Süddeutsche Zeitung

Bücher des Monats:Wer die Politik der Zukunft bestimmt

Milieustudien bei den Durchschnittlichen, eine "Philosophie der Migration" und die Frage, wo die kommenden Konflikte der Weltpolitik lauern: die Bücher des Monats Juni.

Von SZ-Autorinnen und Autoren

Helene Hegemann: Schlachtensee

Die Kapitel in Helene Hegemanns Erzählungsband sind Episoden: 15 radikale Texte, die ein verstörend beklemmendes und authentisches Bild der Gesellschaft zeichnen. Der genaue Blick der Autorin ist ruhig, ihre Figuren kraftvoll und komisch. Und dabei handelt es sich bei den Geschichten, so unterschiedlich sie sein mögen, nicht um Milieustudien, sondern um Oden an das gemischte Gefühl, das Durchschnittliche. Die Figuren in "Schlachtensee" heißen Minute, Jacoby oder Safran, leben in Kanada, Nordfrankreich oder Russland, lieben polyamourös, geben Geld aus, trinken, daten, bemitleiden sich gegenseitig und hadern mit ihrer Banalität. Insgesamt: ein schmerzhaftes Vergnügen.

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Andrea Tompa: Omertà

Andrea Tompas Roman über die Zeit der Ceausescu-Diktatur lässt sich kaum von seiner Handlung ausgehend begreifen und das zeichnet ihn vielleicht aus. Seine große Kunst ist, dass seine Figuren viel mehr über sich und ihre Welt preisgeben, als sie wollen und wissen. Aus Kali zum Beispiel spricht nicht nur das Unglück ihrer Ehe, im Rosenzüchter Vilmos Désci erkennen wir den stillen Opportunisten einer Parteidiktatur. Bei fortschreitender Lektüre wird klar, dass dieser polyphone Roman nicht nur aus vier Stimmen besteht, sondern vor allem aus dem Schweigen einer fünften Stimme, der Erzählerstimme eines zeithistorischen Romans. Der Übersetzung von Térezia Mora verdanken deutsche Leserinnen und Leser einen großen europäischen Roman.

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Donatella Di Cesare: Philosophie der Migration

Di Cesare ist eine der prominentesten Stimmen unter den Pazifistinnen und Waffengegnern. Ihre Forderung, Konzepte wie Staat oder Nation zu entmystifizieren, ist zwar einleuchtend. Im Lichte gegenwärtiger Ereignisse ist aber einmal mehr unklar, wie sich ihre Ideen umsetzen ließen. Man sollte ihr Denken aber keinesfalls als naiv einstufen. Entgegen der starren Perspektiven von Staaten und Nationen, die ihr Innen und Außen definieren müssen, fordert Di Cesare in ihrer "Philosophie der Migration" ein zeitgemäßes, neues Menschenrecht, das der Realität fragiler und mobiler Lebensumstände des 21. Jahrhunderts entspricht.

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Alexander Görlach: Alarmstufe Rot

Alexander Görlach problematisiert die passive Rolle des Westens, zumindest was die Bedrohung durch China angeht. Pekings aggressive Außenpolitik, besonders in Ländern wie Taiwan, Vietnam oder Südkorea, wird immer bedrohlicher. In Taiwan fliegen Kampfjets über das Land, Experten erwarten, dass die Taiwan-Frage binnen sechs Jahren zu einem Krieg führen wird. Territorialkonflikte dort, sowie in Vietnam oder Japan sorgen für eine angespannte Lage, und Görlach fragt, ob sich Chinas Diktatur selbst überschätzt und inwiefern der Westen aktiver handeln sollte.

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Thomas Großbölting: Die schuldigen Hirten. Geschichte des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche

Der Kirchenhistoriker Thomas Großbölting hat im Juni ein Missbrauchsgutachten zum Bistum Münster vorgestellt, das erste, das nicht von Anwälten geschrieben wurde. Großbölting geht es weniger um die individuelle Schuld der Täter als um das System Kirche und wie es Missbrauch begünstigt. Passend dazu hat er eine tiefgründige Analyse veröffentlicht, die erschauern lässt. Pastoralmacht und Klerikalismus führten zu einer "Täterideologie", so die Gleichung. Oder anders: Missbrauch sei "im Katholischen und seiner jetzigen Sozialgestalt tief verankert - theologisch, moralisch und praktisch-pastoral". Damit rüttelt der Historiker an den Fundamenten der Kirche.

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Anna Sauerbrey: Machtwechsel. Wie eine neue Politikergeneration das Land verändert

Die Journalistin Anna Sauerbrey hat die Bundestagswahl 2021 zum Anlass genommen, sich das neue Polit-Promi-Personal anzusehen. Eine Art Verjüngung hat ja dann doch stattgefunden. Und so versucht die Zeit-Redakteurin herauszufinden, wie Politiker der Generation X - Baerbock, Lindner, Klingbeil - ihre Arbeit und ihr Amt verstehen und was sie von früheren Politikertypen unterscheidet. Die Generation X, so Sauerbrey, hat einen nüchternen Zugang als frühere Politiker. "Machtwechsel" ist dabei mehr als eine Aneinanderreihung von Analysen. Auf 300 Seiten beschäftigt sich die Autorin auch mit dem Generationenbegriff und dessen Grenzen.

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SZ/cag/masc
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