Bush-kritische Kunst:"Es scheint, als würden wir jetzt überwacht."

Erstmals hat der US-Geheimdienst Ermittlungen wegen einer Kunstausstellung aufgenommen. Über ein Bild, auf dem Präsident George W. Bush eine Waffe an die Schläfe gehalten wird, zeigten sich die Beamten gar nicht amüsiert. Immerhin eine saubere, investigative Leistung der Schwarzbrillen: Die Ausstellung trägt den Titel: "Axis of Evil" - Achse des Bösen.

Kurz vor Eröffnung der Ausstellung am 6. April hatten sich die Geheimdienst-Mitarbeiter in der Glass Curtain Gallery in Chicago eingestellt, um die Bilder in Augenschein zu nehmen. Dabei fotografierten sie zahlreiche Exponate.

Umstrittene Bush-Breifmarke, AP

Die US-Regierung sieht sich von der Kunst bedroht.

(Foto: Foto: AP)

Der Nachrichtenagentur AP zufolge hatte ein Einwohner aus der Stadt vorab Bilder der Ausstellung gesehen und daraufhin die Behörden verständigt. Die Chicago Sun-Times zitierte den besorgten Kurator der Ausstellung, Michael Hernandez de Luna, mit den Worten: "Es scheint, als würden wir jetzt überwacht."

Die Ausstellung, hat sich nichts Geringeres auf die Fahnen geschrieben, als "das Böse" auszuloten und auf Briefmarkenblöcken darzustellen. Ins Fadenkreuz des Geheimdienstes geraten ist die Schau nun vor allem wegen eines Werks des Künstlers Al Brandtner aus Chicago. Auf einem Satz fingierter 37-Cent-Briefmarken zeigt er den US-Präsidenten George W. Bush vor den weißen und roten Streifen der amerikanischen Flagge. Von rechts ist eine Schusswaffe auf seinen Kopf gerichtet. Darunter steht "Patriot Act".

"Patriot Act", Patriotengesetz, so heißt ein US-Bundesgesetz von 2001, das sich der Aufgabe verschrieben hat, den Terrorismus zu bekämpfen. Liberale Amerikaner haben das Gesetz heftig kritisiert, weil es die Bürgerrechte beschneidet, einige halten es für verfassungswidrig.

Bar legislativer Semantik lässt sich "Patriot Act" aber auch schlicht mit "patriotische Handlung" übersetzen. Und dann könnte man Al Brandtners Arbeit als Aufruf an jeden guten Amerikaner verstehen, das Staatsoberhaupt zum Wohle des Landes durch einen Kopfschuss zur Strecke zu bringen.

Die Doppeldeutigkeit dürfte beabsichtigt gewesen sein, die Geheimdienstagenten reagierten darauf wenig amüsiert. Von CarolAnn Brown, der Direktorin der Kunstschule, zu der die Glass Curtain Gallery gehört, verlangten die Agenten Name und Telefonnummer Brandtners. In der Chicago Sun-Times hieß es, sie wollten sich vom Künstler erklären lassen, was er mit dem Bild habe aussagen wollen.

Der Öffentlichkeit konnte Al Brandtner seine Sicht der Dinge nicht darlegen. Wie die Columbia Chronicle meldete, haben die Behörden Brandtner verboten, über den Fall zu sprechen.

"Es scheint, als würden wir jetzt überwacht."

Die Stellungnahme der in Sachen Kunst ermittelnden Beamten fiel karg aus. Die Chicago-Sun Times zitierte den Geheimdienstsprecher Brandon Bridgeforth mit den Worten: "Wir führen einige Ermittlungen durch, wir sehen uns die Sache erst mal an."

Ähnliche Verwirrung wie der "Patriot Act" müssen auch andere ausgestellte Arbeiten bei den Beamten hervorgerufen haben. Denn von Direktorin CarolAnn Brown sollen die Agenten nicht nur Al Brandnters Daten, sondern auch die der anderen ausstellenden Künstler verlangt haben. Und das sind insgesamt 47 Künstler aus elf Ländern, aus den USA, Kanada, England, Frankreich, Italien, der Schweiz, dem ehemaligen Jugoslawien, Russland, Japan, Mexiko und Uruguay.

Mit Kontroversen hatten die Organisatoren durchaus gerechnet. Die Ausstellung mit dem Titel "Axis of Evil: The Secret History of Sin" hätte schließlich auch ohne Brandtners "Patriot Act" genug Stoff für hitzige Debatten geboten: Eine Briefmarke zeigt in Anspielung auf Citizen Kane den ehemaligen US-Justizminister als "Citizen John Ashcroft" - behängt mit den nackten Leibern der misshandelten Gefangenen im irakischen Gefängnis Abu Ghraib, für die USA schmerzensreiche Ikonen ihres moralischen Scheiterns im Irak.

Die Briefmarkenbilder setzten sich zudem kritisch mit Papst Johannes Paul II. und den Skandalen um sexuellen Missbrauch in der Katholischen Kirche auseinander. Andere wiederum thematisieren Nazi-Deutschland oder die Schlachtfelder in Kambodscha.

Das Auge des Bösen

Der Kurator der Ausstellung, Michael Hernandez de Luna, verhehlte nicht, dass ihn der Besuch des Geheimdiensts "beängstigt" habe. Mit ihrer Untersuchung beginne die Regierung, alle Rechte in Frage zu stellen, "nicht nur meine Rechte oder die der Künstler, die in diesem Raum ausstellen, sondern sie stellt auch das Recht jedes schaffenden Künstlers in Frage. Es scheint, als würden wir überwacht."

Hernandez war wegen einer Kunst-Briefmarke schon einmal ins Visier der Bundesbehörden geraten. Sie vermuteten ihn hinter verdächtigen Briefmarken, die 2001 auf Briefen verschickt wurden. Darauf abgebildet war ein schwarzen Totenkopf mit gekreuzten Knochen und der Aufschrift "Anthrax". Weil zu dieser Zeit Anschläge mit vermeintlichen Anthrax-Erregern die USA in Angst und Schrecken versetzten, wurde wegen einem dieser Briefe zeitweise sogar ein Postamt geschlossen. Hernandez bestritt, mit dieser Sache etwas zu tun zu haben.

Der Geheimdienst ist in Sachen Kunst nicht zum ersten Mal aktiv geworden: Vergangenes Frühjahr hatte er im Bundesstaat Washington einen Kunstschüler wegen Anti-Kriegs-Zeichnungen ins Gebet genommen. Ein Bild zeigte Bushs Kopf aufgespießt auf einem Stock.

Die eigenartigen Umstände des Falls Brandnter heizen die Debatte in Amerikas Internetforen wieder kräftig an:

Ein User namens Connan postete auf NEWSgrist die Verschwörungstheorie , dass Brandtner sich wahrscheinlich deswegen nicht öffentlich äußere, weil er mittlerweile bereits einen orangenen Anzug trage - die Uniform derer, die wegen Terrorverdachts auf Guantanamo inhaftiert sind. "Das ist der Gestapo ein bisschen sehr ähnlich wie der SS (gemeint ist der Geheimdienst, der Secret Service) sein Geschäft betreibt."

Andere wie montyburns74 finden es völlig in Ordnung, dass der Geheimdienst interveniert hat: "Was, wenn der auf dem Bild, dem die Knarre an den Kopf gehalten wird, du wärst? Fändest du es gut, wenn jemand vorschlagen würde, dich zu erschießen? Würdest du nicht ein Auge auf so jemanden haben? Ich schon", schreibt er auf BoardsUS.

Ein Gutes hat das Ganze schließlich doch auch für die Glass Curtain Gallery, in Chicago. Noch nie hatte die Kunstschule eine so viel beachtete Ausstellung in ihren Räumen.

"The Axis of Evil: The Secret History of Sin" dauert noch bis 11. Mai. Der Eintritt ist frei.

(sueddeutsche.de)

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