Buchmesse:So ein Durcheinander im Kopf

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"Kraftquelle inneres Kind". "Erleuchtung zum Frühstück". "Der Weg ins offene Gewahrsein". "Entdecke den Meister in dir". Was die Frankfurter Buchmesse auch ist: Eine große Schau der Esoterik.

Von Johan Schloemann

Unsere Spitzentitel auf der Buchmesse: "Kraftquelle inneres Kind". "Erleuchtung zum Frühstück". "Der Weg ins offene Gewahrsein". "Entdecke den Meister in dir". Über das eine oder andere Buch wird allerdings noch kontrovers diskutiert: etwa im Fall von "Die Lichtenergie der Einhörner". Erscheint im Schirner-Verlag, dessen Motto lautet: "Lesen, fliegen, landen."

Das öffentliche Interesse an einer Buchmesse gilt meist zwei großen Themenfeldern, und zwar unabhängig von der Trennung in schöne Literatur und Sachbücher: hier Politik, Geschichte, Wissenschaft; dort Liebe, Fantasie, Kunst und Verbrechen. Dazwischen aber liegt noch ein Riesensegment des Buchmarktes: das der Ratgeber. Bei manchem geht es ums Kochen, Sprachenlernen oder um Kfz-Mechanik. Doch Selbstfindung und Lebensführung nehmen jetzt immer mehr Raum ein. Und wie es eben so ist im Supermarkt der Spiritualität, wo alte Orientierungsgrößen wie Bildung, Sippe und Gottvertrauen bröckeln, wo das Glück viel Arbeit am Selbst verlangt, liegen weise Tipps und Scharlatanerie nah beieinander.

Dafür gibt es zum einen spezialisierte Verlage, man findet sie in der Halle 3 der Messe, wo es direkt hinter dem Stand der Deutschen Bundesbank plötzlich sanfter, einfühlsamer und ganzheitlicher wird. Die Verlagsstände heißen dann Freies Geistesleben, Tibethaus Deutschland, Buddha's Light, Das Dritte Testament, Synergia. Neben den sehr entspannt lektorierten Neuerscheinungen werden natürlich auch Tarot, Orakel, Kristalle geboten, und für das Buch "Seelenverträge erkennen und erfüllen" hätte man ja gerne mal ein bisschen Zeit.

Aber auch die großen Publikumsverlage übernehmen inzwischen viel Seelenstärkung, Duldungs- und Ruhetechniken, die vordergründig im Privaten dem Druck des Kapitalismus trotzen, aber in Wahrheit selbst längst produktförmig geworden sind. Darunter sind eher harmlose Promi-Ratgeber, Burn-out-Berichte, Verweise auf die Kraft der Därme oder Bäume, aber auch reiner Humbug. Im riesigen Stand-Imperium von Random House (Bertelsmann) gibt es unter vielen seriösen Titeln auch die Eso-Ecke von dazugehörigen Verlagen wie Ansata oder Integral mit Wissenswertem über Energieheilung, Schicksalsdeutung und Aura-Coaching. Zur Erinnerung: Bertelsmann hatte mal mit christlichen Erbauungsbüchern angefangen. Ein paar Meter weiter fällt "Die Herzlichkeit der Vernunft" ins Auge - aber Vorsicht, das ist nicht mehr Esoterik, sondern ein neuer Gesprächsband von Alexander Kluge und Ferdinand von Schirach.

Wenn sich "unverarbeitete Informationen" aufbauen, soll ein Blick ins Buch helfen

Man kann aber mit der Geistarbeit in Frankfurt auch schon im Hotelzimmer anfangen. Da gibt es eine etwas übersichtlichere, aber trotzdem interessante Bibliothek. Ich (wir müssen jetzt vom Ich reden, es geht um Selbstfindung) bin diesmal im neuen Toyoko Inn untergebracht. Das ist so eine Art japanisches Motel One, wo man in funktionalen kleinen Plastikzellen wohnt. Norimasa Nishida, Firmengründer und Patriarch der Hotelkette, die jetzt nach Europa expandiert, ist ein Anhänger von "Naikan" und hat darüber selbst ein Buch geschrieben. Es liegt in jedem Toyoko-Inn-Hotelzimmer neben Neuem Testament und Buddha-Schriften aus. "Unverarbeitete Informationen und ungelöste Probleme bauen sich in mir auf und ich möchte mich von diesen Spannungen befreien", schreibt der Hotelchef dort. "Kurz, es ist unmöglich, sich mich und den Erfolg meiner Firma ohne Naikan vorzustellen."

Naikan ist eine Meditationsideologie, keine Religion, wie Nishida beteuert, sondern "eine rationale Praxis der Selbstfindung". Man könnte auch sagen, eine optimistische Psychoanalyse ohne freudianischen Ballast. Man müsse nur ein wenig trainieren, "um negative Denk- und Handlungsmuster zu überwinden, die allzu oft ein Durcheinander im Kopf erzeugen", schreibt mein Hotelguru. Vielleicht finde ich es also gleich hier in meiner engen Schlafkoje, das Glück. Wer braucht da die Buchmesse?

© SZ vom 13.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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