Burgtheater:Rechtzeitig zur Geisterparty

Burgtheater: Michael Maertens steht mit Videobildern seiner Zuschauer auf der Bühne, in der Videoperformance "Die Maschine in mir" am Burgtheater.

Michael Maertens steht mit Videobildern seiner Zuschauer auf der Bühne, in der Videoperformance "Die Maschine in mir" am Burgtheater.

(Foto: Marcella Ruiz-Cruz)

Michael Maertens erkundet in der Lecture Performance "Die Maschine in mir" des Burgtheaters, wie das Bewusstsein den Körper verlässt - in simulierter Interaktion mit dem Publikum.

Von Wolfgang Kralicek

Die Silvesterpremiere unterliegt gewissen Gesetzmäßigkeiten. Sie findet, logisch, am letzten Tag des Jahres statt. Sie beginnt entweder so spät, dass man in der Pause anstoßen kann, oder früh genug, um danach noch rechtzeitig zur Silvesterparty zu kommen. Und sie bedient in der Regel die leichte Muse, Tragödien haben selten am 31. Dezember Premiere. Im Burgtheater etwa wurde vor einem Jahr die Backstage-Komödie "Der nackte Wahnsinn" gegeben, eine klassische Silvesterpremiere. Diesmal war natürlich alles anders. Erstens konnte die Silvesterpremiere nur online stattfinden, und zweitens stand keine beschwingt-beschwipste Slapstickorgie auf dem Programm, sondern eine eher nüchterne Performance.

"Die Maschine in mir (Version 1.0)" ist ein Solo für den Schauspieler Michael Maertens und kommt im Format einer Lecture Performance daher, dem seit einiger Zeit international beliebten Hybrid aus Vortrag und Theater. Maertens steht auf der Bühne des Kasinos, einer Nebenspielstätte des Burgtheaters, und spricht das Publikum direkt an.

Sein Thema ist der Transhumanismus, seine Rolle die des irischen Journalisten Mark O'Connell, dessen Buch "To Be a Machine" (deutscher Titel: "Unsterblich sein") die Basis für den Text ist. Der Autor hat dafür mit Experten wie dem Bio-Hacker Tim Cannon, dem Google-Vordenker Ray Kurzweil oder dem Kryonik-Unternehmer Max More gesprochen; der eine will seinen Körper durch Implantierung von Chips "optimieren"; der andere träumt davon, das menschliche Bewusstsein in einer Datencloud speichern zu können; beim dritten kann man seine Leiche einfrieren lassen, um sie für bessere Zeiten zu konservieren. Der ganze Transhumanismus, fasst O'Connell am Ende zusammen, sei letztlich nur die neueste Version der ältesten aller Geschichten - der Sehnsucht des Menschen, sich von seinem Körper zu emanzipieren, unsterblich zu werden.

Die Publikumsbeteiligung ist diesmal nur symbolischer Natur

Die Performance wurde von Ben Kidd und Bush Moukarzel entwickelt. Die beiden Regisseure betreiben die Company Dead Centre, mit der das Burgtheater seit 2020 zusammenarbeitet. In ihrer ersten Wiener Arbeit, "Die Traumdeutung von Sigmund Freud" im Akademietheater, verblüfften Kidd und Moukarzel mit einem Trick, den man so noch nie gesehen hatte: Die Hauptrolle des Stücks übernahm eine Freiwillige aus dem Publikum. In dieser Spielzeit soll ein Dead-Centre-Abend über Ludwig Wittgenstein herauskommen, wenn die Pandemie es erlaubt. "Die Maschine in mir" kam nun außerplanmäßig auf den Spielplan und ist die Adaption einer Produktion, die das Regieduo vergangenen Herbst für das Dublin Theatre Festival entwickelt hat.

Die Publikumsbeteiligung, die bei den Arbeiten der irisch-englischen Gruppe meist eine Rolle spielt, ist diesmal nur symbolischer Natur: Wer für die Vorstellung eine Karte kauft, wird im Vorfeld aufgefordert, kurze Videos seines Gesichts hochzuladen - neutral, lachend und schlafend. Auf den Stühlen der Zuschauertribüne ist das Publikum dann in Form von Tablets präsent, auf denen die vorgefertigten Videos zu sehen sind. Das ist ein hübscher Effekt, bedeutet aber auch, dass wir es hier - anders als etwa in einer Zoom-Performance - nur mit der Simulation von Interaktion zu tun haben. Um zu beweisen, dass er tatsächlich live agiert, aktiviert Maertens zwar einmal die Chat-Funktion; im Grunde aber könnte er sich die Mühe eigentlich sparen.

Würde die Vorstellung als Konserve nicht ebenso gut funktionieren? Nicht zuletzt solche Fragen sind es, um die es Kidd und Moukarzel geht. Lange Zeit fragt man sich, worauf das alles hinauslaufen soll, wann endlich die Pointe kommt - bis irgendwann klar wird, dass es darum gar nicht geht. Beziehungsweise, dass wir längst mitten drin sind: "Ein Theaterstück ist doch auch eine Art Algorithmus", heißt es im Stück einmal. The medium is the message.

Teil des Konzepts ist, dass die Grenzen zwischen Rolle und Darsteller unscharf gezogen sind; man weiß nie genau, ob da jetzt Mark O'Connell oder Michael Maertens spricht. Dahinter steht die Frage, ob es nicht auch eine Form von Transhumanismus ist, wenn ein Schauspieler einen anderen Menschen verkörpert. Das ist ein spannender Gedanke, dem die Aufführung szenisch aber nicht wirklich nachgeht; die etwas dröge Lecture-Situation wird nie aufgebrochen. Überhaupt wirkt der technische Aufwand - unter anderem musste extra ein Glasfaserkabel verlegt werden - etwas unverhältnismäßig für diese 50 Minuten kurze Petitesse. Wenn der Stream endet, ist es 19 Uhr und die Nacht noch jung. Irgendwie rührend, dass das Burgtheater bei seiner virtuellen Silvesterpremiere auf Silvesterpartys Rücksicht nahm, die gar nicht stattgefunden haben.

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