"Bulb Fiction" im Kino:Böses Quecksilber

Der kleine Max wird krank und schuld ist die Energiesparlampe: Wie der Film "Bulb Fiction" eine Verschwörung der Leuchtmittelindustrie thematisiert und damit Wutbürger anspricht.

Gerhard Matzig

Erst war es nur so ein fernes Raunen im Netz, dann wurde daraus ein sich rasant näherndes Twitter-, Facebook- und Flickr-Grollen - und schließlich konnte man der Frage kaum mehr entkommen. Jener Frage, ob man denn immer noch Energiesparlampen in der Wohnung oder im Haus habe. Geraunt wurde dies in jener dunkeldräuenden Tonlage, in der man auch fragen könnte, ob man Plutonium im Keller habe. Und wieso "immer noch"? Schließlich hat man auf Geheiß der EU gerade erst angefangen, den Haushalt von Glühbirnen auf die sogenannte Kompaktleuchtstofflampe (vulgo: Energiesparlampe) umzurüsten.

Energiesparlampen

Es herrscht Krieg: In "Bulb Fiction" bringen Energiesparlampen sogar ein Kind um.

(Foto: dpa)

Alles andere als freiwillig, denn die Kompaktleuchtstofflampe sieht exakt so aus wie das Wort klingt: wie eine eckige Darmverschlingung. Warum also "noch"? "Hast du denn den Film nicht gesehen", heißt es dann. Und es hört sich an wie: DEN FILM.

Dann bekommt man noch den Rat, sofort, aber wirklich: sofort alle neue Energiesparlampen durch alte Glühlampen zu ersetzen, notfalls durch illegal erworbene Importware. Und danach solle man zumindest die Kinder ärztlich untersuchen lassen. Zuletzt aber solle man sich dem Widerstand anschließen. Dem Widerstand unter dem Zeichen eines Filmes, der "Bulb Fiction" heißt. Sein Zeichen ist die Silhouette einer Glühbirne (englisch: light bulb), worin sich der Leuchtdraht zur revolutionären, intensiv glühenden Faust verdreht.

Ist das die Wahrheit?

Im Netz wird der schon seit einiger Zeit in den Kinos zu sehende Dokumentarfilm des Tiroler Filmemachers Christoph Mayr als Enthüllung einer gigantischen Verschwörung der Leuchtmittelindustrie herumgeschickt. Erst schien der Film im Kino nicht gerade revolutionäre Massen hinter sich zu versammeln. Aber im Netz breiten sich seine Wahrheiten allmählich aus. Ob es jedoch auch die Wahrheit ist, muss sich noch herausstellen.

Weshalb man sich "Bulb Fiction" endlich in einem Münchner Kino anguckt und von den drei anderen Zuschauern sogleich vereinnahmt wird. Es gibt Kriege, da muss man Farbe und Front bekennen. Der Krieg gegen die Energiesparlampe ist so einer. "Ah", sagt die Dame auf Platz 23, "noch ein Mitglied der Glühbirnenfraktion". "Tja", weicht man der Solidarisierungsgeste mit Blick in den vereinsamten Zuschauerraum aus, "viele sind ja nicht hier." Das liege aber nur daran, sagt der ältere Herr auf Platz 24, dass "Bulb Fiction" von "der Industrie" sabotiert werde. "Und die Medien", assistiert jemand von weiter hinten, "halten den Film auch klein." Das verschwörungstheoretische Potenzial des Bulb-Publikums ist dagegen ziemlich groß.

Der Film ist deshalb wie geschaffen für die Ära des Wutbürgertums, das sich auch dann von "der Politik", "der Industrie" und "den Medien" umstellt sieht, wenn es um Bahnhöfe, Startbahnen oder Sonstiges geht. Oder eben um "die Lügen von der Energiesparlampe". Das Entlarven hat Konjunktur in einer Zeit, da Politik und Wirtschaft zunehmend als natürliche Feinde betrachtet werden.

Leuchten, die der EU-Armee zum Opfer fallen

Ganz folgerichtig zertreten schon in der ersten Szene des Films martialisch, ja soldatisch wirkende Stiefelabsätze unschuldige Opfer. Es sind Leuchten, die den Armeen der EU zum Opfer fallen. Die Botschaft: Die EU ist ein Aggressor. Hier geschieht schreiendes Unrecht. Es herrscht Krieg. Gut gegen Böse, die Wahrheit gegen Propaganda, der Mensch gegen Industrie und Politik.

Es ist aber keine fiktive Glühbirne, für die man sich als Zuschauer in "Bulb Fiction" am Ende interessiert, sondern ein reales Kind. Das ist Max. Max wurde krank, als im Hause seiner Eltern eine brennende Energiesparlampe zerbrach. In Energiesparlampen gibt es Quecksilber. Quecksilber ist ein giftiges Schwermetall, wird es freigesetzt, kann es extrem toxisch wirken. Max ist die Hauptfigur in einem Film, der zweierlei beweisen will. Erstens das "wahre" Motiv hinter den nur scheinbaren Energieeffizienz-Aspekten der EU-Vorgaben, die das Schicksal der Glühbirne besiegelt hat. Mayr zufolge ist es der Reibach, den einige wenige Leuchtmittelhersteller erzielen, indem wir als Konsumenten das eine, relativ billige Produkt durch ein neues, teureres Produkt ersetzen müssen. Und zweitens geht es um die Gefahr für die Gesundheit, die von diesem neuen Produkt ausgehe.

Leicht propagandahafte Züge

Max ist die Figur, durch die eine abstrakte Gefährdung erst sichtbar, erfahrbar und bemitleidenswert wird. Erst mit Max erhält die Geschichte die Perspektive: Das könnte auch dein Kind sein. Deshalb bricht am Ende auch die dokumentarische Enthüllung in sich zusammen. Denn Mayr gelingt keineswegs der Nachweis im Wortsinn, dass Max ein Opfer der ignoranten EU-Politik sowie infamer Wirtschaftsinteressen ist. Vielleicht ist er es, vielleicht auch nicht. Eine Dokumentation, die Zusammenhänge enthüllen will, müsste hier die Krankengeschichte penibel recherchieren und Diagnosen bemühen. Gezeigt wird aber nur das kranke Kind, wobei die Krankheit gar nicht konkretisiert wird. Dazu werden die Eltern befragt, die zur Zeit der Erkrankung eben das Problem mit der kaputten Energiesparlampe hatten. Am Schluss des Films heißt es, Max gehe es jetzt wieder etwas besser - dabei weiß man immer noch nicht, woran genau und wie schwer Max erkrankt ist.

"Bulb Fiction", der sich die "Propaganda" der Leuchtmittelindustrie vornimmt, hat hier selbst leicht propagandahafte Züge, denn statt auf die Krankengeschichte von Max näher einzugehen (andere Patienten und andere Krankengeschichten werden erst gar nicht gezeigt), wird die Gefahr, die von Energiesparlampen ausgehe, durch die Erwähnung der "Minamata-Krankheit" eher assoziiert denn belegt. Gemeint ist damit die chronische Vergiftung durch organische Quecksilber-Verbindungen, die 1953 in der Umgebung der japanischen Stadt Minamata auftrat. Es gab damals auch Tote. Seither ist Minamata zum Begriff für Umweltschäden durch unkontrollierte Verklappung von Abfällen geworden. So sehr "Bulb Fiction" auch den Beweis für die konkrete Quecksilber-Gefahr schuldig bleibt: die abstrakte Gefahr ist durchaus gegeben. Denn auch die neuen Lampen werden - obschon Problemabfall - zum Großteil irgendwie verklappt: im Restmüll der Haushalte.

Nicht erhellend, aber passend

Das Quecksilber wird alles andere als kontrolliert entsorgt, schon deshalb könnten sich die quecksilberhaltigen Energiesparlampen als gewaltiges Problem herausstellen. Allerdings unterschlägt der Film auch die Bemühungen der Industrie, die Lampen bruchsicher zu machen. Überhaupt ist fragwürdig, ob die Energiesparlampen nicht bald schon durch Leuchtdioden ersetzt werden - aber würde der Film auf diese Entwicklungen eingehen, verlöre er endgültig seine Existenzberechtigung.

Es ist schade, dass "Bulb Fiction" so raunend-behauptend ist - und doch so wenig dokumentarisch-aufklärend wirkt. Um einzelne Aspekte der gewiss nicht nur menschenfreundlich denkenden Industrie sowie der gewiss nicht immer allzu klug agierenden Politik macht sich der Film verdient - aber dann wird doch wieder ein Mann vorgestellt, der einst ein Patent zur Verbesserung der Glühbirnen-Langlebigkeit erwarb, jedoch zu Tode kam. Wie? Er stürzte mit einem Privatflugzeug ab. Angeblich wegen zu geringer Flughöhe. Bulb Fiction legt nahe, dass hier jemand nachgeholfen habe im Namen der Licht-Industrie. Beweise, Indizien wenigstens? Nichts. Zappenduster ist die Dokumentation an dieser Stelle.

Sehr erhellend ist "Bulb Fiction" also nicht. Aber es ist der passende Film für die Ära der großen Verschwörung gegen den kleinen Mann, die nun in Deutschland angekommen ist. Dieser Artikel hier beweist sogar, dass die Medien mit drin hängen.

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