie es ist, eine Katastrophe - physisch - zu überleben. Als eine Marineärztin ihn nach seiner Rettung untersucht, ganz standardgemäß, im kühlen Kommandoton ihren Fragebogen abarbeitet, kann er nur verstört gutturale Laute von sich geben. Mit seiner mutigen, uneitlen Darstellung ist der zweifache Oscarpreisträger jedenfalls Kandidat für eine weitere Trophäe.
Mindestens so bemerkenswert wie Hanks Spiel ist, wie Greengrass den Sieg über die somalischen Piraten inszeniert. Was ein Triumph der Amerikaner hätte sein können - immerhin in einem amerikanischen Unterhaltungsfilm -, ist in "Captain Phillips" eine Exekution, über die niemand jubeln kann, die selbst bei Phillips keine Erleichterung auslöst. Gefesselt, mit verbundenen Augen wird er vom Blut der Somalier bespritzt. Und weiß nicht, ob es nicht sein eigenes ist.
Captain Phillips, USA 2013 - Regie: Paul Greengrass. Buch: Billy Ray, nach dem Buch von Richard Phillips. Kamera: Barry Ackroyd. Mit: Tom Hanks, Catherine Keener, Barkhad Abdi, Barkhad Abdirahman, Verleih: Sony, 134 Minuten.