Süddeutsche Zeitung

Capas Kriegsfoto - nur gestellt?:Ich hatt' einen Kameraden

Moment der Wahrheit und neue Vorwürfe: Was ist eigentlich noch echt am berühmten Foto "Loyalistischer Soldat im Moment seines Todes" von Robert Capa?

Javier Cáceres

"Die Wahrheit ist eine Kategorie, die sich im gleichen Maße verändert, wie wir neue Kenntnisse erlangen'', schreibt der mexikanische Schriftsteller Juan Villoro. Der Anlass dafür ist, dass der bisherige Wissensstand zu "Loyalistischer Soldat im Moment seines Todes"- dem legendären Foto des gleichsam legendären Kriegsfotografen Robert Capa aus dem Spanischen Bürgerkrieg (1936-1939) - um ein Detail erweitert worden ist. Die Tageszeitung El Periódico de Catalunya, die in Barcelona erscheint, ermittelte durch - wie sie schreibt - eigene Recherchen, wo das Foto geschossen wurde: vor den Toren eines kleinen, andalusischen Örtchens mit dem schönen Namen Espejo, der auf Deutsch "Spiegel" bedeutet und in der Provinz Córdoba liegt. Allerdings geht diese Neuigkeit, die El Periódico als Weltsensation in Szene setzte, auf José Manuel Susperregui zurück, einem spanischen Akademiker, der Espejo in seinem in diesem Sommer erschienenen Buch "Sombras de la fotografía" (Schatten der Fotografie) genannt hat.

Belegt wird dies nun durch einen Abgleich dieser und ähnlicher Capa-Fotos mit aktuellen Landschaftsaufnahmen aus Espejo. Sie beweisen, dass die schon öfter bezweifelte Annahme, Capas Foto sei im 50 Kilometer entfernten Cerro Muriano entstanden, auf einem kompletten Irrtum beruhen dürfte. Einerseits. Andererseits lassen sie auch die Zweifel an der Authentizität des Bildes ins Unermessliche wachsen. Die Debatte darum geht bereits auf das Jahr 1975 zurück, als Philip Knigthley den 1954 an der Front in Indochina umgekommenen Capa des Fakes bezichtigte. Seither ist die Diskussion um "Loyalistischer Soldat im Moment seines Todes" nicht abgerissen.

Der Ort des Fotos ist von enormer Bedeutung. Unstrittig ist, dass das Foto Anfang September 1936 entstand, als es zwar in Cerro Muriano Gefechte gab, nicht aber im 50 Kilometer entfernten Espejo, das damals in den Händen der linken Republikaner war. Erst Ende September wurden dort bei einem Angriff der Franco-Faschisten Schusswechsel registriert. Überdies sind aus den ersten September-Tagen keinerlei Aufzeichnungen oder Meldungen über Tote in Espejo überliefert. Das erschüttert die Theorie, dass der Milizionär auf dem Foto tatsächlich tödlich getroffen wurde.

Die verstorbene Capa-Koryphäe Richard Whelan vertrat zuletzt die Auffassung, der Soldat könne einem tragischen Zufall zum Opfer gefallen sein. Capa soll zu Lebzeiten davon gesprochen haben, dass man "herumgealbert" habe - was Whelan zu der Theorie veranlasste, der Milizionär sei möglicherweise beim Posieren für Capa von einem faschistischen Scharfschützen erschossen worden, obwohl es keine Kampfhandlungen gab.

Um die Identität des Soldaten wiederum ranken sich bereits länger schon Diskussionen. Er war Mitte der 90er als Federico Borrell García erkannt worden, ein Anarchist, der tatsächlich im Bürgerkrieg starb - allerdings (nach Recherchen eines Dokumentarfilms aus dem vergangenen Jahr) nicht auf offenem Feld, sondern hinter einem Baum.

Susperreguis Vermutungen gehen noch einen Schritt weiter: Er glaubt, das fragliche Foto sei mit einer Rolleiflex geschossen worden. Das würde nahelegen, dass die Kriegsfotoikone schlechthin nicht von Capa, sondern von seiner Lebensgefährtin und Kollegin Gerda Taro stammt. Capa fotografierte mit einer Leica, die in Stuttgart geborene und 1937 nahe Madrid gestorbene Taro mit Rolleiflex. Während die Rolleiflex quadratische Negative anfertigte, waren die Negative der Leica rechteckig. Das Zentrum für Internationale Fotografie (ICP) in New York, das die Capa- und Taro-Nachlässe betreut, geht allerdings weiterhin von einem rechteckigen Negativ aus. Da dies aber seit Kriegsende verschollen ist, kann darüber keine endgültige Gewissheit herrschen. Das Negativ war auch nicht im "Mexikanischen Koffer" zu finden, der 2007 aufgetaucht war und unter anderem Filmrollen Capas aus den Tagen des Bürgerkriegs enthielt.

Dass es Capa und Taro seinerzeit nach Espejo verschlagen hatte, dürfte daran gelegen haben, dass es dort im August tatsächlich zu Kämpfen gekommen war. Als sie ankamen, war die Front allerdings weitergezogen. Baten also die beiden jungen Fotografen gelangweilte Soldaten aus Mangel an "echten" Motiven, dramatische Szenen nachzustellen? Dass einige ihrer Bürgerkriegsfotos gestellt waren, ist unbestritten. Auf einigen Bildern, von denen nun mit Gewissheit gesagt werden kann, dass sie in Espejo entstanden, sind Soldaten ohne jede Vorsichtsmaßnahme auf offenem Feld in Kampfpose zu sehen.

Der Historiker Francisco Moreno, der insbesondere das Frontgeschehen in Córdoba erforscht hat und bislang der These anhing, dass der "Loyalistische Soldat im Moment seines Todes" in Cerro Muriano fotografiert worden war, erklärt nun, derartige Fotos hätten dort "unmöglich" aufgenommen werden können. Dafür seien die Gefechte dort Anfang September viel zu schwer gewesen. Wenn aber, so Moreno, die Kulisse Espejo sei und die anderen Fotos als fraglos gestellt angesehen werden müssen, so gelte dies "mit Sicherheit"auch für den Tod des Soldaten.

Auch unter anderen Publizisten sorgen die neuen Details für Aufsehen. Die Vorsitzende der spanischen Sektion der Journalistenvereinigung Reporter ohne Grenzen, María Dolores de Massana, brach über den Reporter Capa gar den Stab: "Wir Journalisten dürfen die Glaubwürdigkeit nicht verlieren. Er war ein großartiger Fotograf, doch was er getan hat, war keine Jugendsünde." Der Schriftsteller Javier Cercas, Autor des Werks "Soldaten von Salamis", kommt zu einem ähnlichen Urteil: "Es ist furchtbar und unwiderruflich: Wir stehen vor einem Fotografen, der getrickst hat. Dies ändert nichts am Wert seines Werks, aber vielleicht am Ansehen seiner Person."

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Quelle:
SZ vom 20.07.2009
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