Frankreich:Akademischer Streit eskaliert

Frankreich: Am Dienstag haben einige Studierende auf dem Campus der Hochschule Science Po in Grenoble demonstriert.

Am Dienstag haben einige Studierende auf dem Campus der Hochschule Science Po in Grenoble demonstriert.

(Foto: Philippe Desmazes/AFP)

An einer Hochschule in Grenoble werden zwei Dozenten der Islamophobie bezichtigt - und stehen jetzt unter Polizeischutz.

Von Nadia Pantel

Zwei Dozenten der französischen Hochschule Science Po Grenoble stehen seit Montag unter Polizeischutz. Zuvor hatten Studierende dort Plakate aufgehängt, auf denen die beiden mit vollständigen Namen als "Faschisten" und als "islamophob" bezeichnet worden waren. Fotos der Plakate wurden von einer Studentengewerkschaft im Internet veröffentlicht.

Der Streit an der Akademie begann im November. Damals war der Germanist K. aus Stuttgart, der seit mehr als 20 Jahren in Grenoble lehrt, einer Arbeitsgruppe beigetreten. Dort bereitete man einen Workshop vor, in dem es laut Titel um Antisemitismus, Rassismus und Islamophobie gehen sollte. K. forderte die Streichung des Begriffs Islamophobie, den er eine "Propagandawaffe von Extremisten" nannte.

Der Begriff Islamophobie wurde letztlich gestrichen. In sozialen Netzwerken häuften sich daraufhin die Behauptungen Studierender, K. habe "rechtsextreme Ansichten". Der Politikwissenschaftler T., der sich öffentlich mit K. solidarisierte, wurde verdächtigt, islamfeindliche Inhalte zu lehren. Die Studentengewerkschaft rief zur Überwachung seiner Kurse auf.

Die "akademische Freiheit" sei "nicht verhandelbar", schreibt die Hochschule

Politik und Medien zogen nach dem Vorfall Parallelen zu der Ermordung des Gymnasiallehrers Samuel Paty. Ein Islamist hatte im Oktober Paty auf offener Straße den Kopf abgetrennt. Dem war eine Hetzjagd im Internet vorausgegangen, in der Paty mit Lügen überzogen wurde, die ihn als islamfeindlichen Rassisten dargestellt hatten.

Die Plakate mit den Dozenten, von denen die Studentengewerkschaft UNEF Fotos auf Twitter verbreitet hatte, wurden von Politikern verurteilt. Hochschulministerin Frédérique Vidal sprach von "Einschüchterungsversuchen", aus dem Innenministerium stimmte ihr die beigeordnete Ministerin Marlène Schiappa zu: Man könne ein Verhalten wie das der UNEF "nicht länger dulden". Man müsse sich gegen eine "Logik der Fatwa" verwahren, sagte Bildungsminister Jean-Michel Blanquer. Justizminister Éric Dupond-Moretti mahnte, man dürfe nicht "Namen zum Fraß vorwerfen". Ermittlungen wurden eingeleitet, um die Plakatierer zu finden.

Die UNEF hat ihren Tweet gelöscht, nennt die eigene Veröffentlichung "taktlos und gefährlich" und betont, man habe selbst nichts mit den Plakaten zu tun. Die Hochschule nannte die Plakate in einem Statement eine "Gefahr für unsere Studenten und unser gesamtes Personal". Die "akademische Freiheit" sei "nicht verhandelbar".

Germanist K. sieht sich dennoch alleingelassen. Auf SZ-Anfrage sagt er, er erwarte eine Klarstellung der Hochschule, "dass ich kein Faschist bin". Sein Sohn und seine Freundin lebten seit den Angriffen in Angst. Er selbst sehe in dem Streit ein Beispiel für "den ideologischen Dogmatismus in den Sozialwissenschaften" und spricht von Cancel Culture. Studierende hatten anonym seine Entlassung gefordert.

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