Cannes 2010:Herr der Scholle

Ein Stück Land pflügen, ein Weib freien, Kinder zeugen und in Freiheit leben - mehr braucht ein echter Mann bei Ridley Scott nicht. In Cannes feiert nun seine Version des Robin Hood Premiere.

Tobias Kniebe

Ein Hauch von Schadenfreude schwang da schon mit, in den Abschiedsfragen der Kollegen. Ob die Riesensturmwellen von letzter Woche noch etwas übriggelassen hätten? Ob die Zerstörungen an der Strandpromenade - die Rede war von zwanzig schwer beschädigten Restaurants allein in Cannes - wohl rechtzeitig repariert seien? Und ob man neuerdings nicht Angst habe, im dunklen Kinosaal hinterrücks überflutet, beim Austernessen am Hafen einfach davongespült zu werden?

Robin Hood, Verleih

Das Metzeln aber, die Zottelbärte, Männerschweiß und das Getöse der Schlachten, davon kann er nie genug kriegen: Russell Crowe als Ridley Scotts

Robin Hood

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(Foto: Foto: Verleih)

Auf manche Dinge ist Verlass

Die Antwort ist natürlich: alles halb so wild. Cannes ist bis unmittelbar vor dem Eröffnungsabend sowieso noch eine einzige Baustelle, das ist jedes Jahr dasselbe - ein paar Bagger mehr oder weniger am Strand, ein paar zusätzliche Palmen, die in schweren Betonkübeln durch die Stadt gefahren werden, das spielt keine große Rolle. Und auf manche Dinge ist sogar in diesen Zeiten Verlass - mehr jedenfalls als auf die Stabilität des Euro oder auf das Ehrenwort eines katholischen Bischofs. Zum Beispiel auf Sir Ridley Scott.

Sir Ridley bestreitet, zusammen mit den Stars Russell Crowe und Cate Blanchett, die Eröffnungsgala mit seinem "Robin Hood". Einen richtigen Coup des Festivals kann man das nicht nennen, weil der Film zur gleichen Zeit praktisch überall in die Kinos kommt - der Vorsprung der Eingeweihten beträgt in diesem Fall also gerade mal einen Tag. Andererseits sieht man hier einen Regisseur, der ziemlich unbeirrt seinen Themen folgt und diesen auch treu bleibt, und das galt in Cannes schon immer als taugliche Arbeitshypothese zu der ewig ungelösten Frage, was eigentlich genau ein Filmkünstler sei.

Der stolze, heimatvertriebene Kämpfer

Ridley Scott entpuppt sich im Alter, mehr als man das bisher ahnen konnte, als ein Mann der Ackerscholle. Ein Stück Land zu besitzen, es umzupflügen, goldene Ähren darauf anzubauen, ein Weib zu freien, Kinder zu zeugen und in Freiheit zu leben - mehr braucht ein echter Mann bei ihm nicht. Als Sehnsuchtsbild des stolzen, heimatvertriebenen Kämpfers war diese Idee schon in "Gladiator" eindrücklich präsent, da fuhren Russell Crowes schwielige Heldenpranken in Zeitlupe durchs überreife Korn. In "Robin Hood" kehrt der Traum von den goldenen Garben nun mit Wucht zurück. Aber ach, auch in Nottingham kann wie im antiken Rom keine Fruchtbarkeit gedeihen, solange es dem bösen König nicht gefällt.

Groß und voll brutaler Gewalt sind deshalb die Umwege, die der echte Mann auf seiner Reise nehmen muss. Robin, hier der Sohn eines einfachen Steinmetzen, ist König Richard Löwenherz ins Morgenland gefolgt und musste dort Frauen und Kinder metzeln - im Namen eines christlichen Gottes, an den er nun nicht mehr glauben kann. Religion und Gottesgnadentum, das sind so die Sündenfälle bei Ridley Scott. Unterwerfung mündet schnell in Sklaverei. Das Metzeln aber, die Zottelbärte, den Männerschweiß und das Getöse der Schlachten - davon kann er offenbar nie genug kriegen.

Sein Bruder ist ein rechtes Schwein

Robins Treue als Söldner und Meisterbogenschütze endet mit Löwenherz' Tod in Frankreich. Zurück in England verschlägt ihn das Schicksal zu Cate Blanchett als herrlich erdverbundener, inwendig glühender Witwe Marian, die ob ihrer brachliegenden Äcker die Hände ringt - allein, es fehlt ein Mann. Bingo, könnte man sagen - aber ach: Schon fallen kretinöse Franzosen im Land ein und müssen erst in den Ärmelkanal zurückgetrieben werden, und Richards Bruder, der neue König, entpuppt sich ebenfalls als rechtes Schwein. So wundert es nicht, dass der Traum von der eigenen Scholle bis zum Schluss unerreichbar bleibt. Am Ende ist Robin dann nur dort angelangt, wo er laut Legende ja schon immer hingehört: als Gesetzloser in den Wäldern Nottinghams.

"Ideen trennen uns, Träume bringen uns zusammen" - so könnte man die anti-ideologische Stoßrichtung dieses bäuerlichen Robin Hood ganz gut resümieren. Dieses Motto stammt allerdings nicht von Ridley Scott, sondern von Jean-Luc Godard. Er hat es seinem "Film Socialisme" mit auf den Weg gegeben, einem neuen Essaywerk, dessen Titel vermutlich mal wieder keine Rückschlüsse auf den Inhalt zulässt. Der Film läuft, Gott weiß warum, in der Nebenreihe "Un certain regard". Und natürlich glaubt man nicht eine Sekunde, der alte Fuchs Godard könne diesen neuen Wahlspruch ernst meinen - was wären Träume denn anderes als Ideen?

Die Zerstörungskraft der Ideen

Je länger man das Programm von Cannes studiert, desto passender erscheint dennoch dieses ironisch-sentimentale Motto. Die Zerstörungskraft gefährlicher Ideen - muss es darum nicht auch in Oliver Stones lang erwarteter Fortsetzung seines Kapitalismus-Thrillers "Wall Street" gehen, mit Michael Douglas, Josh Brolin und Shia LaBeouf? Diese Vorführung, die außer Konkurrenz läuft, wird begleitet von einem Special Screening, das nicht weniger als die "schockierende Wahrheit" über den Wahnwitz der globalen Finanzkrise verspricht: Charles Fergusons Dokumentation "The Inside Job", mit Matt Damons entschieden politischer Erzählerstimme.

Die Zerstörungskraft der Ideen ist auch der Grund, warum Nikita Michalkow in Russland bereits so gehasst wird, für seinen großen vaterländischen Kriegsfilm "Von der Sonne ermüdet 2", der hier im Wettbewerb läuft. Die Politik spaltet weiterhin Algerier und Franzosen angesichts des Films "Hors la loi" von Rachid Bouchareb, der verspricht, endlich den Blick auf die größten Verbrechen des Algerienkriegs zu richten; sie entzweit die Italiener und ihren Kulturminister, der die Reise nach Cannes verweigert hat - die Sondervorführung der kritischen Erdbeben-Dokumentation "Draquila - L'Italia che trema" erschien ihm als unerträgliche Beleidigung seines Dienstherrn Berlusconi. Und schließlich wagt sich auch der einzige amerikanische Beitrag des Wettbewerbs, Doug Limans "Fair Game" mit Sean Penn und Naomi Watts, an eines der heißesten parteipolitischen Eisen der Bushzeit - die Enttarnung der CIA-Agentin Valerie Plame im Vorlauf des Irak-Kriegs.

Das Kino muss all dieser Politik etwas Eigenes entgegensetzen, damit es überhaupt seinen Wert beweisen kann - da hat Godard mit seinem vorlauten Motto schon recht. Aber ob es gerade Träume sind, die alle zusammenbringen? Ein wenig Abstand von den allzu klaren Botschaften, ein wenig Widerstand im Stil, im künstlerischen Eigensinn würde ja eigentlich schon reichen. Sonst rollen womöglich die Kontroversen noch wie Riesenwellen vom Meer heran und reißen alles mit, was ästhetisch nicht niet- und nagelfest ist. Und am Ende liegen zwanzig Regisseure, schwer beschädigt, herrenlos auf der Strandpromenade.

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