Bush-Filmbiographie:Die Leiden des jungen W.

Mit seinem Bush-Film "W." greift Oliver Stone in den US-Wahlkampf ein. Doch das Ungeheuerliche dieser Amtszeit bedarf der Wut, die in Amerika gerade um sich greift, im Film aber fehlt.

T. Kniebe

Wenn das große "W" des Titels die schwarze Leinwand füllt, denkt man für einen Moment noch daran, wie unwahrscheinlich das alles ist. Oliver Stone hat also tatsächlich George W. Bush verfilmt - während der noch im Weißen Haus sitzt, vermutlich vor dem Fernseher, mit einer Tüte Salzbrezeln in der Hand.

Bush-Filmbiographie: Mit viel Herz versehen: Josh Brolin mimt Georg W. Bush in "W" erstaunlich überzeugend.

Mit viel Herz versehen: Josh Brolin mimt Georg W. Bush in "W" erstaunlich überzeugend.

(Foto: Foto: Lionsgate)

Es war also doch kein Witz. Und selbst der ehrgeizige Zeitplan wurde eingehalten. Bevor die Amerikaner jetzt einen neuen Präsidenten wählen, der sie aus dem finstersten Tal ihrer Nachkriegsgeschichte führen soll, können sie im Kino noch einmal nachschauen, wer sie dort erst hineingebracht hat. Aber wollen sie das? Haben sie nicht schon jetzt auf Lebenszeit genug von Bush? Das ist natürlich die große Frage. Andererseits: Warum nicht? Nichts ist ja doch letztlich fruchtloser geblieben als der Versuch der sogenannten "reality-based community" (an Fakten noch interessierte Journalisten, politische Analysten, Historiker etc.), das Phänomen Bush hinreichend zu erklären, ihm durch Aufklärung beizukommen, geschweige denn seine Wiederwahl zu verhindern.

Jetzt darf zur Abwechslung die "fantasy-based community" ran: "Wall Street"-Drehbuchautor Stanley Weiser, Regisseur Stone und viele brillante Schauspieler, die sich natürlich alle aufs Zuspitzen, Überhöhen und Provozieren verstehen. Vielleicht, denkt man, reißen sie diesem Präsidenten in letzter Sekunde ja noch die Latexmaske vom Gesicht.

Schulterklopfende Kleintierzüchter-Atmosphäre

Recht schnell wird klar, wie das laufen könnte: Der Hauptstrang des Films zeigt Bush nach 9/11 im Weißen Haus. Stone und Weiser steigen kurz vor seiner "Axis of Evil"-Rede im Januar 2002 ein.

Sie folgen schrittweise den internen Debatten, die zum Irakkrieg führen, zur gestürzten Saddam-Statue, zur "Mission Accomplished"-Show, zu der irgendwie unangenehmen Erkenntnis, dass es leider doch keine Massenvernichtungswaffen gibt, und schließlich zu ein paar besonders fahrig-hilflosen Bush-Auftritten im Frühjahr 2004.

Dazwischen werden zahllose Rückblenden eingestreut, die mutmaßliche Schlüsselmomente in der Entwicklung des jungen George W. zeigen, hin zum notorischen "Dubya", wie wir ihn kennen: jung und betrunken als Student in Yale 1966, nicht mehr ganz so jung und immer noch betrunken 1973, als er die elterlichen Mülltonnen über den Haufen fährt und den erbosten Vater zum Faustkampf fordert, leicht beschwipst und charmant 1977, als er seine Frau Laura auf einer Gartenparty klarmacht, schließlich stocknüchtern und tiefernst, als er sich 1986 zum wiedergeborenen Christen gewandelt hat.

Bush als Präsident, das sind fast immer Gruppenszenen im Oval Office oder Situation Room, mit den bekannten Gesichtern, in beinah traulicher Atmosphäre: Vizepräsident "Big Time" Cheney (toll durchtrieben und machtbesessen porträtiert von Richard Dreyfuss), Außenminister "Ballonfoot" Colin Powell (Jeffrey Wright, weniger überzeugend als klägliche Stimme der Vernunft), Superberater "Boy Genius" Karl Rove (herrlich schleimig von Toby Jones auf den Punkt gebracht) und "Condy" Rice als ewige Sicherheits-Musterschülerin (vom Drehbuch bös reduziert und leider auch verschenkt von Thandie Newton).

Jeder Kriegstreiber darf hier sein Sprüchlein aufsagen, die meisten davon sogar historisch verbürgt von Chronisten wie Bob Woodward und anderen, Bush streut ein paar seiner sprachverdrehenden "Bushisms" ein, dann entscheidet er aus dem Bauch heraus, dass er jetzt genug von Saddam hat, spendet Lob ("beste Sitzung ever"), und zum Abschluss müssen alle noch mal mit ihm beten.

Ehrlich? So also wurde im Weißen Haus Geschichte gemacht? Man wagt das gar nicht recht zu bezweifeln, den realen Vorbildern traut man inzwischen sowieso alles zu, aber dennoch... die schulterklopfende Kleintierzüchter-Atmosphäre schlägt doch bald auf den Film selbst zurück.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, warum es möglicherweise ein Fehler ist, dem Urteil der Geschichte nicht zu vorzugreifen.

Die Leiden des jungen W.

Vieles sieht gar sehr nach filmstudentischem Mummenschanz aus, nach einem fröhlichen "Wir spielen jetzt hier mal Zentrum der Macht". An dem strebsamen Fleiß wiederum, mit der Stone sich an gesicherten historischen Fußnoten entlanghangelt, erkennt man bald, dass er auch selbst nicht mehr wirklich aus einer Position der Stärke heraus filmt: Einmal zu oft als verschwörungsbesessener Geschichtsverdreher abgewatscht, traut er sich offensichtlich schon lange nicht mehr, seine gefürchtete Imagination von der Kette zu lassen. So aber entgleitet ihm auch die Kontrolle über seinen eigenen Film.

Über weite Strecken, gerade in seinen vorpräsidentialen Zeiten, erscheint Bush - von dem erstaunlich überzeugenden Josh Brolin mit viel Herz versehen - nun nämlich so, wie auch seine Wähler ihn gerne gesehen haben: als zwar mit Fehlern behafteten, eher erfolglosen Kumpeltypen, der aber dennoch "echt" und quintessentiell amerikanisch bleibt, gern herzhaft in einen Burger beißt (das tut er ständig im Film), sich schließlich zum Guten wandelt und eigentlich nur das Beste will.

Allein im eigenen Albtraum

Als "verwundeten Sünder" bezeichnet ihn sein Pfarrer einmal - und ja doch, so sieht Oliver Stone sich selbst im Grunde auch, da ist er seinem Protagonisten plötzlich ganz nahe.

All die Küchenpsychologie dahinter, Bushs Wut auf den übermächtigen und doch entscheidungsschwachen Vater, seine Eifersucht auf den angeblich von den Eltern mehr geliebten Bruder Jeb, das fügt sich zu sauberen Biopic-Mustern und schmeckt doch durchweg mehr nach Stone als nach Bush.

Keine Frage, das Fazit von Bushs Wirken, auch in diesem Film, ist vernichtend. Am Ende steht der Präsident allein in seinem eigenen Albtraum, komplett ratlos, als Träger einer Last, die er nie hätte schultern dürfen.

Aber Oliver Stone hat offenbar beschlossen, seine Erzählung für sich sprechen zu lassen, dem Urteil der Geschichte nicht vorzugreifen. Letztlich ist George W. Bush so aber gerade nicht zu fassen. Das Ungeheuerliche seiner Amtszeit enthüllt sich erst aus der Perspektive der Wut, die in Amerika gerade um sich greift, deren Energie im Film aber noch weitgehend fehlt.

So erfüllt "W." unfreiwillig dann doch wieder das berühmte "History's Actors"-Diktum aus der Bush-Administration: "Wir sind die Akteure der Geschichte - und euch allen wird nichts als die Aufgabe bleiben, unsere Taten zu studieren."

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