Kurz vor dem Interviewtermin kommt eine Mail von Florian Aigner: "Oje, verletzt im Krankenhaus. OP-Termin noch unklar." Etwas mit dem Bein, schreibt er noch, und dass man das Gespräch verschieben müsse. Zumindest um einen Tag. Der Österreicher hat in theoretischer Physik promoviert und ist Wissenschaftsredakteur der TU Wien. Und er hat gerade ein Buch veröffentlicht: "Der Zufall, das Universum und du - Die Wissenschaft vom Glück" (Brandstätter Verlag).
Es handelt von merkwürdigen Erkenntnissen aus der Quantenphysik und der Frage, ob man in die Zukunft schauen könnte, wenn man nur genug Informationen über die Welt hätte. Ein Anruf im Krankenhaus.
SZ: Herr Aigner, wir erreichen Sie in einem Krankenbett mit hochgelegtem Bein?
Aigner: Genau so ist es.
Was ist passiert? Etwas, das uns einen zotigen Einstieg ins Thema liefert?
(lacht) Wenn Sie so wollen: durchaus. Ich bin gestern auf dem Glatteis ausgerutscht und habe mir die Kniescheibe gebrochen. Und zwar genau an dem Knie, das ich mir schon vor ein paar Wochen kaputtgemacht habe.
Vielleicht will Ihnen das Universum etwas sagen?
Ich gehe von einem unglücklichen Zufall aus. Statistisch sehr unwahrscheinlich. Aber auch statistisch sehr unwahrscheinliche Dinge treten eben manchmal ein.
Was hilft es der Welt, wenn man ihr in einem Buch erklärt, wie sehr sie vom Zufall abhängig ist?
Viel! Erstens haben wir es mit einer philosophisch sehr spannenden Frage zu tun: Wie kann es Zufälle geben, wenn das Universum doch von Naturgesetzen regiert wird, die nicht mit sich verhandeln lassen? Es gab sehr kluge Menschen, die davon ausgingen, dass alles vorherbestimmt ist und der Zufall nur eine Illusion sein kann. Kommen uns vielleicht manche Ereignisse nur zufällig vor, weil uns einfach die nötige Information fehlt um sie vorhersagen zu können?
Zweitens ist das Thema spannend, weil es uns eine enorme Erleichterung bringen kann, die Macht des Zufalls anzuerkennen. Wir lernen dadurch, dass wir nicht alles beeinflussen können. Wenn etwas schiefläuft, heißt das nicht unbedingt, dass wir einen Fehler gemacht haben. Manchmal ist es einfach nur Pech - wie mit meinem Knie.
Von Einstein soll der Ausspruch stammen: "Gott würfelt nicht!"
Da hat Einstein unrecht. Er war ein genialer und revolutionärer Geist. Aber an diesem Punkt war er noch verhaftet im philosophischen Denken der geistigen Nachfolger Isaac Newtons. Die gingen davon aus, dass man den Lauf der Welt beliebig präzise vorhersagen kann, wenn man nur genau genug hinsieht.
Und das stimmt nicht?
Nein. Die Quantenphysik, über die sich Einstein sehr gewundert hat, und die Chaostheorie, die er nicht mehr erlebt hat, brachten uns da ganz neue Erkenntnisse. Und zeichnen ein sehr, sehr viel komplizierteres Bild der Welt. Die Chaostheorie sagt uns, dass auch ein fast perfektes Wissen über die Welt keine sinnvollen Prognosen über die Zukunft ermöglicht, weil selbst winzigkleine Abweichungen das Endergebnis völlig verändern können - wie der berühmte Flügelschlag eines Schmetterlings, der darüber entscheidet, ob es Jahre später einen Wirbelsturm geben wird oder nicht. Und die Quantenphysik hat überhaupt eine neue Form von Zufälligkeit in die Wissenschaft eingeführt: Auch wenn man alles über ein Quantenobjekt weiß, was es zu wissen gibt, kann es trotzdem sein, dass wir das Ergebnis eines Experiments nicht vorhersagen können - bloß die Wahrscheinlichkeiten möglicher Ergebnisse lassen sich berechnen.
Für Nicht-Physiker wird es hier schwierig. Es geht schließlich um Vorgänge, für die es in der analogen Welt keine Entsprechung mehr gibt. Teilchen etwa, die an mehreren Orten zugleich sein können.
Es gibt leider Gedanken, die kann man im eigentlichen Sinne nicht verstehen. An die muss man sich gewöhnen. Das ist auch eine Form des Verstehens.
Warum tun wir uns auch im normalen Leben so schwer damit, Zufälle als solche zu akzeptieren?
Weil uns die Evolution dafür nicht ausgerüstet hat. Wir sind darauf spezialisiert, Gesetzmäßigkeiten und Regeln zu erkennen. Das ist es, was uns Menschen ausmacht. Wir sind eine Spezies, die unheimlich gut darin ist, Muster zu finden, Theorien darüber aufzustellen und damit Vorhersagen zu treffen. Oft genügen uns dafür sehr wenige Informationen: Wenn Sie einen neuen Arbeitskollegen sehen, können Sie zum Beispiel recht rasch sagen, ob er Ihnen sympathisch ist oder nicht. Sie stellen dabei aus relativ wenigen Datenpunkten eine Theorie auf. Die kann natürlich falsch sein. Aber wir liegen mit diesen Schnellschüssen beeindruckend oft richtig.
Wir haben diese Fähigkeit vermutlich gebraucht, um zu überleben?
Genau. Theorien zu bilden, ist eine evolutionär sinnvolle Strategie. Wenn ich Theorien über Jahreszeiten entwickle, habe ich bessere Chancen, Nahrung zu finden. Das hat unsere Vorfahren davor bewahrt, zu sterben. Leider benutzen wir diese Fähigkeit auch in Bereichen, in denen sie nicht mehr gut funktioniert. Wir erkennen dann scheinbare Muster und scheinbare Regeln, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt.
Zum Beispiel?
Der Baseballprofi Dennis Grossini hatte mal eine Glückssträhne. Und damit die nicht abriss, befolgte er sklavisch eine Reihe von Ritualen: Er stand an Spieltagen immer zur selben Zeit auf, ging mittags ins selbe Restaurant, aß dasselbe, trank dasselbe. Nachmittags zog er immer denselben Pullover an. Und abends brauchte er eine ganz bestimmte Sorte Kautabak. All diese Handlungen gehörten für ihn zu dem Muster, das ihm Erfolg bescherte. Das menschliche Gehirn verbindet oft Dinge, die gar nichts miteinander zu tun haben - in diesem Fall sportlichen Erfolg und völlig belanglose Alltagstätigkeiten. Natürlich ist das ein Extremfall. Aber uns allen passiert es immer wieder, tiefe Zusammenhänge zu vermuten, wo in Wirklichkeit bloß der Zufall regiert.
Etwas Ähnliches passiert laut Ihrem Buch auch, wenn Menschen ihren Erfolg ausschließlich auf eigene Leistung zurückführen.
Oh ja. Das Narrativ von der erfolgreichen Persönlichkeit, die alles harter Arbeit und Geschick verdankt. Sehr spannend.
Und falsch?
Unbedingt. Und möglicherweise sogar gefährlich. Es gibt ja inzwischen ganze Branchen, die davon leben, so zu tun, als gäbe es das Glück und den Zufall nicht - Menschen, die Seminare halten, in denen sie angeblich genau erklären, womit man Erfolg hat. Natürlich begünstigen bestimmte Verhaltensweisen Erfolg. Aber ohne das notwendige Glück wird mir das trotzdem alles nichts nützen. Das Problem dabei ist: Nur die Leute, die Glück hatten, werden nach ihrem Erfolgsrezept gefragt. Wer vom Zufall weniger begünstigt wurde, hält keine Seminare.