Rachel Kushner - Harte Leute
Rachel Kushner schreibt seit zwanzig Jahren unwiderstehliche Essays. Sie lassen sich schwer einordnen, sie sind Kunstkritik und Autobiografie. Ihre Sprache ist schwebend und durchzogen vom wiederkehrenden Motiv der Gewalt, die bei Kushner viele Facetten hat. Sie zeigt sich in den halsbrecherischen Motorradrennen, bei denen Kushner über die Jahre hinweg Freunde sterben sieht. Andere verschwinden wie ihre Freundin Sandy oder ein Stricherjunge, dessen Kopf später in einem Müllcontainer gefunden wird. Gewalt erlebt Kushner auch im gefürchteten Flüchtlingslager Shuafat in Jerusalem, wo die Menschen ihr herzlich und doch bedrohlich, weil bewaffnet begegnen. Am Ende hat sie ihr wildes Leben überlebt.
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Ralf Zerback - Triumph der Gewalt. Drei deutsche Jahre 1932 bis 1934
Im Januar schaut Deutschland auf 90 Jahre Beginn der NS-Diktatur zurück. Doch die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler war nicht der entscheidende Schritt zur Machteroberung. Auch die Jahre davor und die Monate nach dem 30. Januar 1933 waren entscheidend für den Untergang der Weimarer Demokratie. Der Historiker Ralf Zerback zeichnet akribisch nach, wie die NSDAP im geschickten Zusammenspiel von gesetzgeberischer Repression "von oben" in Form immer neuer Notverordnungen und gezielt geschürter Gewalt "von unten" die Gewaltenteilung und Verfassung außer Kraft setzte. Und er zeigt auf, dass dieser sogenannte legale Weg Hitlers an die Macht von der großen Mehrheit der Bevölkerung gutgeheißen und mitgetragen wurde.
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Isabel Fargo Cole - Die Goldküste. Eine Irrfahrt.
Ein Blick in die Vergangenheit fasziniert dann besonders, wenn er Vergessenes zutage fördert, Verborgenes ausgräbt. Isabel Fargo Cole erweist sich in ihrem Essay nicht nur als herausragende Erzählerin, sondern auch als eine, der es gelingt, die feinen Sedimentschichten ihrer Familiengeschichte mit vergessenem Wissen über die Goldgräberzeit in Amerika zu verbinden. Falsche Versprechungen wurden den Glücksuchenden gemacht, zu denen auch ihr Ururgroßvater gehörte. Sie wurden ins Yukon-Gebiet gelockt und dort ausgenommen, wurden Opfer eines gigantischen Fakes, der bis heute "Goldrausch" genannt wird und in den USA in immer neuen Formen wieder aufersteht.
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Mariette Navarro - Über die See
Die unendliche Leere auf der Oberfläche und ungeahnte Fülle in der Tiefe machen den Ozean zu einem passenden Schauplatz des Schauderns. Mariette Navarro wählt ihn für eine charismatische Erzählung: Die Kapitänin alleine auf dem Frachter, machtvoll. Die Mannschaft zappelnd im Ozean, machtlos. Ein leichter Grusel hängt sich an diese Szenerie, als die Mannschaft nach dem Baden auf hoher See mit einem Mann zu viel zurück an Deck kommt. Wer es ist, lässt sich nicht sagen, in Folge geschehen unerklärliche Dinge an Bord. Unerklärlich ist auch, was mit dem Vater der Kapitänin geschah, der selbst ein Frachtschiff steuerte und eines Tages samt Schiff für eine Woche verschwand. Mariette Navarro fasziniert mit diesem Buch, das die Kapitalismuskritik glücklicherweise nur streift, sich dafür an transhumanistischen Denkfiguren versucht.
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Chelsea Manning - README.txt - Meine Geschichte
Chelsea Mannings Memoiren lesen sich wie ein Polit-Thriller, nüchtern niedergeschrieben, passend zum militärischen Milieu, in dem sich der erste von zwei entscheidenden Wendepunkten abspielt. Als Militäranalystin erlebt Manning im Irak Furchtbares, etwa dass Zivilisten, darunter auch Kinder, bei Kampfhandlungen verletzt werden oder umkommen. Das kann sie mit ihren Werten nicht vereinbaren und veröffentlicht geheime Dokumente. Als Whistleblowerin geht sie ins Gefängnis, wo sie als erster Häftling eine Hormontherapie beginnen darf. Dies ist der zweite Wendepunkt: Die Flucht aus dem männlichen Körper, der nicht passt. Die persönliche Entwicklung erzeugt trotz des beinahe distanzierten Stils so viel Spannung wie die politischen Umstände.
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Mariano Barbato - Deutsche Außenpolitik von Bismarck bis Scholz
Der Kanzler hat die Richtlinienkompetenz in Deutschland. Die wird gern und oft auch in der Außenpolitik angewendet. Der Politikwissenschaftler Mariano Barbato hat sich in seinem Buch alle Kanzler seit Otto von Bismarck bis Olaf Scholz vorgenommen und ihre außenpolitische Agenda studiert. In diesen 150 Jahren deutscher Außenpolitik gab es sehr viele Rollenwechsel - von der Selbstüberschätzung bei der Kolonialpolitik, über verbrecherische Hybris im NS-Staat und die vornehme Zurückhaltung bei Weltkonflikten nach 1949. Barbatos farbige Kanzlerporträts (eine Kanzlerin gab es bisher auch) führen ihn zu dem Schluss: Deutschland braucht entweder mehr Macht - oder mehr Demut.
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