Buch über Sterbehilfe:Im Reich der Lebensmüden

Schade, dass der Todescocktail nicht nach Champagner schmeckt: Die Schriftstellerin Emmanuèle Bernheim beschreibt, wie sie ihrem Vater zu einem selbstbestimmten Tod verhalf. Und untergräbt dabei alle vorgefassten Überzeugungen zur aktiven Sterbehilfe.

Von Joseph Hanimann, Paris

Zwischen förmlicher Steifheit, forciertem Humor und schlichter Peinlichkeit bleibt wenig Raum für einen persönlichen Zugang zu diesem schwierigen Thema. Wer es trotzdem versucht, der muss sich zurücknehmen, die Fakten sprechen lassen, persönliche Empfindungen bereitwillig, aber behutsam zulassen und keinerlei endgültige Wahrheiten behaupten wollen. Genau dies unternimmt die französische Autorin Emmanuèle Bernheim recht überzeugend in ihrem Erinnerungsbericht.

Was passiert ist zwischen dem Zeitpunkt, als ihr Vater eines Morgens halbseitig gelähmt in die Notaufnahme eines Pariser Krankenhauses gebracht wurde, und dem Moment, da aus einem diskreten Berner Institut die Nachricht eintraf, alles sei gutgegangen, beschreibt die Autorin in knappen, impressionistisch hingetupften Situationsskizzen, in denen Spaß und Schmerz miteinander Versteck spielen.

Das Schönste an diesem Buch ist, dass es alle unsere vorgefassten Überzeugungen zum Thema der aktiven Sterbehilfe untergräbt. Die entsprechenden Institutionen sind nicht einfach gewinnbringende Geschäftsunternehmen mit dem Tod im Angebot. Die mehr oder weniger strenge Gesetzgebung in den einzelnen Ländern gegen diesen letzten Schritt hat meistens auch gute Gründe für sich.

Selbst die Bürokratie der Behörden ist zu Mitgefühl fähig. Und die emotionale oder die moralische Belastung für die Umgebung hält sich mit dem Dauerstress, im Ernstfall konkret nichts falsch zu machen, so ziemlich die Waage. Niemand hat endgültig recht oder unrecht im Reich der Lebensmüden, auch der nicht, der da gerade die bitter schmeckende Lösung aus dem Glas heruntergeschluckt hat.

Nichts ist süßlich in diesem Bericht

Bevor es jedoch so weit ist, wird viel gelacht in diesem Buch. Zwar läuft dem 88-Jährigen, der vor seinem Schlaganfall ein eleganter und angesehener Kunstgalerist in Paris war, immerfort der Speichel aus dem schief gewordenen Mund und die Auktionskataloge, in die er gelegentlich noch reinschaut, rutschen ihm unter der gelähmten Hand zwischen den Knien zu Boden. Das Lachen zwischen ihm und seinen beiden Töchtern im Krankenzimmer kommt aber spontan.

Es hat nichts von der Unbeholfenheit, mit der man manchmal das Unabwendbare zu vertreiben sucht. Inmitten von Überdruss, Ekel und Schmerz trägt jenes Lachen auch noch Spuren der Boshaftigkeit, mit welcher der egozentrische Vater einst über seine "kolossal" dick gewordene, pubertierende Tochter Emmanuèle seine Späße machte. Ein vorbildlicher Vater war dieser Mann nicht, und durch seine plötzlich entdeckte homosexuelle Veranlagung hat er später auch seine Frau noch verletzt. Nichts ist süßlich in diesem Bericht. Ebenso wenig haftet so etwas wie Ressentiment am Verhältnis von Vater und Tochter. Im tabulos erzählten Auf und Ab der Ereignisse weht vielmehr eine seltsame Frische durch den Text.

Das Sandwich, das die Tochter dem Vater auf dessen Wunsch hin ins Krankenhaus mitgebracht hat und das er wegen seiner Schluckstörung dann doch nicht essen kann, liegt angebissen noch lange im Kühlschrank und später im Eisfach, bevor die Autorin es fertigbringt, es im Mülleimer verschwinden zu lassen. Und die etwas gebieterisch vorgetragene Aufforderung an sie, ihm beim Schlussmachen zu helfen, denn dieser Daliegende sei ja nicht mehr wirklich er, braucht Zeit, bis sie innerlich akzeptiert werden kann.

Die fünfzehn verschiedenen Papiere, welche die aus Bern angereiste Dame - erbetene Kostenbeteiligung: 300 Euro - dann verlangt, wären Grund genug, den Mut zur Tat wieder sinken zu lassen, bringen andererseits aber auch eine willkommen konkrete Problemstellung für ein klares Projekt, an die man sich fortan halten kann.

Im Mittelpunkt: die konkrete Lebenssituation eines Unheilbaren

Den beiden Töchtern fällt die paradoxe Wirkung des Vorhabens jedenfalls schnell auf: Ihr Vater kann wieder besser schlucken, verständlicher sprechen, spontane Wünsche äußern und bald in die Reha gehen - nicht zuletzt wohl eben auch dank der Aussicht auf ein baldiges Ende. Dass der schon festgesetzte Termin in Bern dann noch einmal verschoben werden muss, weil ein enger Freund eine schwierige Operation vor sich hat und man ihn nicht einfach allein seinem Schicksal überlassen kann, setzt dem Ganzen ein absurdes Krönchen auf.

Die Reise nach Bern verläuft dann auch anders als ursprünglich geplant. Auf die Fahrt im engen Familienkreis mit einer Fahrkarte weniger für den Rückweg muss nach Anraten des Rechtsanwalts verzichtet werden, denn das Risiko eines Gerichtsverfahrens wäre zu groß. Die beiden Töchter sitzen dann zwar, während der schon reisefertige Vater im Rollstuhl in einer Ecke des Hausflurs zu warten hat, wegen einer Indiskretion doch noch zur Vernehmung im Polizeirevier. Die Beamtin, die ihre Erklärungen zu Protokoll bringt, fragt bei der Verabschiedung jedoch überraschend, ob sie die beiden Frauen umarmen darf. Im Privatleben hat sie gelernt, für solche nicht ganz legalen Akte Bewunderung aufzubringen.

Champagner-Geschmack wäre ihm lieber gewesen

Auch die Notwendigkeit, den Todeswilligen allein mit einer bezahlten Begleitung fahren zu lassen, wird weder beklagt noch sonst wie kommentiert. An der Schwelle zur Endgültigkeit ist für solche Gefühlswallungen kein Platz mehr. Entscheidend ist allein die Entschlossenheit des Betroffenen selbst - und dem scheint der Lauf der Dinge recht gewesen zu sein, ob so oder so. Champagner-Geschmack wäre ihm lieber gewesen als das bittere Zeug, soll er, so die Nachricht aus Bern, zuletzt nur noch gesagt haben.

Angesichts der Schwierigkeit unserer auf individuelle Selbstbestimmung fixierten Zivilisation, in Sachen Sterben eine eigene Sprache und einen glaubwürdigen Ton zu finden, ist dieses Buch eine wertvolle Anregung. Im Mittelpunkt steht allein die konkrete Lebenssituation eines Unheilbaren. Auf allgemeine Betrachtungen verzichtet die Autorin. Früher seien diese Dinge einfach so passiert, ohne viele Worte drum herum, sagt ihr die Vertreterin eines Sterbehilfevereins: Doch vor dem Hintergrund gewisser in die Schlagzeilen gekommener Einzelfälle und der entsprechenden Debatte sei alles komplizierter geworden.

Zur Einfachheit von früher führt kein Weg zurück. Zur Frage des aktiven Sterbens kann und will dieses von Angela Sanmann feinsinnig übersetzte Buch keine endgültigen Antworten geben. Es kann aber dabei helfen, nicht an der falschen Stelle zu lachen, kategorische Urteile zu fällen oder Tränen fließen zu lassen. "Wie war ich?" - fragt der Halbgelähmte, der kein Dokument mehr eigenhändig unterzeichnen kann, nach der Bestätigung seiner Tatentschlossenheit vor der Filmkamera. Auch die Eitelkeit ist ein Gut, das die Menschen gern in den Tod mitnehmen würden.

Emmanuèle Bernheim: Alles ist gutgegangen. Aus dem Französischen von Angela Sanmann. Verlag Hanser Berlin, Berlin 2014. 208 Seiten, 18,90 Euro, Ebook 14,99 Euro.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: