Bücher über Geisterstädte:Cowboys und Gespenster

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"Geister sind scheue Wesen": Der Literaturherbst bringt gleich drei neue Bücher, in denen es um dämonische Orte geht. Grund genug, jetzt schon vorzupreschen und das erzählerische Terrain der Geisterstädte auszukundschaften

Tina Rausch

Alfred Hitchcock war schuld. Das glaubte zumindest George Spahn, als er 1966 in Konkurs ging. 25 Jahre lang diente seine Spahn Movie Ranch in den Santa-Susana-Bergen nahe Los Angeles als Filmkulisse für "High Noon", "Duell in der Sonne", "Bonanza" und andere legendäre Western. Als das Geschäft Anfang der Sechziger einbrach, verdächtigte Spahn "Bauchaufschlitzerfilme" wie Hitchcocks "Psycho", das Publikum abzuziehen. Spahn sattelte um auf Pferdeverleih und konnte doch nicht verhindern, dass seine Ranch zur Geisterstadt verkam.

Spooky: Die Western Sets von Hollywood wurden manchmal selbst zu Schauplätzen des Verbrechens. (Foto: Getty Images)

Entsprechend verlockend klang das Angebot einiger junger Hippies im Jahre 1968, sich um das Anwesen und den Besitzer zu kümmern, wenn sie in den leer stehenden Gebäuden wohnen dürften. Der alte Spahn ahnte nicht, dass er sich mit Bauchaufschlitzern einließ: Bis September 1969 lebten Charles Manson und seine Anhänger auf der Ranch. Die Manson Family feierte Drogen- und Sexorgien und phantasierte vom befreiten Leben im Death Valley. Doch bevor es dazu kam, bohrte sie sich mit den Tate-LaBianca-Morden ins kollektive Gedächtnis.

Vor 43 Jahren, am 8. und 9. August 1969, fuhren Familienmitglieder in Mansons Auftrag nachts nach Los Angeles und metzelten in der Stadt der Engel die schwangere Schauspielerin Sharon Tate und sechs weitere Menschen nieder. Kurz darauf stürmte eine Polizeihundertschaft die Ranch in einem filmreifen Großeinsatz; im Herbst 1970 gingen die Reste in einem Buschfeuer auf. Eine magische Anziehungskraft umweht sie bis heute: Etliche Verweise finden sich im Internet; Bilder aus ihrer Blütezeit als Westernstadt ebenso wie mit der Manson Family. Diejenigen, die in die 1200 Santa Susana Pass Road in Chatsworth gefahren sind - so die offizielle Adresse -, berichten von der gespenstischen Stimmung. Und manche sehen sogar Geister.

Ob Alex Capus sie deshalb umkurvt hat? Sein Trip durch den Wilden Westen führte knapp daran vorbei; von der Goldgräber-Geisterstadt Bodie im Nordosten Kaliforniens über Panamint City am Westrand des Death Valleys quer durch den Gran Canyon bis nach Flagstaff, Arizona. Vielleicht war dem Schweizer Schriftsteller die Spahn Ranch noch zu frisch: Für sein Buch "Skidoo", das an diesem Montag bei Hanser erscheint, recherchierte Capus wahre Geschichten vom Silber- und Goldrausch im 19. Jahrhundert. Er erzählt von Saloons mit leichten Mädchen und schweren Jungs, von albernen Schießereien mit grausigem Ende, von schlauen Indianern, bayerischen Bierbrauern in der Wüste und von Kamelen auf der Route 66. "Meine Reise durch die Geisterstädte des Wilden Westens" steht auf dem schmalen Band.

Gespenster der Vergangenheit

"Geister sind scheue Wesen", schreibt hingegen Marie Pohl in ihrem Buch "Geisterreise", das gerade im Verlag S. Fischer erschienen ist. "Sie sollen mich rufen. Ich werde dorthin fahren, wo man mich einlädt." Die Rufe sind laut. Pohl reist in den "Green Canyon" Bali, nach Kuba, Ghana, Mexiko, Irland. Sie spricht mit Priestern, Heilern, Magiern, hütet ein Geisterhaus und fährt mit dem Eifelexpress zu einem Zauberer, der ihr sein persönliches Geistermodell erklärt. In New York geht sie mit Geisterjägern auf Tour. Diese entpuppen sich als Knastbrüder, bringen Pohl aber nah an ihr Ziel, denn bei jeder Expedition "öffnete sich mir eines der erleuchteten Fenster und ließ mich einen kurzen Blick werfen, hinein in die Existenz der vielen, die hier mit den Geistern ihres Lebens kämpften."

So wie Claire Vaye Watkins. Sie wurde 1984 in der Sierra Nevada geboren und wuchs in der Mojave-Wüste auf. Heute lebt sie in Lewysburg, Pennsylvania und glaubt, dass die Herkunft viel über einen Menschen verrät. Ihr Vater Paul Watkins ging als junger Mann in die Wüste, weil Charles Manson es ihm auftrug. Watkins wohnte 1969 mit der Manson Family auf der Spahn Ranch. Während der Tate-LaBianca-Morde war er allein im Death Valley und floh danach dorthin zurück. "Die Wüste war seine Rettung, die Liebe seines Lebens", schreibt Watkins über ihren Vater, an den sie sich kaum erinnert.

Er starb 1990, als sie sechs Jahre alt war. "Geister, Cowboys" heißt ihr Storyband, der im September bei Ullstein herauskommt. Die erste Erzählung handelt von Herkunft; von George Spahn und der Movie Ranch, von Alfred Hitchcock, Gregory Peck, Charles Manson und einem tonnenschweren Erbe. Und fast scheint es, als habe sich Claire Vaye Watkins freigeschrieben, frei von Manson und anderen Gespenstern der Vergangenheit, um mit neuen Geschichten zurückzukehren. Zu den Cowboys und Geistern im Death Valley.

© SZ vom 30.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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