Buch-Konkurrenz E-Book:Das Schattenbuch

Anschlag auf die zarte Künstlerseele: Katharina Hagena, Autorin des Romans "Der Geschmack von Apfelkernen", berichtet, wie man für das E-Book schreibt.

Katharina Hagena

Schriftsteller schreiben. Sie schreiben keine Bücher, sondern Texte, Geschichten. Auch E-Books schreiben sie nicht. Natürlich werden sich durch die neuen Technologien ein paar Dinge ändern - auch für Autoren. Doch die tiefgreifenden Veränderungen haben längst stattgefunden. Das E-Book ist für Schriftsteller nicht halb so bedeutend, wie es der PC war. Tippen ist anders als mit dem Füller schreiben, und Notebooks sind anders als Schreibmaschinen. Das Drücken der Löschtaste ist finaler als das Durchstreichen, das leere Papier mit den Händen zu berühren und vollzuschreiben ist ein anderer Schaffensakt als mit der immergleichen Type einen Bildschirm zu füllen, der außerdem noch umrahmt ist von einer Menge kleiner Symbole, Zahlen, ja sogar Wörter.

Buch-Konkurrenz E-Book: Will ihre Bücher nicht im Alleingang veröffentlichen: Katharina Hagena.

Will ihre Bücher nicht im Alleingang veröffentlichen: Katharina Hagena.

(Foto: Foto: Henrik Spohler)

Dass ein Schreibmedium unser Schreiben beeinflusst, ist offensichtlich. Und wahrscheinlich wird ein neues Lesemedium das Leseverhalten beeinflussen. Aber wird ein neues Lesemedium unser Schreiben beeinflussen? Das Lesen selbst verändert sich schließlich nicht. Wir werden immer noch einen Buchstaben nach dem anderen lesen, ein Wort nach dem anderen, einen Satz, eine Seite - nun, bei der Seite bin ich mir nicht mehr sicher. Aber Lesen wie auch Schreiben bleibt ungleichzeitig, linear und analog.

Natürlich gibt es hypertextuelle Phänomene, eigens für die Literatur im Netz erfunden oder auf vorhandene Texte übertragen, wie zum Beispiel die digitale, kritische Ausgabe von Joyces "Finnegans Wake". Die Edition heißt "Hyper Wake", was sich eher nach einer Schlafstörung anhört. Was es unter anderem auch ist. Dort klickt man auf verlinkte Wörter und gelangt je nach Farbe auf Joyces Notizbücher, Druckfahnen oder Passagen, die der Autor in einem Korrekturvorgang hinausgeworfen hat. Durch beherztes Herumklicken kann man Simultanität simulieren. Aber schnell verliert man seinen Weg im Link-Labyrinth, was in "Finnegans Wake" nicht schlimm ist, früher oder später passiert das jedem - ohne Links wahrscheinlich früher. Hypertexte können nützlich sein, es macht Spaß, mit ihnen zu arbeiten. Aber lesen kann man sie nicht.

Dennoch wird durch sogenannte neue Trägermedien (leichte Sommerlektüre nimmt man am besten auf Spaghettiträgermedien mit an den Pool) auch mein Beruf "Schriftstellerin" affiziert. Aber zunächst nur mittelbar: E-Books werden das Verlagswesen aufmischen, den Buchmarkt und damit irgendwann den Autor. Verleger sind vielleicht bald nicht mehr in der Lage, unsere zarten Künstlerseelen zu schützen. Wenn Urheberrechte fransig und fadenscheinig werden, bietet das - allerdings grobmaschige - Internet die Möglichkeit, den Verlag ganz abzustreifen.

Es wird mehr Schriftsteller-Gewerkschaften geben, in denen versucht wird, Gebühren zum Herunterladen der Texte durch- und festzusetzen. Prominente Autoren werden mächtiger werden, weil sie unabhängig von ihren Verlagen agieren können. (Prince hat schließlich für eine Weile auch keine Plattenfirma mehr, sondern bringt seine Sachen selbst heraus.) Andererseits werden es unbekannte Schriftsteller noch schwerer haben, bekannt zu werden. Oder bekommen sie in der Demokratie des Netzes endlich die Chance, entdeckt zu werden?

Ich möchte meine Bücher möglichst nicht im Alleingang veröffentlichen. Selbst nach einem größeren, aber jetzt nicht alles um sich herum plattwalzenden Erfolg ist man mindestens ein Jahr lang damit beschäftigt, den eigenen Ruhm zu verwalten. Das ist sehr schön, es erfüllt einen mit Dankbarkeit, vor allem aber kostet es Zeit. Und zwar genau die Zeit, die man auf sein nächstes Buch verwenden sollte, nach welchem man spätestens zwei Tage nach Erscheinen eines Buches gefragt wird. (Einige Kollegen nutzen diese Zeit, um Bücher über ihre Lesereisen zu schreiben - doch wenn es je ein überflüssiges Genre gegeben hat, dann dieses.) Müsste ich all das machen, was der Verlag für mein Buch gemacht hat und macht, dann würde ich wohl nie wieder eins schreiben.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie wichtig Verlage sind.

Das Schattenbuch

Es ist simpel: Autoren brauchen Verlage, um Bücher zu schreiben. Wenn Verlage wegen der neuen Trägermedien und illegal heruntergeladener Texte Pleite machten, gäbe es vielleicht weniger Neuerscheinungen. Aber dafür einen gigantischen Wust digitaler Manuskripte, die irgendwo verstreut herumzappelten und von Agenten und Scouts aus dem Netz gefischt werden müssten. Wird dann der Autor mit dem größten Informatikwissen, den bestplatzierten Links und der mächtigsten Web-Präsenz als Erster an Land gezogen? Ist das dann gelebte Demokratie, oder führt es dazu, dass aus Unsicherheit nur noch die sowieso schon Bekannten und Bewährten gelesen werden?

Bleiben wir noch kurz bei den Lesereisen. Wenn ich schon kein Buch darüber schreiben will, so will ich doch unbedingt etwas darüber sagen. Ich frage mich, ob Lesungen angesichts der wachsenden Welt-Virtualität tatsächlich an Bedeutung gewinnen werden - in der Musikszene setzen sie ja auch wieder ganz auf Konzerte. Vielleicht lässt sich der Erfolg von slam poetry sessions auf so etwas zurückführen. Ich glaube aber nicht, dass Autorenlesungen wirklich einen Pop-Status bekommen werden, es sei denn, die Autoren selbst sind Pop-Ikonen, was sie dann aber meistens schon vor ihrem Buch waren.

Knarren, Rauschen, Fingerlecken

Die Analogie zwischen Literatur- und Musikindustrie hat Grenzen. Platten, Kassetten, CDs, DVDs, iPods - alle Medien der Musik sind immer nur der Ersatz für den live act. Es sind wiederholbare, simulierte Konzerte, e-concerts. Das Buch nicht. Es ist mittlerweile ein Gemeinplatz, von den sinnlichen Qualitäten der Bücher zu schwärmen, von ihren Gerüchen, der Textur der Seiten, dem Knarren beim Öffnen, dem Rauschen der Blätter, vom Fingerlecken beim Seitenumblättern. Ich könnte Sonettenkränze flechten über die lunaren Aspekte des Bücherlesens, wenn die Seiten links zunehmen und rechts abnehmen, bis das Buch schließlich geschlossen wird und rund und voll vor uns liegt.

Doch worauf ich hinaus will, ist, dass das Buch - im Gegensatz zu den Trägermedien der Musik, die alle paar Jahre wieder verbessert werden - ein Selbstzweck ist. Jede Lektüre ist ein Live-Konzert, jeder Leser hat sein Original. Das E-Book - zumindest in seiner jetzigen Version - ist hingegen nur der Ersatz für ein Buch, sonst hieße es nicht so, wie es heißt. Solange das E-Book anstrebt, ein Buch zu sein, solange es so tut, als wäre es ein Buch, bin ich nicht sonderlich besorgt um die Zukunft des Buches.

Wie der Schatten des Geistes

Als Leserin frage ich mich beklommen, ob ein Buch, das nicht physisch irgendwo bei mir herumliegt und verlangt gelesen, ja, das mich anklagt, endlich beendet zu werden, wirklich eine Chance hätte. Vielleicht wäre das ein interessanter Versuch in Sachen Selbstdisziplin. Wahrscheinlich hätte ich kein besonders schlechtes Gewissen, wenn ich eine heruntergeladene Textdatei nicht läse: Sie ist sowieso nicht richtig da. Wie der Schatten des Geistes von Hamlets Vater würde sie hier und dort noch ein wenig Schuldgefühle verstreuen, aber würde das reichen, mich zum Handeln zu zwingen? Ich würde mir wahrscheinlich eine Menge Texte herunterladen, und nur wenige lesen. Der Speicher-, Sammel- und Bunkerfreude bin ich nicht abhold. Früher konnte man diese an den Kopiergeräten westdeutscher Universitätsbibliotheken ganz gut ausleben.

Als Autorin muss ich mich natürlich fragen, ob ich lieber gekauft oder gelesen werde. Die Antwort ist klar: beides. Doch es gibt noch ein paar Dinge, die mir nicht so klar sind: Werden E-Books neue Gattungen hervorbringen? Würde ich vielleicht automatisch einen schnelleren, lauteren, experimentelleren Stil wählen, wenn meine Texte nur in elektronischer Tinte existierten? Würde ich marktschreierisch schreiben, weil die Texte so leicht und leise wegzudrücken sind? Beeinflusst das Lesemedium am Ende doch das Schreiben? Hätte ich mich getraut, hätte ich Lust gehabt, meinen Roman so langsam und episch anfangen zu lassen, wenn ich mir dabei vorgestellt hätte, wie Leser nach einigen Seiten kühl auf die Löschtaste drücken?

Andererseits stellen sich Schriftsteller beim Schreiben ohnehin keine Leser vor - wie auch, wen auch! Und während ich an meinem jüngsten Manuskript arbeitete, wusste ich ohnehin nicht einmal, ob es überhaupt je ein Buch werden würde. Schließlich schreiben wir keine Bücher. Wir schreiben Texte, Geschichten.

Im vergangenen Jahr erschien "Der Geschmack von Apfelkernen" (Kiepenheuer & Witsch), der Debütroman von Katharina Hagena. Er wurde auf Anhieb ein Erfolg.

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