Eine publizistische Bagatelle bringt plötzliche Klarheit in Fragen, an denen die Literatur seit Langem kaut. Was genau bedeutet "Egofiction"? - über diese Frage rätselt die französische Gegenwartsliteratur, seit Catherine Millet in "Das sexuelle Leben der Catherine M." und Christine Angot in "Inzest" zwischen Realität und Phantasie ihre Liebschaften bzw. ihr Vergewaltigungstrauma schriftstellerisch verarbeitet haben. Das im Pariser Verlag Les Editions Stock erschienene Buch "Belle et Bête" der Publizistin Marcela Iacub, das in Frankreich gerade Aufsehen erregt, lässt nicht unbedingt tief blicken, aber literaturtheoretisch klarer sehen.
Die 1964 in Buenos Aires geborene Autorin, die einige rechtsphilosophische Bücher publiziert hat, hat vor einem Jahr auf dem Höhepunkt der Affäre um Dominique Strauss-Kahn mit ihrem Buch "Une société de violeurs?" (Eine Gesellschaft von Vergewaltigern?) gegen die meisten Feministinnen eine Lanze für den gestürzten Präsidenten des Weltwährungsfonds gebrochen: Dergleichen gehöre nun einmal zu den Männern. Wenig später hat sie mit Strauss-Kahn dann ein paar Monate lang ein Liebesverhältnis geführt - und darüber hat sie nun wiederum ein Buch geschrieben.
Der Mann, der im Buch nicht namentlich genannt wird, den die Autorin in einem Interview mit dem Wochenmagazin Le Nouvel Observateur aber offen als Dominique Strauss-Kahn benannt hat, wird darin halb als Mensch, halb als Schwein dargestellt. Und das Interessantere von den beiden sei nicht der Mensch, findet die Autorin: Der sei mit seiner Vernunft und seinem Kalkül so banal wie die meisten Menschen, vor allem die in Politik und Wirtschaft. Das Schwein aber, das mit seiner ungestümen Instinkthaftigkeit plötzlich alles versaue, die feinen Umgangsformen über den Haufen werfe und das Humane besudle, mache die wahre Größe von Männern wie Strauss-Kahn aus - und lasse sie für Frauen wie sie begehrenswert werden.
"Nein, nein und nochmal nein"
Anderswo, von Georges Bataille, über König Blaubart und den Grafen Dracula, bis zu Marie Darrieussecqs "Schweinereien" oder zu dem von Jean Cocteau verfilmten Märchen "La Belle et la Bête", haben wir das schon besser gelesen. Mit seinem Titel spielt das Buch auf diese literarische Tradition an. Aber die Autorin nimmt diese Tradition vor allem in Anspruch, um mit möglichst freier Hand selber definieren zu können, was in ihrem Buch Dokumentation und was Fiktion sei. Die im Text beschriebenen Situationen und Gespräche seien wahr, die intimen Szenen hingegen phantasiert, sagt sie über ihr Buch.
"Nein, nein und nochmal nein" - protestierte die Schriftstellerin Christine Angot nun gegen die Gleichsetzung dieses Buchs mit ihren eigenen Romanen seit "Der Inzest". Wo ihre Kollegin ein Liebesexperiment eingefädelt zu haben scheine mit dem Ziel eines näheren Studiums der Männer, der Gesellschaft und deren Abgründe, habe sie ihre Bücher aus einer unmittelbaren Lebenserfahrung heraus geschrieben. Sie habe sich, anders als Marcela Iacub, nicht so nah wie möglich "an die Hörner des Stiers herangemacht", wie ein Kritiker es ausdrückte, sie sei von diesen Hörnern unfreiwillig erfasst worden und habe darauf mit den Mitteln der Literatur reagiert.
Teilerfolg für Strauss-Kahn
Emmanuel Pierrat, Anwalt für Autorenrecht, vergleicht Iacubs Buch mit den Reportagen von Günter Wallraff. Das klingt, als sei die erotische Intrige ein Mittel der Reportage wie jedes andere auch. Sollen Autoren mit echten oder vorgetäuschten Gefühlen in die von den versammelten Kameras belagerten Liebesnester steigen, um dann hinter dem Feigenblatt der Phantasie ihre Beobachtungen preiszugeben? - fragen dagegen Persönlichkeiten aus dem Literaturmilieu.
Dominique Strauss-Kahn hat gegen das Buch geklagt. Am Dienstagabend errang er immerhin einen Teilerfolg. Zwar darf das Buch weiterhin verkauft werden, so ein Gericht. Doch müsse ein Hinweis auf Verstöße gegen das Persönlichkeitsrecht beiliegen. Und Strauss-Kahn erhält von Autorin und Verlag zusammen 50.000 Euro Schadenersatz.