Buchkritik: Race. The Reality of Human Difference:Wenn der IQ im Busch liegt

Sind die Schwarzen genetisch bedingt von schwächerer Intelligenz? Eine Kritik des Buches von Vincent Sarich und Frank Miele, das diesen Unterschied der Rassen behauptet.

BURKHARD MÜLLER

Lässt es sich leugnen, dass es deutlich verschiedene menschliche Rassen gibt? Nein, natürlich nicht, selbst ein dreijähriges Kind bemerkt auf Anhieb den Unterschied zwischen einem Norweger und einem Chinesen. Wer leugnet es trotzdem? Alle, die aus langer schlechter Erfahrung wissen, dass verschieden zu sein auf diesem Erdball dasselbe heißt wie verachtet, versklavt und ausgemerzt zu werden, und die, um das zu ändern, nur ein einziges verzweifeltes Mittel sehen: so zu tun, als wäre nicht da, was offensichtlich ist. Und wer reibt es ihnen unter die Nase?

Buchkritik: Race. The Reality of Human Difference: "Es spielt keine Rolle, ob du schwarz oder weiß bist,", sang Michael Jackson 1992. Sein Äußeres erzählt mittlerweile eine ganz andere Geschichte.

"Es spielt keine Rolle, ob du schwarz oder weiß bist,", sang Michael Jackson 1992. Sein Äußeres erzählt mittlerweile eine ganz andere Geschichte.

(Foto: Foto: dpa)

Wer immer in den USA das Thema der Rasse berührt, der mag noch so sehr allein auf den Saiten der Wahrheit spielen wollen, er bringt dabei unweigerlich den gesellschaftlichen Resonanzboden zum Schwingen, über den sie gespannt sind. Das nicht zu wissen, ist dumm; es nicht wissen zu wollen, unverzeihlich.

Den Kern des Buchs "Race. The Reality of Human Difference" von Vincent Sarich und Frank Miele bilden zwei verzahnte Behauptungen: Erstens, der nachgewiesene durchschnittliche Intelligenzquotient der "subsaharanischen" Rasse betrage ziemlich konstant 70 Punkte; zweitens, dies sei genetisch bedingt. Die unmittelbaren Konsequenzen dieses Thesenpaars dürften auf der Hand liegen: Die Schwarzen nehmen in der US-amerikanischen Gesellschaft einen Platz ein, der als angemessen gelten kann, insofern er insgesamt untergeordnet ist.

"Was Fragen der Sozialpolitik betrifft", erklären Sarich und Miele im Vorwort, "sind wir beide Individualisten. Wir sind gegen jedes amtliche Bonus- oder Malus-System, das allein auf der Basis von Gruppenzugehörigkeit funktioniert. Stattdessen befürworten wir eine Politik, die jedem Individuum hilft, das Beste zu leisten, was er oder sie leisten kann und will. Wir beide haben von Programmen profitiert, die Begabung und Leistung fördern und belohnen, und wir finden, jeder, der qualifiziert ist, sollte Zugang dazu haben - Punktum!"

Wenn der IQ im Busch liegt

Das Buch hat knapp 300 Seiten, wäre aber, um zu formulieren, was es meint, auch mit der Hälfte ausgekommen. Der Rest lenkt ab vom Eigentlichen und ist vorwiegend dem kontingenten Umstand geschuldet, dass Vincent Sarich aus der Ecke der Paläontologie und Anthropologie stammt. Sarich hat offenbar eine erhebliche Rolle in der Neustrukturierung und -datierung des menschlichen Stammbaums gespielt; unter anderem hat er, aufgrund von Analysen des Erbguts, den Verzweigungspunkt, an dem Mensch und afrikanische Menschenaffen auseinandertraten, von zwanzig auf fünf Millionen Jahre vorverlegt.

Aber es tut nichts zur Sache, die er hier führt; im Gegenteil, es schadet ihr. Sarich führt aus, dass Zeit den wesentlichen Faktor bei der Auseinanderentwicklung der Lebensformen darstellt und man geradezu von einer "genetischen Uhr" sprechen kann. Wenn dies zutrifft, liefert es das denkbar stärkste Gegenargument zur fundamentalen Verschiedenheit der Rassen. Diese nämlich haben sich, wie Sarich und Miele einräumen müssen, erst vor höchstens 50000, wahrscheinlicher vor 35000, vielleicht gar erst vor 15000 Jahren getrennt. So ergäben sich, das Abschnurren der genetischen Uhr vorausgesetzt, zwischen 0,3 und 1,0 Prozent der Unterschiede zwischen Mensch und Schimpanse, die auch schon in ihrem Erbgut eine sehr geringe Differenz aufweisen. Das ist fast infinitesimal wenig. Dennoch existieren unbestreitbar große Unterschiede zwischen den Menschenrassen.

Hier nun erhält der jüngere Miele das Wort, der sich vor allem mit der Genetik der Hunderassen beschäftigt hat. Hunde verfügen über eine außerordentliche Plastizität in ihrem Erscheinungsbild; im Verlauf bloß von Jahrhunderten sind Formen herausgezüchtet werden, die sich so sehr voneinander unterscheiden wie eine Dänische Dogge von einem Rehpinscher. Das Merkwürdige an solcher Extremdifferenz: Sie scheint sich fast gar nicht in der Genstruktur niederzuschlagen. Wenn man das Erbgut eines Dackels und eines Rottweilers analysiert, überwiegen die individuellen Differenzen die rassischen so sehr, dass man unmöglich angeben kann, welcher von beiden Probanden der Rottweiler und welcher der Dackel war.

Hier hat die Genetik offenbar noch Erhebliches zu tun. Sarich und Miele folgern kühn und jedenfalls um einiges zu früh, so müsse es auch mit den menschlichen Rassen stehen: eine gewaltige erbliche Differenz, die sozusagen verborgen in den Chromosomen sitzt. Wissenschaftlich befriedigend ist das nicht.

Für das zweite Problem wissen die beiden überhaupt keine Lösung. Beim ersten - der knappen Rassezeit auf dem Zifferblatt der genetischen Veränderung - versuchen sie es wenigstens. Wie konnte es zu dieser enormen genetischen Beschleunigung in den letzten paar Jahrzehntausenden kommen? Die normale genetische Variation schreitet als "Drifting" voran: Pro Million Jahre werden soundsoviele Basenpaare im Genom zufällig gegen ein anderes ausgewechselt, in gemächlichem, aber ziemlich konstantem Tempo, vergleichbar den Halbwertszeiten beim Zerfall radioaktiver Elemente - dies eben hat Sarich herausgefunden. Nimmt das Tempo der genetischen Veränderung jedoch signifikant zu, so kann dies nur eines bedeuten: Dem neutralen Drifting sitzt auf einmal ein gewaltiger Auslesedruck im Nacken. Diesen müssen Sarich und Miele bei der rassischen Ausdifferenzierung postulieren, sonst bricht ihre These zusammen. Und zwar muss dieser Druck bei den einzelnen rassisch noch ungeschiedenen Populationen von Homo sapiens auf ganz unterschiedliche Weise gewirkt haben, sonst gäbe es ja heute nur eine einzige Rasse.

Was für eine Art von Selektionsdruck soll das gewesen sein? Ziemlich aufs Geratewohl behaupten die Autoren: Bei denjenigen Gruppen von Homo sapiens, die den afrikanischen Garten Eden verließen, habe die Auslese zugunsten einer gesteigerten Intelligenz gewirkt. Infolgedessen konzentrieren sich die beiden Forscher, unter allen rassischen Unterschieden (von denen es ja sehr viele gibt), fast allein auf Differenzen im Volumen des Gehirns.

Dazu muss man nun zwei Dinge sagen. Zum einen dürfte die alt- und mittelsteinzeitliche Lebensweise von Sammlern und Jägern für die afrikanischen und die außerafrikanischen Populationen noch lange sehr ähnlich gewesen sein, und wozu ein Mammutjäger mehr Grips braucht als ein Giraffenjäger, das liegt nicht auf der Hand. Die Zeitdauer, in der rassische Ausdifferenzierung überhaupt stattfinden konnte, würde sich so noch einmal erheblich verringern, auf vielleicht ein Viertel; allmählich wird es richtig eng für Sarich und Miele. Und dann stehen Intelligenz und Hirnvolumen ja keineswegs in einer einfachen Korrelation. Die Autoren schlagen sich erfolglos mit dem bekannten Faktum herum, dass in jeder Menschengruppe das Hirnvolumen der Frauen im Schnitt um zehn Prozent kleiner ist als das der Männer, ohne dass dies Konsequenzen für die geistige Leistungsfähigkeit zu haben scheint; erheblich größer ist der durchschnittliche Unterschied zwischen schwarzen und weißen Hirnen aber auch nicht.

Auch sollte man sich den behaupteten IQ von 70 einmal näher anschauen. Die Autoren tun dies leider nicht, sie sagen weder etwas darüber, was ein Intelligenzquotient überhaupt misst, noch analysieren sie, wie die Schwarzen dabei im Einzelnen abgeschnitten haben. 70 IQ, dieser eingängige Wert, hat dem Leser des sonst durchaus wortreichen Buchs zu genügen.

Er ergab sich wohlgemerkt nicht nur in den USA, um die Schwarzen als den unintelligentesten Teil der allgemeinen Bevölkerung zu markieren, sondern auch in Afrika selbst. Nun sind aber alle Intelligenztests - die aus der Schulpsychologie stammen - so geeicht, dass sie als Richtwert 100 den Durchschnitt der gemessenen Gruppe voraussetzen; nur im Verhältnis dazu besagt der IQ irgend etwas. Wenn aber die gesamte Gruppe - in diesem Fall nicht weniger als ein kompletter Kontinent - unter ihrem eigenen Durchschnitt liegen soll, dann darf man einen methodischen Fehler vermuten, und zwar einen kapitalen.

Ein IQ von 70 signalisiert Grenzdebilität; wer ihn aufweist, verfügt kaum noch über die Fähigkeit, sein Leben selbständig zu gestalten. Sarich und Miele räumen zwar ein, es sei ausgeschlossen, dass ganze Gesellschaften sich als debil erweisen, denn dann könnten sie als Gesellschaften gar nicht existieren. Sie geben zu, dass die Afrikaner in Afrika ihr Leben auf eine komplexe, kompetente, autonome, selbst glückliche Weise führen - aber dann wenden sie sich ab, als würde dieser Umstand nicht alles von ihnen Gesagte über den Haufen werfen. Wenn ein Intelligenztest, der den allgemeinen Lebenserfolg der Probanden prognostizieren soll, dies so grundsätzlich überhaupt nicht tut, gibt es offenbar nur zwei Möglichkeiten: Er misst nicht, was er zu messen vorgibt; oder was er misst, ist unerheblich.

Was Sarich und Miele beziehungsweise ihre Gewährsleute gemessen haben, wissen die Götter. Der Rezensent erinnert sich an den "SAT", den "Scholastic Aptitude Test", den er als Austauschschüler in der 12. Klasse einer amerikanischen Highschool absolviert hat und bei dem so nette Dinge abgefragt wurden wie die Länge eines Footballfelds und wieviel Unzen auf ein Pfund gehen. Wahrscheinlich sind auch diese Tester mit ähnlichem Gepäck in den Busch gezogen. Und wer von den Probanden lieber den ziehenden Vögeln nachgeschaut hat, als mit dem Bleistift dem Zug der hässlichen kleinen Piktogramme zu folgen, hat mutmaßlich fette Minuspunkte kassiert.

Was macht Intelligenz aus? In ihrem Kern doch wohl vor allem die Fähigkeit, auf eine neuartige Lage rasch in kreativer Weise zu reagieren. Wichtig an dieser Bestimmung sind das Neuartige und das Kreative: Sie sprengen den vorgegebenen Rahmen. Ein Intelligenztest jedoch wendet die größte Mühe auf, gerade dies, den Rahmen, aufs genaueste zu standardisieren; sonst nämlich könnte er seine wichtigste Leistung, die Vergleichbarkeit der Ergebnisse, überhaupt nicht gewährleisten. Wer je als Lehrer gearbeitet hat, der weiß, wie blitzhaft aufleuchtend sich ihm die Intelligenz einzelner Schüler plötzlich an gewissen kleinen Dingen kundgibt. Oft haben diese Dinge etwas mit Humor zu tun. Humor aber besteht im Abstand, den man unverhofft zu scheinbaren Unentrinnbarkeiten gewinnt, in einem Moment von Freiheit; er ist der Haken, den der Hase schlägt, wenn die Hunde ihm auf den Fersen sitzen, und weil niemand zuvor berechnen kann, in welchem Winkel er ausbrechen wird, entwischt er.Demgegenüber zeichnen sich Intelligenztests durch einen systemnotwendigen Mangel an Humor aus. Intelligenztests sind dumm; etwas anderes bleibt ihnen gar nicht übrig.

Was bei Sarich und Miele verstimmt, ist die nie klar ausgesprochene, doch überall fühlbare Voraussetzung, dass Intelligenz (sie mag nun sein, was sie will) das Einzige wäre, worauf es beim Menschen ankommt. Intelligenz, so weit sie sich als messbare Größe manifestiert, bringt rein als solche psychotische Schachgroßmeister hervor, höchstens einen Zappelphilipp wie Isaac Asimow.

Um es so deutlich, wie es nötig ist, zu sagen: Der Wert des Einzelnen hängt nicht an seiner Intelligenz; und die Menschen sollten nicht gleich sein müssen, um gleich zu sein. Sarich und Miele sehen, mit den Scheuklappen der Akademiker, auf ihrem Campus Studenten, die sie für nicht begabt genug halten. Damit mag es seine Richtigkeit haben. Was sie nicht sehen, sind die Inner Cities der USA - nach wie vor die Lebenswelt eines großen Teils der schwarzen Bevölkerung -, wo Kinder nachts in die Badewanne gelegt werden, weil dies der einzige Ort in den dünnwandigen Wohnungen ist, wo sie nachts vor den querschlagenden Geschossen der Bandenkämpfe einigermaßen sicher sind. Auch wer nicht das Zeug zum Gehirnchirurgen oder Steuerjuristen hat, besitzt doch gewiss ein Recht darauf, dass seine Kinder nicht im Schlaf erschossen und verstümmelt werden.

"Unserer Meinung nach", befinden Sarich und Miele, "ist die wissenschaftliche Erforschung von Rasse und Rassedifferenzen nicht rassistisch, wenn alle begriffen haben, dass jeder, absolut genommen, gewinnen kann, selbst wenn die Unterschiede zwischen Individuen und Gruppen gleich bleiben oder sogar zunehmen." Damit haben sich die beiden aber eine Bedingung gesetzt, die heute schwerer denn je erfüllbar scheint. Die Anzeichen mehren sich, dass die von den Autoren vorgeschlagene "Meritokratie" keineswegs (wodurch sie zu rechtfertigen wäre) nebenbei und unabsichtlich auch das Los der weniger Verdienstvollen zumindest ein bisschen verbessert - sondern im Gegenteil, dass sie von infrastrukturellen Voraussetzungen zehrt, die sie nicht selbst geschaffen hat, also: das Schmarotzertum der Reichen an den Armen einschließt. Nicht seine wissenschaftliche Fragwürdigkeit - sondern dass es diesen Aspekt so systematisch ausblendet, gibt dem Buch von Sarich und Miele seine Physiognomie: eine hämische Unschuldsmiene.

VINCENT SARICH, FRANK MIELE:

Race. The Reality of Human Difference. Westview Press, Boulder, Colorado 2004. 287 Seiten, 27,50 US-Dollar.

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