Bei einem Zwischenstopp im Sommer 1948 in Zürich notierte Bertolt Brecht das auf, was gerne mal vergessen wird: Das Theater darf ein Ort der Unterhaltung sein. Was für ein Glück, denkt man sich, wenn man "Das Badener Lehrstück vom Einverständnis" liest. Das schrieb Brecht nämlich eine Weile vorher nieder, bereits 1929, und da ist von Unterhaltung nicht viel zu erkennen.
"Kindertheatereffekt" nennt Patrick Wengenroth das: "Im Lehrstück wird alles wiederholt. Damit das hängen bleibt." So macht sich Wengenroth nicht irgendwo lustig, sondern auf der Augsburger Brechtbühne. Der diesjährige Leiter des Brechtfestivals hat das Lehrstück für seine musikalische Revue "Die Welt ist: Schlecht! Und ich bin: Brecht!" instrumentalisiert. Er führt nicht nur Regie, sondern steht selbst auf der Bühne - als Bert Brecht. Man möchte also meinen, dass dies für Wengenroth eine Herzensangelegenheit ist. Und das ist es sicher auch. Nur kniet Wengenroth vor dem Dichter nicht nieder.
Das ist nach der Herankuschelei an Brecht in den vergangenen Jahren tatsächlich wohltuend. Augsburgs Sprössling wird nun darauf abgeklopft: Was kann man denn von ihm noch so gebrauchen? Dazu gehört allerdings ganz sicher nicht das "Badender Lehrstück", wobei es eine Glanzleistung des Abends ist, das Stück einerseits zu zeigen und andererseits für die Revue fruchtbar zu machen. Wengenroth hat dazu bestimmte Elemente aus dem Lehrstück extrahiert, in dem Brecht die Veränderbarkeit der Welt propagiert anhand einer kruden Handlung, die um Flugzeugabsturz, Technisierung und Selbstüberhebung kreist und in dessen absurdem Mittelteil zwei Clowns einen dritten zersägen. Wenngleich das ganze Stück auf der Bühne zu sehen ist - zum Teil nur gelesen, zum Teil persifliert - bleibt als Wesentliches übrig: seine dialektische Struktur, Kapitalismuskritik, die Clowns.
Und die Musik: So beginnt der Abend mit Frank Sinatras "Send in the Clowns", das Patrick Wengenroth begleitet von Matze Kloppe am Flügel singt, ausstaffiert mit Schiebermütze, Sakko und Brecht-Nickelbrille. Kurze Zeit später steht ihm Kerstin König als Helene Weigel, sekretärinnenhaft und dennoch keck, bei "Bonnie & Clyde" von Sarah Connor und Henning Wehland zur Seite. "Wir wurden gebor'n/Um die Welt zu verändern" - siehe da: Brechts Message gibt es heute auch als Schlager. Dann tritt Klaus Müller vor, der gemeinsam mit Sebastian Arranz, Sebastian Baumgart und Thomas Prazak im Verlauf des Abends in allerlei Rollen schlüpft, und rezitiert "Erinnerung an die Marie A.", teilweise. Bertolt Brechts Gedicht wurde auf dem Festival bislang nur mit ehrfurchtsvoller Hingabe wiedergegeben. Müller demontiert es, sodass von der wehmütigen Erinnerung eines alten Mannes an seinen ersten Kuss doch nur ein Schwanz im Wind stehen bleibt.
In diesem Duktus geht es weiter, Wengenroth spannt ironisch, einfallsreich, mit Spaß am Spaß den Bogen ins Heute, zu Madonnas "Material Girl" ebenso wie zum Versprechen aufs schnelle Geld, entsprechend der Revue in kurzen Nummern. Geklammert wird dies von Brechts Klassikern, von "Marie A." bis zur Dreigroschenoper, die sich klug mal textlich, mal visuell in Kostüm oder Bühnenbild niederschlagen. Und sie werden zusammengehalten von den Clowns. Irgendwann steht Klaus Müller dann da, grotesk auf einem Eimer, und singt Heinz Rühmanns "Der Clown".
Und plötzlich wird einem klar, dass man auch Brecht als so einen traurigen Unterhaltungskünstler betrachten könnte, "doch keinen ließ der Clown, der Clown/in sein Herz hineinschau'n".