"Captain Phillips" im Kino:Kampf ohne Helden

Kinostarts - 'Captain Philipps'

Als "Captain Phillips" vermittelt Tom Hanks eine Ahnung davon, wie es ist, eine Katastrophe - physisch - zu überleben.

(Foto: dpa)

Tom Hanks spielt "Captain Phillips", der auf hoher See in die Hände somalischer Piraten gerät. Der Film beeindruckt auch durch seine semidokumentarische Darstellung. Ein schnörkelloser Thriller, der Spannung nicht dadurch erkauft, dass er Zusammenhänge simplifiziert.

Von Martina Knoben

Ein Mann tritt einen Job an, aber er ist besorgt. Den Sohn wolle er ungern allein lassen, erzählt er seiner Frau, die ihn zum Flughafen fährt, der Junge sei zu wenig ehrgeizig in diesen schweren Zeiten, hätte den Ernst der Lage ("dreißig Leute kämpfen um einen Job") nicht erkannt. Während das Ehepaar miteinander spricht, geht die Kamera immer wieder auf Distanz , es entsteht ein Gefühl der Verunsicherung.

Wir spüren: Captain Phillips (Tom Hanks) erzählt von seinem Sohn - aber er meint sich selbst. Wirtschaftskrise und globaler Konkurrenzkampf haben längst auch ihn erfasst, haben ihn gezwungen, einen Auftrag anzunehmen, der ihm Angst macht. Als Kapitän eines großen Frachtschiffes wird Phillips eine Ladung Lebensmittel von Oman nach Mombasa transportieren, am Horn von Afrika vorbei. Durch Piratengewässer.

Schon die elegante Exposition zeigt, was für intelligente Erzähler Paul Greengrass und sein Drehbuchautor Billy Ray sind. "Captain Phillips" ist ein packender, schnörkelloser Thriller, der seine Spannung nicht dadurch erkauft, dass er Zusammenhänge simplifiziert. In der Floskel "Big wheels are turning", mit der sich der Kapitän von seiner Frau verabschiedet, steckt schon das große Weltgetriebe, in das Phillips gerade gerät. Das Gefühl, dass es keinen sicheren Hafen mehr gibt, dürften nach Banken- und Finanzkrise viele Amerikaner teilen.

Real und gefährlich

Dem Film liegt ein wahrer Fall zugrunde. Im April 2009 wurde der amerikanische Frachter "Maersk Alabama" am Horn von Afrika von vier somalischen Piraten gekapert. Der Kapitän wurde als Geisel genommen und schließlich von den Navy Seals befreit. Kapitän Richard Phillips hat ein Buch über diesen Albtraum geschrieben, nach dem der Film entstand.

Es ist ein ungleicher Kampf, von dem hier erzählt wird, ein Kampf zudem, der beiden Seiten aufgezwungen wird, da gibt es keine Helden. Schon in seinen Filmen "Bloody Sunday" über den sogenannten Blutsonntag 1972 in Nordirland und "Flug 93", der die Ereignisse an Bord des United-Airlines-Fluges am 11. September 2001 nacherzählt, hatte Greengrass einen semidokumentarischen Ansatz verfolgt. Und dokumentarisch muten nun auch die Handkamerabilder an, die die somalischen Piraten zeigen, wilde, halbverhungerte Gestalten, die Kat kauen und die Zeit totschlagen, bis sie von Warlords unter Druck gesetzt werden, Beute zu machen. Wenn sie sich in winzigen Booten aufs Meer wagen, wirken sie auch deshalb so furchterregend, weil sie offenbar keine andere Wahl haben. Das macht sie nicht sympathisch - die nüchterne Darstellung der Piraten, die auch vor Mord nicht zurückschrecken, deren Motive aber nachvollziehbar werden, lässt diese Männer umso realer und gefährlicher wirken.

Greengrass wechselt immer wieder die Perspektive, von den Piraten zu Phillips und wieder zurück, das sorgt für Tempo. Und als sich Phillips und Muse (Barkhad Abdi), der Anführer der Somalier, mit Feldstechern gegenseitig in die Augen blicken, scheint das eine Auseinandersetzung Mann gegen Mann anzukündigen, wie man sie aus dem Unterhaltungskino kennt.

Dabei bietet sich Phillips als Identifikationsfigur an. Tom Hanks spielt ihn nuanciert-zurückhaltend, als graubärtigen Durchschnittsmann mit Brille und überdurchschnittlich guten Nerven, als einen Profi, wie ihn das amerikanische Kino liebt. Phillips kann die Piraten zunächst austricksen. Greengrass findet starke Bilder für das auch technisch bedingte Ungleichgewicht. So kommen etwa die Nussschalen der Somalier gegen die mächtige Heckwelle des Containerschiffes gar nicht an. Und als die Piraten es dann doch schaffen, mit winzigen Leitern das riesige Frachtschiff bei schwerer See zu entern, während sie aus zahllosen Schläuchen mit Wasser besprüht werden, ist das ein Kampf David gegen Goliath. Eine geradlinig inszenierte, hochdramatische Actionsequenz - gleichzeitig aber auch ein Abbild der globalen Machtverhältnisse und der kriminellen und terroristischen Energien, die daraus erwachsen.

Psychodrama statt Action

Phillips befiehlt seiner Crew, sich zu verstecken und liefert sich selbst den Piraten aus. Mit dem Piraten Muse liefert er sich ein Katz und Maus-Spiel an Bord, das auch deshalb so spannend ist, weil die Handkamera zwar auf Hektik macht, aber dennoch nicht die Orientierung verliert. Das Schiff bleibt immer ein realer Ort, es wird nie zum bloßen Spielfeld für Verfolgungsjagden degradiert.

Aus dem Action-Thriller wird ein Psychodrama, als Phillips die Piraten tatsächlich vom Frachter vertreiben kann, diese mit dem Rettungsboot die somalische Küste erreichen wollen, aber Phillips als Geisel nehmen. Auch jetzt lässt Greengrass ein paar Standardmotive des Unterhaltungskinos glücklicherweise aus, so erwächst aus Phillips' Annäherung an seine Entführer nie eine Freundschaft. Schließlich geht es ums Geschäft, wie Musi gleich zu Beginn klargestellt hatte - was Folter oder Mord allerdings nicht ausschließt. In der klaustrophobischen Enge des Bootes, das bald belagert wird von einem Aufgebot amerikanischer Kriegsschiffe, wird auch Phillips Nervenstärke und Heldenmut zerrieben.

Auf den einzelnen Menschen, egal wie erfahren oder souverän, wie todesmutig, skrupellos oder verzweifelt, kommt es nicht mehr an. Während Phillips noch versucht, zu fliehen oder seine Entführer zum Aufgeben zu überreden, hat das amerikanische Militär seine Tötungsmaschine in Gang gesetzt.

Eiskalte Präzision

Das Rettungsboot darf nicht an die Küste kommen, lautet der Befehl, auf die Geisel wird im Zweifelsfall keine Rücksicht genommen. Selten hat man die eiskalte Präzision des amerikanischen Militärs so überzeugend dargestellt gesehen.

Tom Hanks, der nicht immer nur gute Filme gemacht hat, ist großartig in dieser Rolle, vor allem in der zweiten Hälfte, als der Captain zunehmend die Kontrolle über die Situation und auch über sich selbst verliert. Am Ende, da verrät man kein Geheimnis, wird er von den Navy Seals befreit, aber es ist kein Happy-End, das Erlösung verschafft. Hanks' Spiel vermittelt eine Ahnung davon, wie es ist, eine Katastrophe - physisch - zu überleben. Als eine Marineärztin ihn nach seiner Rettung untersucht, ganz standardgemäß, im kühlen Kommandoton ihren Fragebogen abarbeitet, kann er nur verstört gutturale Laute von sich geben. Mit seiner mutigen, uneitlen Darstellung ist der zweifache Oscarpreisträger jedenfalls Kandidat für eine weitere Trophäe.

Mindestens so bemerkenswert wie Hanks Spiel ist, wie Greengrass den Sieg über die somalischen Piraten inszeniert. Was ein Triumph der Amerikaner hätte sein können - immerhin in einem amerikanischen Unterhaltungsfilm -, ist in "Captain Phillips" eine Exekution, über die niemand jubeln kann, die selbst bei Phillips keine Erleichterung auslöst. Gefesselt, mit verbundenen Augen wird er vom Blut der Somalier bespritzt. Und weiß nicht, ob es nicht sein eigenes ist.

Captain Phillips, USA 2013 - Regie: Paul Greengrass. Buch: Billy Ray, nach dem Buch von Richard Phillips. Kamera: Barry Ackroyd. Mit: Tom Hanks, Catherine Keener, Barkhad Abdi, Barkhad Abdirahman, Verleih: Sony, 134 Minuten.

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