Bücher des Jahres 2015:Das sind die wichtigsten Bücher des Jahres

Michel Houellebecq, Navid Kermani, Umberto Eco - diese Autoren haben das Jahr 2015 geprägt.

1 / 10

Michel Houellebecq - Unterwerfung

-

Quelle: Dumont

Michel Houellebecqs "Unterwerfung" zu lesen, ohne an die Attentate auf Charlie Hebdo zu denken, ist schwer möglich. Der Roman erschien am Tag des Anschlags, es war eine Houellebecq-Karikatur, die zu diesem Zeitpunkt auf der Titelseite der Satire-Zeitschrift prangte und dann ist da noch das Thema des Buches: Houellebecq spielt in "Unterwerfung" mit den Ängsten vor einer "Islamisierung" Frankreichs. Er entwirft eine Zukunftsvision, in der der Front National unter Marine Le Pen die stärkste politische Kraft ist. Um die Machtübernahme der Rechtspopulisten zu verhindern, verbünden sich die Sozialisten mit einer islamischen Partei.

Houellebecq hält in "Unterwerfung" der französischen Politik und der westlichen Gesellschaft, die an ihrem "atheistischen Humanismus" zugrunde gehe, einen Zerrspiegel vor. Seine Satire legt ein fein geknüpftes Netz an Verweisen aus, und man muss diesen Fährten folgen, um die Stoßrichtung zu verstehen.

Lesen Sie hier die vollständige Rezension von SZ-Literaturchef Christopher Schmidt.

2 / 10

Umberto Eco - Nullnummer

buch cover

Quelle: Verlag

Umberto Eco ist auch ein Mann der Presse, hat Kolumnen für das Wochenmagazin L'Espresso und Artikel für Tageszeitungen geschrieben. Jetzt hat er eine fiktive Zeitung in den Mittelpunkt seines neuen Romans gestellt: "Nullnummer", gerade auf Deutsch im Carl Hanser Verlag erschienen, spielt im Italien des Jahres 1992, das politische Parteiensystem der Nachkriegszeit beginnt zu zerfallen, der Aufstieg Silvio Berlusconis steht bevor, und auch der Siegeszug des Handys und des Internet kündigt sich gerade erst an. Alte Gewissheiten zerfallen, dort, wo einmal starke Ideologien waren, tun sich Leerstellen auf.

In seinem neuem Roman "Nullnummer" reagiert der Schriftsteller auf die Zeitungskrise. Im SZ-Interview spricht Umberto Eco über Nachrichten, das Lesen und die italienische Presse.

Lesen Sie hier das Interview von SZ-Literaturkritiker Lothar Müller mit Umberto Eco.

3 / 10

Jenny Erpenbeck - Gehen, ging, gegangen

-

Quelle: Knaus

Jenny Erpenbeck hat mit "Gehen, ging, gegangen", den Roman der Saison geschrieben. Ein emeritierter Altphilologe mit DDR-Biografie fasst darin ein Interesse an den Flüchtlingen, die auf dem Berliner Oranienplatz campieren. Er gibt ihnen Deutschunterricht, freundet sich mit einzelnen an, lädt einen jungen Mann zu sich nach Hause ein, um ihm das Klavierspielen zu ermöglichen. Eingestreut sind die Geschichten, die er sich erzählen lässt und mit dem Tonband aufzeichnet, Geschichten von Massakern und Kriegen in den Heimatländern, vom Verlust der Familien, von Toten und von Armut, Geschichten auch vom Sterben und Kämpfen auf den Booten im Mittelmeer.

Erpenbeck ist nah dran an der deutschen Wirklichkeit, an den Flüchtlingsheimen, dem Misstrauen, das den Flüchtlingen entgegenschlägt und all den Auseinandersetzungen um Bleiberecht und Arbeitsmöglichkeiten. Und wer wissen will, wie es Flüchtlingen hierzulande ergehen kann, dem sei dieses Buch als Sachkunde durchaus empfohlen. Die didaktische Absicht aber ist klar: der anonymen Menge der Flüchtlinge persönliche Gesichter und Geschichten zu verleihen, um so die Empathie zu steigern. Das mag auch gelingen; doch der Roman ächzt und stöhnt unter so viel gutem Willen und Vorsätzlichkeit.

Lesen Sie hier die vollständige Rezension von SZ-Literaturkritiker Jörg Magenau.

4 / 10

Jonathan Franzen - Unschuld

-

Quelle: Rowohlt

Franzen gelingt es, glaubwürdig in die verschiedensten sozialen Welten einzutauchen. Das Milieu einer poststudentischen WG vermag er genauso suggestiv einzufangen wie die James-Bond-hafte Szenerie mit einem zynischen Risikokapitalanleger aus dem Silicon Valley. "Unschuld" ist Campus-, Bildungs- und Berlin-Roman in einem, Polit-Thriller und Pamphlet, alles gleichzeitig, und nebenher auch ein Buch über den Journalismus.

Jonathan Franzen hat einige dicke Bücher geschrieben. Sein neues Buch "Unschuld" enthält viel rhetorischen Schall und durchaus Wahn - und doch ist es eine große Fiesta, weil dieses Buch teuflisch gut geschrieben ist.

Lesen Sie hier die vollständige Rezension von SZ-Literaturchef Christopher Schmidt.

5 / 10

Clemens J. Setz - Die Stunde zwischen Frau und Gitarre

buch cover

Quelle: Verlag

Clemens J. Setz hat einen wahnwitzigen Stalker-Roman über eine junge Frau geschrieben - "Die Stunde zwischen Frau und Gitarre", das sind tausend Seiten Terrorpoesie.

Kaum einem Schriftsteller gelingen so fantastische Verschaltungen von Organischem und Mechanischem, Belebtem und Unbelebtem. Setz ist einem transhumanen Körpergedächtnis auf der Spur, bei dem das Schmatzen, Glucksen, Einverleiben und Auswerfen einen Zugang zu den allerseltsamsten Unterwelten eröffnet.

Lesen Sie hier die vollständige Rezension von SZ-Literaturkritikerin Jutta Person.

6 / 10

Navid Kermani - Ungläubiges Staunen

-

Quelle: C.H.Beck

Der bekannte Schriftsteller, Orientalist, Kulturmuslim und Friedenspreisträger nähert sich in diesem Buch dem Christentum an - indem er seine Bilder betrachtet: Gemälde und Skulpturen von Gott, Maria, Jesus, Heiligen. Die Beispiele sind frei gewählt, folgen keiner kunsthistorischen Systematik, sondern persönlichen Vorlieben und Erlebnissen. Kermani wollte ja keine wissenschaftliche Erörterung verfassen, sondern über seine Erfahrungen mit dem Christentum literarisch Rechenschaft ablegen. Dazu passt sein Ton: kein begrifflich strenges Dozieren und Argumentieren, sondern ein nachdenkliches Parlando, das bei aller Assoziations- und Erzählfreude dennoch konzentriert bleibt, manchmal fast meditativ wird.

Man merkt einigen Kapiteln an, dass sie ursprünglich für Zeitungen oder Zeitschriften verfasst wurden. Eine solche Nähe zum Journalismus bekommt vielen Büchern nicht, hier aber eröffnet sie eine unangestrengte Zugänglichkeit, eine feine Mühelosigkeit, wie man sie in Büchern über Religion viel zu selten findet. Man könnte darin fast ein Statement sehen: Es ist möglich, auch entspannt und gerade deshalb inspirierend über den Glauben zu schreiben.

Lesen Sie hier die vollständige Rezension von SZ-Literaturkritiker Johann Hinrich Claussen.

7 / 10

Frank Witzel - Die Erfindung der Roten Armee Fraktion...

-

Quelle: Matthes & Seitz

Im Mittelpunkt des Romans steht ein 13-jähriger Teenager im Sommer 1969. Von diesem Schwellenjahr aus beurteilt er die Welt, gespiegelt in Pop, Konsum und Theorie. Frank Witzel verlegt seinen neuen Roman programmatisch hierher, als alles auf die Zukunft gerichtet war und alles immer ganz anders wurde. Sein Buch "Die Erfindung der Rote Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969" ist der erste literarische Text, der es auf ein umfassendes Archiv dieser Generation anlegt.

Was aus dem Teenager später wird, spielen mehrere Versuchsanordnungen durch: Es gibt den Terrorismus-Strang und den Strang eines katholischen Konvents, Heiligenlegenden stehen neben Hagiografien der Baader-Meinhof-Gruppe. Der Wahn eines "Manisch-Depressiven" lässt viele Lösungen zu. Keiner kann man wirklich trauen, alle sind auf ihre Weise wahr. Dies ist keine Saisonware. Dies ist ein Roman mit Langzeitwirkung.

Lesen Sie hier die vollständige Rezension von SZ-Literaturkritiker Helmut Böttiger.

8 / 10

Harper Lee - Gehe hin, stelle einen Wächter

Harper Lee  - 'Gehe hin stelle einen Wächter'

Quelle: dpa

Als Anfang dieses Jahres ein "neuer" Harper-Lee-Roman angekündigt wurde, war das eine literarische Sensation. Wobei "neu" das falsche Wort ist, schließlich ist "Gehe hin, stelle einen Wächter" von 1957 und war das allererste Buch der Autorin. Damals vom Verlag abgelehnt, galt das Manuskript lange als verschollen. Die Veröffentlichung dieses Jahr sorgte allerdings bei manchem Harper-Lee-Fan für Ernüchterung: Schließlich ist "Gehe hin, stelle einen Wächter" eine frühe Version von Lees Erfolgsroman "Wer die Nachtigall stört" - der Tenor der Geschichte ist aber ein gänzlich anderer: Die Schlüsselfigur Atticus Finch, ein Anwalt im rassistischen Süden der USA, ist auf einmal kein Kämpfer für die Rechte der Afroamerikaner mehr. Im Gegenteil, er beharrt auf der Rassentrennung.

Das macht "Gehe hin, stelle einen Wächter" zu einer spannenden, schmerzlichen Lektüre. Man muss Widerstände überwinden beim Lesen, und den Helden zugestehen, dass sie nie wirklich ideal sein können.

Lesen Sie hier die vollständige Rezension von SZ-Literaturkritiker Fritz Göttler.

9 / 10

-

Quelle: DVA

Mit "Cold Spring Harbor" ist nun auch der letzte Roman des großen amerikanischen Desillusionierungskünstler Richard Yates (1926-1992) auf Deutsch erschienen. Er erzählt die Geschichte zweier Familien, die in den frühen Vierzigerjahren auf Long Island zusammentreffen.

"Cold Spring Harbor" ist ein Konzentrat von Yates' Schaffen, er versammelt noch einmal voll stiller Erbitterung die verdrängten Themen dieser Zeit: Den Sex, der zur Besessenheit wird, wenn man erst heiraten muss, um ihn zu haben - woraus dann lauter unglückliche Familien hervorgehen. Die Obsession des sozialen Aufstiegs, die jene ins Leere stürzen lässt, für die der amerikanische Traum nicht in Erfüllung geht. Und das Diktat des positiven Denkens, das sich leicht in ein selbstzerstörerisches Ungeheuer verwandelt.

Lesen Sie hier die vollständige Rezension von SZ-Literaturchef Christopher Schmidt.

10 / 10

Leslie Jamison - Die Empathie-Tests

Die Empathie-Tests

Quelle: Hanser Berlin

"Die Empathie-Tests" versammelt Aufsätze, die die US-amerikanische Autorin Leslie Jamison zwischen 2006 und 2012 in Zeitschriften wie Harper's Bazaar oder Vice veröffentlicht hat. Jamison erkundet darin ihre Gefühlswelt und raubt uns bei diesen Tauchfahrten unter die eigene Haut einige Illusionen über das Wesen der Empathie. Denn bei näherer Betrachtung erweist sich das, was wir für naturhaft gegeben halten, für einen Wärmestrom, der einfach so da ist, als überaus komplex, ja als eine Kulturtechnik, die gelernt sein will.

Die amerikanische Ausgabe führte schnell die Bestsellerliste der New York Times an. Kein Wunder, ist Leslie Jamison doch eine ungemein inspirierende Seelenkundlerin. Wie die großen französischen Moralisten zeigt sie mit ihren brillanten Essays, wie haltlos der klischeehafte Dualismus von Verstand und Gefühl ist.

Lesen Sie hier die vollständige Rezension von SZ-Literaturchef Christopher Schmidt.

© SZ.de/khil/luc
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: