Cannes-Eröffnungsfilm "Grace of Monaco":Am Gängelband des öligen Fürsten

Lesezeit: 4 min

Nicole Kidman eröffnet als "Grace of Monaco" das Festival von Cannes und trotzt dem Protest der monegassischen Fürstenfamilie. Die ist empört über "völlig fiktionale Szenen" - doch sind die eigentlich so schlimm?

Von Tobias Kniebe

Dies ist das Jahr, in dem alles anders kam. Es begann schon am Airport von Nizza, kaum merklich zunächst. Der Himmel über der Ankunftshalle schien noch azurblauer, die Luft noch wärmer und blütenschwerer, die Zikade eine Spur aggressiver zu sein als sonst.

Und als der Filmkritiker gerade zu den Taxis ging, kam ein metallicblauer Sunbeam Alpine Roadster vor ihm zum Stehen. Das Verdeck war offen, am Steuer saß eine blonde junge Frau, die ihm bekannt vorkam. Sie hielt das Lenkrad mit weißen Handschuhen, dann winkte sie. War er gemeint? Ganz offensichtlich. Er zögerte kurz, dann warf er seine Reisetasche auf ihre Rückbank und stieg kommentarlos ein, als sei dies die selbstverständlichste Sache der Welt.

Wenig später brausten sie über die Küstenstraße, tief unten glitzerte das Meer, und noch immer hatten sie kein Wort gesprochen. Der warme Fahrtwind zerrte an ihrem halblangen Haar und an ihrem pfirschsichfarbenen Halstuch. Sie ließ den Motor aufheulen und die Pinien am Straßenrand schneller vorbeijagen. Jede Kurve drückte ihn tiefer in den Sitz, doch ihm erschien ihre Fahrweise überhaupt nicht gefährlich. Er fühlte sich leicht und frei und ganz ruhig.

So ungefähr sieht es aus, wenn Filmkritiker träumen - in Vorfreude auf das Festival von Cannes. Dass die Hauptdarstellerin in diesem wiederkehrenden Tagtraum exakt wie Grace Kelly aussieht, und zwar genau so, wie Alfred Hitchcock sie vor sechzig Jahren erschaffen hat, liegt irgendwie in der Natur der Sache.

Ich-heirate-einen-Prinzen-Märchen

Einmal, nur einmal sollte das der Auftakt sein - unsere ganz private Ankunft beim legendären Festival an der Côte d'Azur. Auch "Grace of Monaco", Olivier Dahans mit Glamour und Kontroversen aufgeladener Cannes-Eröffnungsfilm, beginnt mit einer Autofahrt an der Côte d'Azur.

Eine blonde Frau, eine schmale Küstenstraße, die Pinien jagen vorbei, unten glitzert das Meer. Und auch hier ist bald nicht mehr klar, welcher Teil davon reales Geschehen ist, welcher nur Hollywood-Rückprojektion, und welcher an einen kollektiven Traum anknüpft, den nicht nur Filmkritiker träumen, wenn sie zwischen Monaco, Nizza und Cannes unterwegs sind.

Die legendäre Grace Kelly, gespielt von der auch sehr berühmten Nicole Kidman; das Fürstentum von Monaco, als Fixpunkt des internationalen Jetset und Schauplatz höfischer Intrigen; ein Ich-heirate-einen-Prinzen-Märchen, unter dessen makellos schöner Oberfläche bittere Realitäten und handfeste Machtkämpfe lauern - das alles ist so nah am Blitzlichtgewitter von Cannes, da wundert es nicht, dass "Grace of Monaco" schon lange als Eröffnungsfilm des Festivals 2014 gesetzt war. Diese Mischung aus Hollywood-Glanz und europäischem Filmschaffen, danach suchen sie dort ja immer.

Gewisse Zuspitzungen

Auch wenn die Fürstenfamilie von Monaco, wie mehrfach um die Welt und auch wieder zurück ging, nicht einverstanden ist - und die Premiere am Mittwochabend boykottiert hat. Fürst Albert und seine Schwestern Caroline and Stéphanie haben den Film als "unnötig glamourisierend" bezeichnet und ihm "große historische Ungenauigkeit" sowie "völlig fiktionale Szenen" vorgeworfen - schon in der Drehbuchphase seien alle Änderungswünsche des Hofs ignoriert worden, behaupten sie.

Dabei macht der Film diese Herangehensweise selbst zum Thema, wenn er sich schon im Vorspann als "fiktionales Werk, inspiriert von realen Ereignissen" annonciert. Außerdem verkündete Regisseur Olivier Dahan, der mit seinem aufsehenerregenden Edith-Piaf-Biopic "La Vie en Rose" immerhin schon mal den Schauspiel-Oscar für Marion Cotillard nach Frankreich geholt hat: "Ich hasse Biopics."

Und gibt dann ganz freimütig zu, dass er gewisse Zuspitzungen im Leben der Grace Kelly, als sie dann Grace of Monaco wurde, schlichtweg erfunden hat: "Ich brauchte das eben für meine Story."

Die Story ist nun die: Grace hat, sechs Jahre nach ihrer Traumhochzeit, dem etwas öligen Fürsten (Tim Roth) zwei süße Kinder geschenkt, fühlt sich aber in ihrem pinkfarbenen Palast oft einsam, von den Monegassen nicht geliebt und vom Ehemann bevormundet. Hitchcock lockt mit dem Script von "Marnie" und einer Rückkehr ins Filmgeschäft, aber die Untertanen im Fürstentum sind entsetzt, und Rainier ist schließlich auch dagegen - Grace muss unter Tränen absagen.

Film "Grace of Monaco"
:Fremde Fürstin

Die Menschen bewundern Grace Kelly für ihre Anmut und die stilprägende Eleganz. Doch war die Amerikanerin wirklich glücklich im Palast der Grimaldis? Der Film "Grace of Monaco" mit Nicole Kidman will diese Frage beim Festival in Cannes endlich klären.

Von Anne Goebel

Zugleich liegt das winzige Land im heftigen Streit mit de Gaulles Frankreich, dem immer noch recht imperialen Nachbarn. Monaco dürfe nicht länger Steueroase auf Kosten der Grande Nation sein, heißt es aus Paris. Sonst drohe das, was Peer Steinbrück in ähnlichem Zusammenhang einmal so hübsch "die Kavallerie" genannt hat - eine Straßen- und Seeblockade, am Ende vielleicht sogar französische Panzer auf der Rue Grimaldi.

Unter diesem Druck formuliert der Film nun seine Heldinnenfrage: Wird Grace sich Hitchcock aus dem Kopf schlagen, dafür aber ihre größte Rolle als Fürstin wirklich annehmen? Wird sie sich noch einmal mit Rainier zusammenraufen - und ihre Berühmtheit nutzen, um Monaco durch brillante Publicity in der Weltpresse zu retten? Die Antwort kann man sich ungefähr vorstellen - aber ganz so wie im Film war es in Wirklichkeit dann eben doch nicht. Eine Reise de Gaulles ins Fürstentum, die zum Höhepunkt des ganzen Spektakels stilisiert wird, hat tatsächlich nie stattgefunden.

Die Frage ist jetzt allerdings, ob das wirklich so schlimm ist - hier geht es weder um die Geschichte des Holocaust noch um die Ermordung Kennedys. Und genau genommen könnte man auch dem Fürstentum Monaco in seiner Gesamtheit vorwerfen, es sei "unnötig glamourisierend" und leide unter großer historischer Überflüssigkeit.

Keine Vorahnung auf das tragische Schicksal

Der Film liefert immerhin den versprochenen Hochglanz: Aufwand, Besetzung und Bilder lassen nichts zu wünschen übrig. Nicht etwa Dahans Erfindungen sind das Problem, sondern allenfalls eine gewisse Hemmung, die Phantasie noch weiter auszuspinnen. Gerade über die Palastintrigen - mit doppeltem Spiel, falschem Verdacht und Geheimnisverrat - hätte vielleicht das gnadenlos fiese Drehbuchteam von "House of Cards" noch einmal drübergehen sollen.

Die blonde Frau schließlich, die im Cabrio auf der Küstenstraße gefährlich Vollgas gibt und ihr halblanges Haar vom warmen Wind der Riviera zerzausen lässt - dieses Traumbild greift dann auch Dahan noch einmal auf. Nur folgt nicht wirklich etwas daraus - das Tempo sackt immer wieder ab, da hat der amerikanische Verleiher Harvey Weinstein schon recht, wenn er den Film wie angekündigt am liebsten noch mal umschneiden würde: Dahans Schlachten sind eher statisch-diplomatische Stellungskriege. Mit keiner Vorahnung lässt er spüren, welch tragisches Schicksal die wirkliche Grace erwartet, in einer Kurve, die dann doch mal zu eng sein wird, Jahrzehnte später.

Was am Ende zu der Frage führt, die dann doch entscheidend ist: Würde man genauso zu Nicole Kidman ins Cabrio steigen, wie man zu Grace Kelly in den metallicblauen Sunbeam Alpine Roadster steigen würde, den sie in "To Catch a Thief" fährt? Natürlich schon. Aber irgendwie wäre man auf dem Beifahrersitz dann nicht leicht und frei und ganz ruhig, sondern einfach nur sicher, dass nichts passieren wird. Und das ist genau das Problem.

© SZ vom 15.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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