Bücher des Monats:Von Extremismus und Entgrenzung

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Die Geschichte der Querdenker, Pestnächte im Inselparadies und ein Recht auf Sex: Das sind die Bücher des Monats.

Von SZ-Autoren

Natasha Brown: Zusammenkunft

Natascha Brown: Zusammenkunft. Roman. Aus dem Englischen von Jackie Thomae. Suhrkamp Verlag, Berlin 2022. 113 Seiten, 20 Euro. (Foto: Suhrkamp Verlag)

Die Ausgangssituation dieses schmalen, dichten, bestechend intelligenten Romans der britischen Autorin Natasha Brown sieht so aus: Eine junge Britin hält an Schulen Vorträge darüber, dass jeder es schaffen kann, wenn er oder sie bestimmte Tugenden an den Tag legt, fleißig und ehrgeizig ist. Sie selbst ist der beste Beweis: Sie ist in einer karibischen Einwandererfamilie aufgewachsen, hat es nach Cambridge geschafft und eine Bilderbuchkarriere in der Londoner Finanzwelt hingelegt. Bald aber beschleichen sie Zweifel: Stimmt es eigentlich, was sie da sagt? Belügt sie ihr Publikum?

Der Roman betrachtet den Bereich, in dem Aufstiegsversprechen und Zugehörigkeitsfragen kollidieren. Obwohl sie alles richtig gemacht hat und die höchsten gesellschaftlichen Sphären Großbritanniens zum Greifen nah sind, fühlt sie sich nicht als vollwertiger Teil der Gesellschaft. Seite um Seite entfaltet sich die Selbstbefragung der Protagonistin, die bald alles in Frage stellt: die Gesellschaft in ihrer jetzigen Form, das Erzählen und das Leben selbst.

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Orhan Pamuk: Die Nächte der Pest

Orhan Pamuk: Die Nächte der Pest. Aus dem Türkischen von Gerhard Meier. Carl Hanser Verlag, München 2022. 695 Seiten, 30 Euro. (Foto: Hanser Verlag)

Der türkische Nobelpreisträger Orhan Pamuk hat mitten in der Pandemie einen Roman über eine große Pest veröffentlicht. Im Mittelpunkt steht die schöne Insel Minger, in der die Religionen und sozialen Schichten in schöner Eintracht miteinander und nebeneinander leben. Doch dann kommt die Pest und die Milieus fallen auseinander. Das offene, inklusive Minger verengt sich, Journalisten und Oppositionelle werden verfolgt, die neue Staatsräson lautet "Minger den Mingerern". Schnell wird klar: Der Roman ist eine bittersüße Parabel auf den autoritären Niedergang der Türkei. In seinem Heimatland läuft bereits ein Verfahren gegen den Roman wegen "Beleidigung Atatürks und der türkischen Fahne".

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Helmut Klages: Expedition zur Mitte

Helmut Klages: Expedition zur Mitte - Über die Eigenschaften der Wählerschaft zwischen links und rechts. Campus Verlag, Frankfurt am Main 2022. 159 Seiten, 25 Euro. (Foto: Campus Verlag)

Bröckelt die Mitte? Soziologe Helmut Klages macht sich in dem Sachbuch auf eine Expedition und seziert die so sagenumwobene Mittelschicht mit großer Neugierde, von historischen Betrachtungen über soziologische und politische Definitionen. Am Ende kommt er zu einer so einfachen wie erhellenden Diagnose: Er sieht in ihr die "Wählerschaft zwischen links und rechts". Ein Herdentier also, das mal mehr nach links, mal mehr nach rechts mitwandert - je nachdem, welcher Flügel gerade stärker ist. Und Klages adelt diesen trägen Opportunismus und seine Unbeeindruckbarkeit als möglicherweise wichtigste Stütze der Republik.

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Amia Srinivasan: Das Recht auf Sex

Amia Srinivasan: Das Recht auf Sex - Feminismus im 21. Jahrhundert. Aus dem Englischen von Claudia Arlinghaus und Anne Emmert. Klett-Cotta, Stuttgart 2022. 320 Seiten, 24 Euro. (Foto: Klett-Cotta)

Sollte jeder dasselbe Recht auf Sex haben - ganz unabhängig von Aussehen, Reichtum, Macht? Im Zentrum der Essaysammlung steht ein Amoklauf: Elliot Rodger tötete 2014 sechs Menschen im kalifornischen Santa Barbara, um sich für Zurückweisung durch Frauen und Mädchen zu rächen. Die junge Philosophin und Oxford-Professorin Amia Srivasan untersucht seine Ideologie und diskutiert differenziert und kontrovers Fragen rund um Begehren, Pornografie und Femizide in patriarchalen Strukturen, um #MeToo oder um popkulturelle Phänomene wie America's Next Top Model. In sechs Essays überrascht sie mit feinen Beobachtungen, ohne jemals vorzugeben, endgültige Antworten zu liefern.

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Mark Schieritz: Olaf Scholz - Wer ist unser Kanzler?

Mark Schieritz: Olaf Scholz. Wer ist unser Kanzler? S. Fischer Verlage, Frankfurt 2022. 176 Seiten, 20 Euro. (Foto: S. Fischer)

Wer ist Olaf Scholz und wofür steht er? Eines ist mal sicher - der neue Bundeskanzler eignet sich nicht für eine echte Biografie, dafür hält er sein Privatleben zu sehr geheim. Und die Anzahl der Anekdoten über ihn ist auch überschaubar. Doch immerhin gibt es nun erste Ansätze zur Kanzler-Erklärung. Eine davon hat der Zeit-Redakteur Mark Schieritz unternommen, der sich vor allem den Politikstil des Mannes im Kanzleramt genauer angeschaut hat. Schieritz versucht eine Art Ideengeschichte, wie der Hamburger vom ganz linken SPD-Flügel zum "Mittemann" der Sozialdemokratie wurde, und hilft damit entscheidend, das Weltbild des neuen Kanzlers zu entschlüsseln. Hier gewinnt Scholz nicht unbedingt als Mensch, aber immerhin als politisches Wesen Kontur.

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Steffen Greiner: Die Diktatur der Wahrheit, eine Zeitreise zu den ersten Querdenkern

Steffen Greiner: Die Diktatur der Wahrheit. Eine Zeitreise zu den ersten Querdenkern. Tropen-Verlag, Stuttgart 2022. 272 Seiten, 20 Euro. (Foto: Klett Cotta)

Schon vor 100 Jahren predigten selbsternannte Apostel neue Lebensweisen, begehrten gegen die Obrigkeit auf und sammelten Gleichgesinnte hinter sich. Was lässt sich von ihnen über die heutige "Querdenken"-Bewegung lernen? Der Publizist Steffen Greiner hat nach historischen Verbindungen gesucht und Erhellendes zutage gefördert. Die Stärken des Buches liegen in der Darstellung der historischen Ereignisse. Zwei Problemen entkommt der Autor aber nicht. Denn einerseits sind die Propheten und "Inflationsheiligen" keine echten Vorläufer der "Querdenker", und andererseits gerät man schnell in die Verharmlosungsfalle, wenn man beide Epochen miteinander vergleicht. Dennoch hilft das Buch, die heutigen "Querdenker" besser zu verstehen, ohne dafür Verständnis zeigen zu müssen.

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