Süddeutsche Zeitung

Matt Damon in Cannes:Transatlantische Liebe

Lesezeit: 3 min

Ein Treffen mit Matt Damon in einer Suite mit Riviera-Blick. Und: Der Wettbewerb hat einen ersten Favoriten.

Von Tobias Kniebe

Der Mann fühlt sich fremd hier, das sieht man sofort. Sein kurzärmeliges Designer-Sommershirt spannt seltsam über dem bulligen Oberkörper, seine Füße sind für Yachtclub-Slipper einfach nicht geschaffen. Matt Damon sitzt in einer Suite des Marriott-Hotels an der Croisette - eine Orgie aus weißem Marmor und Silber mit weitem Riviera-Blick - und grinst leicht gequält. Aber was für eine Freude, mal wieder einem Interviewpartner in Fleisch und Blut zu begegnen! Er bittet um Bestätigung für den Impfschutz des Gegenübers und sagt: "Dann ziehen wir die blöden Masken doch ab, oder?"

Es ist die Rückkehr der menschlichen Begegnung im Interview-Zirkus des Filmgeschäfts, und Damons Auftritt passt perfekt zu dem Film, den er hier in Cannes vorstellt: "Stillwater" von Tom McCarthy. Darin spielt er einen Mann, der im Süden Frankreichs ebenfalls sehr fremd ist: Bill Baker, ein "Roughneck" von den Ölbohrtürmen Oklahomas, Musterexemplar traditioneller amerikanischer Männlichkeit, ein Typ, der sich nie verstellen würde, aber auch nie einen Grund sah, seine eigenen Beschränkungen zu hinterfragen. Der Film folgt seinem breiten Rücken im Holzfäller-Flanell nach Marseille, wo seine lesbische Tochter studiert hat, bis sie - deutlich angelehnt an den Fall Amanda Knox - als Täterin in einem Mordfall verurteilt wurde. "Es sollte ein amerikanischer Film werden, der sich unter der Hand in einen europäischen Film verwandelt", sagt Damon.

Das hat geklappt, mutmaßlich vor allem wegen der Mitarbeit von Thomas Bidegain und Noé Debré, zwei der führenden Drehbuchautoren Frankreichs. Und so gerät der Motor des amerikanischen Plots - der eigentliche Täter könnte noch frei in Marseille herumlaufen, die Justiz hat die Sache abgehakt, Baker will ihn finden - langsam ins Stottern, während sich der Roughneck nicht ganz freiwillig auf die französische Lebensart, eine französische Theaterschauspielerin und ihre neunjährige Tochter einlässt, die gern so tut, als spräche sie Englisch. Was wiederum perfekt zu Bill passt, der mühsam ein paar Brocken Französisch lernt. Das ist schön erzählt und sehr liebenswert, und nach Wes Andersons "The French Dispatch" schon der zweite Film, der eine neue transatlantische Liebe zwischen Hollywood und Frankreich aufscheinen lässt.

In Cannes muss man sich die Liebe zum Kino auch durch Sitzfleisch erarbeiten

Unter den Beobachtern des Wettbewerbs häufen sich derweil die Stimmen, die dem Japaner Ryusuke Hamaguchi und seinem Film "Drive My Car" die Goldene Palme zutrauen. Hamaguchi hat für sein letztes Werk "Wheel Of Fortune And Fantasy" den Großen Preis der Jury in Berlin gewonnen, und jetzt hat er aus einer Kurzgeschichte von Haruki Murakami einen dreistündigen, sehr kontemplativen Film gemacht, in dem ein Regisseur und Schauspieler (Hidetoshi Nishijima) eine mehrsprachige Produktion von Tschechows "Onkel Wanja" einstudiert und zugleich sehr viel in der Gegend von Hiroshima herumgefahren wird - aus Versicherungsgründen erlaubt ihm das lokale Theaterfestival nicht, seinen eigenen Wagen zu fahren.

In Cannes wird schon immer die Idee hochgehalten, dass man sich die Liebe zum Kino auch durch wirkliches Sitzfleisch erarbeiten muss, und "Drive My Car" ist ein perfektes Beispiel für die Belohnungen, die hinter den scheinbaren Leerstellen und Wiederholungsschleifen tatsächlich warten. So trauert der Regisseur etwa um seine verstorbene Frau, die ihm während des Sex gern erotische Geschichten erzählte, die mit zunehmender Lust aus ihr heraussprudelten, als habe sie die Poesie ihres Unbewussten wunderbar angezapft. Das ist sehr erotisch, und nach den wenigen Beispielen, die man zu sehen bekommt, trauert man um diese Figur dann fast so sehr wie der Mann, der sie verloren hat.

In den nur freundschaftlichen aber zunehmend intimen Unterhaltungen zwischen dem Regisseur und seiner jungen Fahrerin (Toko Miura) kommen all diese Dinge noch einmal zur Sprache, aber auch Kindheitswunden der diskreten und verschlossenen Chauffeurin. Dabei werden Dinge über Liebe und Betrug, Schuldgefühle und Akzeptanz, Zurückweisung und Vergebung gesagt, die man in solcher Tiefe und Klarheit lange nicht gehört hat. Dass man Menschen nie vollständig verstehen kann, auch nicht die am meisten geliebten, ist eine Erkenntnis des Films, der man auf keinen Fall widersprechen will.

Zurück in der Marmorsuite des Marriott-Hotels erzählt Matt Damon noch von den realen Roughnecks in Oklahoma, die er vor den Dreharbeiten besucht und studiert hat und die ihn, wie er berichtet, sehr warmherzig empfangen haben. "Mein Ehrgeiz war, dass sie den Film sehen und dann sagen, dieser Bill Baker da auf der Leinwand, den kenne ich, der könnte mein Kumpel sein." Glaube man nur den Medien, scheine die kulturelle Kluft zwischen dem liberalen Hollywood - das in Matt Damon einen seiner eloquenten Sprecher hat - und dem Roughneck-Amerika längst unüberwindlich, dabei sei es sehr einfach gewesen, die politischen Themen mit diesen Männern erst einmal auszuklammern und sogar herzlich darüber zu lachen. "Nach diesen Begegnungen war ich wütend", sagt er. "Auf all die Menschen in Amerika, die nicht mehr das Gemeinsame sehen wollen, sondern uns nur immer weiter spalten."

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