Dem Bösen als einem unbestreitbaren Faszinosum steht Eagleton kategorial wehrlos gegenüber. Alle Reflexionen über das Böse scheinen immer auf den einen Satz Hannah Arendts von der "Banalität des Bösen" weisen zu müssen, geäußert anlässlich des Eichmann-Prozesses. Eagleton will den Satz aus seinem aporetischen Status in den Rang einer eigentlichen Wahrheit erheben: Natürlich, meint er, sei das Böse banal, da ihm alles distinkt Existierende immer als gleichartig wertlos erscheine; das Böse, und zwar gerade das dämonisch Böse, sei vor allem eins, unglaublich langweilig.
Eagleton schreckt in seinem ansonsten klugen Buch ängstlich davor zurück, dem Bösen bis in seine Wurzeln nachzugehen. Er glaubt, Partei für das Gute nehmen zu sollen, noch ehe das Böse ganz erkannt wäre. Infolgedessen endet er verzagt und matt mit einem Porträt des Terroristen. Diesen jedoch beschriebe man wohl treffender als einen Politiker am kürzeren Hebel, welchen er mit besonderem Impetus handhabt, um dennoch Wirkung zu erzielen. Kann Politik böse sein? Das Abgründigste an Eagletons Buch ist seine Widmung: "Für Henry Kissinger".
Nach diesem Verdunstungseffekt, mit dem Eagleton endet, nimmt man erwartungsvoll ein Buch zur Hand, das "Die Lust am Bösen" heißt. Es verheißt, dass hier keine Ausreden durchgehen sollen, sondern der Teufel am Schlafittchen gepackt wird. Eugen Sorg, der Verfasser, unterwegs für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz, hat besonders in den postjugoslawischen Bürgerkriegen zu viel gehört und gesehen, als dass ihn die verlegenen Exkulpationen der westlichen Öffentlichkeit nicht aufbringen müssten.
Unausgetragene historische Konflikte seien es, die sich hier Bahn brächen, ein rückständiger Nationalismus, eine panisch um sich schlagende Angst, Irrtum, Vorurteil, Aberglaube, Unwissen? Das alles gleite völlig von jener tiefen Lust ab, mit der man einem früheren Nachbarn und Spielgefährten rostige Nägel durch die Füße bohrt.
Solche und noch schlimmere Dinge aber hat es massenweise gegeben; und nicht Einzelne haben sie begangen, sondern Tausende, ohne Befehl und völlig spontan: begeisterte Urheber waren am Werk gewesen. "Sie (die Medien und Experten im Westen) zogen die Möglichkeit, dass Menschen mit einer genuinen Neigung zum Bösen ausgestattet und durch den Zustand der Gesetzlosigkeit förmlich beflügelt werden könnten, nicht einmal in Betracht."
Sorg hält zu Recht daran fest, dass jegliche "Erklärung" in solchen Fällen den Sachverhalt verfehle, indem sie das Opfer degradiere, den Täter verharmlose, nicht zuletzt dem Erklärenden selbst allzu bequem sei. Aber es scheint im Wesen seines Gegenstands zu liegen, dass dieser, sobald er dingfest gemacht ist, sich in der Tautologie verhärtet: Das Böse, wenn es wirklich das Böse ist, ist - das Böse. Genau dies hatte Eagleton als Problem registriert; und genau hier kommt Sorg nicht weiter. Es bereitet dem Autor zusehends schlechte Laune, er beginnt Fall um Fall aufzuzählen, von Ruanda bis zu den Überfällen in der Münchner Fußgängerzone, wo der "pastorale Therapeutismus" ins Leere gehe. An Gegenbegriffen hat er zu bieten: "Untat", Ursünde", "Verworfenheit", und wenn er poetisch wird: "schwarzer Demiurg".
Fast unmerklich verlagert das Buch sein Augenmerk von der Feststellung, dass das Böse nicht therapierbar sei, auf die Unverbesserlichkeit jener anderen, die nicht sind wie wir. Da wird der iranische Präsident Ahmadinedschad zum "kleingewachsenen Mann mit dem Freizeitjäckchen", der sich der "offenen Verhöhnung des globalen Zivilisationsvertrags" vermisst, weil er eine Atombombe will, die ihm nicht zusteht. Das ist bloß noch wüstes Geschimpfe ohne Erkenntniswert.
Das Buch schließt mit einem Finale furioso wiederum gegen Terroristen und Islamisten. Wo Eagleton in Ermattung strandete, da herrscht bei Sorg eine Wut, bei der man sich fragt, zu wie viel von dem, was sie anderen unterstellt, sie gegebenenfalls selbst fähig wäre.
Lesen Sie weiter auf Seite 3, was das Böse wirklich ausmacht.