Call-in-Shows im TV:Hotline in die Hölle

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Anrufsender wie Neun Live verdienen ihr Geld mit debilen Ratespielen und fallen durch peinliche Moderatoren auf: Die Landesmedienanstalten wollen das Beratungs- und Anruf-TV dringend kontrollieren.

Simon Feldmer

Es ist erstaunlich, in welche Abgründe die moderne Fernsehwelt den Zuschauer blicken lässt. Auf Wahrsagersendern wie Astro TV oder Kanal Telemedial telefonieren sich hilfesuchende Menschen im Gespräch mit Energieheilern und selbsternannten Hexen in den finanziellen Ruin. Anrufsender wie Neun Live verdienen ihr Geld mit debilen Ratespielen. Oder fallen durch peinliche Moderatoren auf: Kürzlich beschimpfte Neun-Live-Mitarbeiter Max Schradin den Moderator eines anderen Gewinnspielanbieters vor der Kamera mit dem Satz: "Dieser blonde Pädophile da."

"Und außerdem glaube ich, dass der Beruf mir sehr liegt": Max Schradin auf der Homepage von Neun Live. (Foto: Screenshot: sueddeutsche.de)

"Der Artikel 5 des Grundgesetzes zur Rundfunkfreiheit deckt eine Menge Dinge ab, die uns nicht gefallen, die wir aber ertragen müssen", sagt Norbert Schneider, Direktor der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen (LfM). Doch die Diskriminierung einer anderen Person falle da nicht darunter. "Da sind wir stark", sagt Schneider. Und so hat die für Neun Live zuständige Bayerische Landeszentrale für neue Medien (BLM) vom Quizkanal Neun Live eine Stellungnahme eingefordert.

Der Sender soll darlegen, was den Moderator, der schon öfter durch unterirdische Einlassungen aufgefallen ist, zu seinem Pädophilen-Geschwafel getrieben hat. Konsequenzen seien noch nicht abzusehen, so ein Sprecher der BLM. Man werde den Fall aber in die Gemeinsame Stelle Programm, Werbung und Medienkompetenz (GSPWM) einbringen. In der GSPWM treffen sich regelmäßig Vertreter aller Landesmedienanstalten, um Programmbeschwerden zu diskutieren oder strittige Fragen zu Sendelizenzen zu klären.

In der Schmuddelecke

Medienpolitiker und -kontrolleure haben sich in Bewegung gesetzt, um die negativen Auswüchse im Programm der Anruf- und Beratungssender einzudämmen. Als kraftvolles Organ sind die Landesmedienanstalten - sie finanzieren sich zum Großteil aus Gebührengeldern und sollen den privaten Rundfunk in Deutschland kontrollieren - in der Vergangenheit jedoch nicht aufgefallen. Deren Aufsichtsmandat ist in Landesmediengesetzen und dem Rundfunkstaatsvertrag beschrieben. Bei Verstößen gegen den Jugendschutz oder bestimmte Werberegeln, bei rassistischen Äußerungen oder exzessiven Gewaltdarstellungen im Fernsehen können die zuständigen Stellen Beschwerdeverfahren einleiten.

Es gebe aber viele Bereiche, wo das Rundfunkrecht gar nicht greife, so LfM-Chef Schneider. Eigentlich nicht lösbare Rätsel bei Anrufsendern oder zweifelhafte Beratungsgespräche auf Astro TV schließt Medienwächter Schneider hier ein. "Die Formate, über die wir hier reden, gab es vor fünf Jahren noch gar nicht. Da müssen wir uns jetzt behelfen, bis ein gesetzlicher Rahmen zur wirksamen Kontrolle geschaffen ist", sagt Schneider.

Bis das so weit ist, bemühen sich die Medienwächter, wenigstens mit den betroffenen Sendern ins Gespräch zu kommen. Am runden Tisch sollen sogenannte Selbstverpflichtungen ausgearbeitet werden, in denen sich die Veranstalter auf Regeln verständigen, die den Verbraucherschutz im Auge haben. Schneider: "Die Sender sollten ein genuines Interesse daran haben, um nicht in der Schmuddelecke zu stehen."

Telefoniere und spende

Mit Vertretern von Gewinnspiel-Anbietern wie Neun Live, DSF oder der Produktionsfirma CallActive wurde eine Selbstverpflichtung bereits verabschiedet. Im Juni wurde dieser Kodex noch mal verschärft. Nun ist festgeschrieben, dass Jugendliche unter 18 Jahren bei TV-Quizspielchen nicht miträtseln dürfen. Geeinigt haben sich die Anbieter auch auf die Vorgabe, dass die Spiele lösbar sein müssen. Allein: Verstöße gegen die Selbstverpflichtung haben bisher keinerlei Folgen. In Teilen soll die Selbstverpflichtung jedoch in den nächsten Rundfunkstaatsvertrag einfließen, der wohl im kommenden Sommer verabschiedet wird. "Dann haben wir endlich eine verlässliche Rechtsnorm", sagt Schneider.

Ende Oktober haben sich die Programmwächter mit Vertretern des Beratungssendergewerbes zusammengesetzt. Auch Mitarbeiter des Astro TV-Betreibers Questico saßen am Tisch. Ziel ist auch hier eine Selbstverpflichtung. In der soll unter anderem festgelegt werden, dass die Telefonkosten von sogenannten "Heavy Usern", also Menschen, die sich ohne den morgendlichen Anruf bei Astro TV nicht mehr aus dem Haus trauen, einen bestimmten Betrag nicht übersteigen dürfen. Nach der ersten Runde sagt Schneider: "Ich habe das Gefühl, dass wir zu einer Besserung kommen. Aber nicht in den nächsten drei Tagen." Ende November soll es ein weiteres Treffen geben.

Dass es in dem neuen Typus Selbstverpflichtung einen Passus gegen dümmliche Moderatoren geben wird, ist nicht zu erwarten. Neun Live-Moderator Schradin wurde, so Sendersprecherin Sylke Zeidler, zunächst bis Jahresende von seinen Moderatorenaufgaben befreit. Schradin selbst habe sich bei dem betroffenen Kollegen entschuldigt. Außerdem werde er eine Spende für einen wohltätigen Zweck leisten, berichtet Zeidler.

Die Medienwächter wiederum könnten dem Quizkanal wegen Schradins Ausfällen im äußersten Fall eine Beschwerde übermitteln, die der Sender dann veröffentlichen muss. Die große Zahl der Anrufer dürfte das jedoch nicht beeinträchtigen.

© SZ v. 3./4.11.2007/korc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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