Süddeutsche Zeitung

Buchhandel in der Krise:Prinzip Hoffnung

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Wo Ernst Bloch Hof hielt, soll es weitergehen: Treue Kundschaft rettet die Tübinger Uni-Buchhandlung Gastl vor dem Aus.

Von Claudia Henzler

Die Buchhandlung Gastl in Tübingen ist noch eines jener Geschäfte, in denen man sich voll auf das Buch konzentriert. Es gibt dort keine Grillzangen, Yogamatten oder Socken, die in anderen Buchläden auf den Verkaufstischen liegen. Das bunte Zusatzsortiment ist für viele Buchhändler ein Versuch, dem durch Onlinehandel und Digitalisierung verursachten Sterben etwas entgegensetzen. Denn die Zahl der Buchläden in Deutschland geht seit Jahren zurück.

Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels schätzt, dass derzeit noch etwa 5000 stationäre Buchhandlungen existieren, Filialen großer Unternehmen wie Thalia und Hugendubel mitgerechnet. In jüngster Zeit entwickeln sich die Umsätze der Branche zwar positiv, der Zuwachs geht jedoch vor allem auf den Versandhandel und den Verkauf von Büchern an Tankstellen, Bau- und Drogeriemärkten zurück.

Auch die Buchhandlung Gastl stand vor dem Aus. Aber treue Kunden haben das in einer ungewöhnlichen Hauruckaktion verhindert. Gastl ist eine der wenigen verbliebenen Universitätsbuchhandlungen mit Schwerpunkten auf Theologie, Philosophie, Geschichte und Sprachwissenschaften. Akademische Buchläden, die lange das Stadtbild im Umfeld der Universitäten prägten, haben es heute schwer. Viele bestellen ihre Lektüre lieber im Internet, sofern ihnen die Texte nicht ohnehin digital zur Verfügung stehen.

Der Philosoph Ernst Bloch saß in einem Ledersessel und hielt pfeiferauchend Hof. Auch Walter Jens ging ein und aus.

Zuvor hatten sich im Gastl ganze Generationen von Tübinger Studenten mit Fachlektüre eingedeckt. Es war allerdings immer mehr als nur ein Buchladen. 1949 von der politisch bewegten Buchhändlerin Julie Gastl zusammen mit Gudrun Schaal gegründet, war das Geschäft von Anfang an auch ein Debattenraum, in dem es um aktuelle gesellschaftliche Fragen ging - in der Auslage, in Gesprächen und Veranstaltungen. Goldene Zeiten waren die Sechzigerjahre, als der Philosoph Ernst Bloch dort in einem Ledersessel saß und pfeiferauchend Hof hielt. Auch Walter Jens ging im Gastl ein und aus.

Bemerkenswert ist, dass der damals entstandene Mythos Gastl weiterbestand, nachdem erst die Inhaberinnen wechselten und die Buchhandlung dann 2004 an einen anderen Standort zog - ans Lustnauer Tor, einer exquisiten Lage am Eingang der Altstadt.

Gerhard Ziener, 63, ist einer der Tübinger Bürger, die die Buchhandlung erhalten wollen. Er gehört dem Vorstand der neuen Genossenschaft an. "Für mich ist das eine Form von Treue", sagt er. Ziener hat in den Achtzigerjahren evangelische Theologie studiert und anschließend drei Jahre lang im Gastl gearbeitet. Heute bildet er Religionslehrer aus.

Auch er war von einem Zeitungsbericht vom 21. Juli alarmiert worden: Die Buchhandlung werde Ende August schließen, hieß es da, weil sich die Inhaberin zur Ruhe setzen will und keinen Nachfolger fand. Die Folge war, dass innerhalb weniger Tage eine Rettungsinitiative entstand. Sie gründete eine Genossenschaft und verlängerte den Mietvertrag. Bislang haben sich mehr als 200 Menschen bereiterklärt, mindestens 300 Euro in die Zukunft des Gastl zu investieren. Schon am 24. September soll das Geschäft nach kurzer Pause wieder öffnen.

Ob das Projekt dauerhaften Erfolg hat, müssen die nächsten Monate zeigen. "Der Charme dieser Buchhandlung ist natürlich etwas Museales", sagt Ziener. "Die Frage ist nun, ob wir das so transformieren können, dass sich das auch ökonomisch darstellen lässt." Der Laden dürfe kein Zuschussgeschäft sein. Darauf achte schon der Genossenschaftsverband: "Wir sind verpflichtet, die Einlagen mittelfristig zu refinanzieren", sagt Ziener. Um anderen Buchhändlern nicht zu schaden, werde es allem Enthusiasmus der Genossen zum Trotz auch keine ehrenamtlichen Arbeitskräfte geben.

Der Vorstand will den Versandhandel ausbauen und setzt auf das für den Umsatz wichtige Geschäft mit Belletristik und Kinderbüchern. Vieles werde aber bleiben wie es ist, verspricht Ziener. "Das Besondere war, dass die Mitarbeiter wirklich alle Bücher kannten, die dort standen. Das muss so bleiben. Das ist im Grunde unser Geschäftskapital." Außerdem soll weiterhin das Buch im Mittelpunkt stehen. "Das würden uns die Kunden vermutlich nicht verzeihen, wenn wir auf einmal auch Teddybären und Weinflaschen verkaufen."

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