Süddeutsche Zeitung

Bühne:Von Groll und Trost

Das Stück "Am Ende beginnt." des Theaters...und so fort

Von Petra Hallmayer

Drei Wartesaalstühle stehen zwischen einem falschen Weihnachtsbäumchen und der Tür eines Krankenzimmers. Immer wieder treten Stefanie und Stefan davor, doch sie schaffen es nicht, gemeinsam die Tür zu öffnen, hinter der ihr Vater im Sterben liegt.

Sie haben sich seit Jahren nicht gesehen. Nach dem Schlaganfall des Vaters wurden die Rollen der Geschwister klassisch verteilt: Die Tochter blieb daheim, um sich um ihn zu kümmern, während der Sohn im fernen Berlin als Arzt Karriere machte. Geschniegelt wie ein Businessman hetzt er zu Beginn im Anzug herein. Hibbelig tigert er herum, läuft zurück zum Auto, um mit einem grotesk unpassenden Geschenkkorb wiederzukehren. Er flüchtet sich in flapsige Bemerkungen und organisatorische Fragen. Er hasst sentimentale Heuchelei. "Ja, dann bringen wir's mal hinter uns", meint er. Doch unter der Coolness lauert die panische Angst davor, dem Vater und damit dem Tod in die Augen zu schauen.

Petra Winterstellers Stück "Am Ende beginnt." erzählt eine alltägliche Geschichte über die Überforderung von Kindern, deren Eltern zu Pflegefällen werden, über verpasste Lebenschancen, Wunden, die nicht heilen wollen, aufgestauten Groll und die Liebe. Sie hat ihn oft verflucht und seinen Tod herbeigesehnt, bekennt Stefanie irgendwann. Aber sie hat sich ihrem Vater auch auf neue Weise angenähert, während ihr Bruder seinen Zorn und seine Bitterkeit bewahrt hat. Er kann und will nicht verzeihen, träumt von einer letzten Aussprache als triumphale Abrechnung. Genau das aber ist mit alten, kranken Menschen nicht möglich.

Trotz des bedrückenden Themas erleben die Zuschauer unter der Regie von Winfried Frey keine düstere, beklemmende Inszenierung, sondern ein nie böses, leise anrührendes, immer wieder auch witziges Dialogstück mit zwei starken Schauspielern. Mit durch kleine Gesten klug akzentuierter Präzision führen Petra Wintersteller und Heiko Dietz die von hin- und herhuschenden Blicken begleiteten linkischen Konversationsversuche der Geschwister vor, ihre Verunsicherung und Hilflosigkeit, die Momente der Nähe, wenn sie in Erinnerung an ihre Kindheit plötzlich laut herumalbern, ihre gezähmten schmerzlichen Gefühle. Beide werden sich im Laufe des Abends ihre Lügen und Ausflüchte eingestehen. Das tröstlich-versöhnliche Ende entspricht allerdings mehr dem Wunsch aller Kinder als dem wirklichen Leben.

Entstanden ist die Produktion des Theaters...und so fort dank der bewunderswerten Beharrlichkeit von Heiko Dietz. Seit seine Bühne ihre Spielstätte in der Kurfürstenstraße verloren hat, tingelt sie von einem Ausweichort zum anderen. Doch Dietz gibt nicht auf. Dass ihm in die Pasinger Fabrik zur Zweitvorstellung des Stücks nur wenige Zuschauer gefolgt sind, ist schade. Das hat diese kleine, feine Aufführung nicht verdient.

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Quelle:
SZ vom 17.12.2018
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