Süddeutsche Zeitung

Buch: "Kleine Geschichte Koreas":Nicht viel Stoff für Heldenlieder

Korea gehört derzeit zu den politischen Brennpunkten - die Schlagzeilen sind oft negativ. Dabei hält die Geschichte des Landes spannende und interessante Episoden bereit. Zeit, diese endlich einmal aufzuschreiben.

Florian Coulmas

Im Verzeichnis der weiterführenden Literatur der "Kleinen Geschichte Koreas" finden sich gerade einmal fünf deutschsprachige Titel, einer davon stammt aus dem Jahr 1880. Dies wirft ein Licht auf das Interesse, das Korea hierzulande entgegengebracht wird. Korea liegt jenseits des Horizonts. Die allgemeinen Kenntnisse über das Land zwischen China, Russland und Japan sind minimal. Die "Kleine Geschichte Koreas" füllt da eine klaffende Lücke.

Die Autoren, Marion Eggert und Jörg Plassen, beide von der Ruhr-Universität Bochum, haben sich viel vorgenommen. Auf nicht einmal zweihundert Seiten wird die koreanische Geschichte von frühester Zeit bis in die Gegenwart abgehandelt. Wie andere Kulturvölker auch sehen die Koreaner in der Länge ihrer Geschichte einen Grund zum Stolz. Möglicherweise ist dieser besonders ausgeprägt, da ihre neueste Geschichte nicht viel Stoff für Heldenlieder bietet.

Solche zu singen ist jedoch nicht das Anliegen der Autoren, ihnen geht es darum, uns dieses Land mit seiner alten und hoch entwickelten Kultur näher zu bringen. Das gelingt ihnen, obwohl sie ihren Lesern ein gewisses Durchhaltevermögen abverlangen. Die ersten sieben Kapitel reichen vom fiktiven Beginn der koreanischen Geschichte im Jahre 2333 vor der westlichen Zeitrechnung über die Einführung von Buddhismus und Konfuzianismus aus China, die Reichseinigung im 10. Jahrhundert, die kulturelle Blüte des neokonfuzianischen Staates im 15. Jahrhundert bis zu den externen Bedrohungen der Mandschus und der Japaner im 16. und 17. Jahrhundert. Das ist informativ und faktenreich, doch wird die Geschichte nicht plastisch; ihre Protagonisten bleiben leblos.

Dabei ist es eine ereignisreiche Geschichte, an Mord und Totschlag ist kein Mangel: Lange stritten auf der koreanischen Halbinsel drei Reiche in verschiedenen Koalitionen miteinander, zusammengetrieben wurden sie nur durch äußere Bedrohungen — der Chinesen, der Mandschus und der Japaner. Eine politische Konfiguration, die in veränderter Form und mit anderen Spielern auch die neuere Geschichte Koreas prägte.

Anschaulich wird dies im zweiten, viel lesbareren Teil des Buches, der von den ersten Schritten Koreas in die Moderne bis in die Gegenwart der politischen Teilung des Landes nach dem Zweiten Weltkrieg handelt. In Korea kommen die wichtigsten Strömungen der wechselvollen Geschichte Ostasiens seit dem Vordringen der imperialistischen Mächte in diese Weltgegend zusammen. Nach den britisch-chinesischen Kriegen um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, mit denen die Engländer den Chinesen den Konsum von Opium aufzwingen wollten, schwand der traditionell starke Einfluss Pekings auf Korea. Die Japaner, ihrerseits von den Amerikanern bedroht und von diesen und anderen Westmächten zu erniedrigenden ungleichen Verträgen gezwungen, stießen in die Lücke, um statt Kolonie Kolonialmacht zu werden. Korea war Schauplatz und Opfer dieses Machtkampfes.

Vor genau hundert Jahren schlug Japan als erstes asiatisches Land eine europäische Großmacht, Russland, und machte damit seinen Anspruch auf einen Platz in der Reihe der Großen der Welt geltend. Der Preis war Korea, das trotz diplomatischer Appelle an die imperialen Mächte seine Unabhängigkeit verlor und zur japanischen Kolonie wurde. Zwar leistete Japans drakonisches Regime der Entstehung eines modernen koreanischen Nationalismus Vorschub, doch gelang es dessen Protagonisten nicht, sich von der Kolonialherrschaft zu befreien. Die ging erst mit Japans Niederlage im Zweiten Weltkrieg zu Ende, ohne dass damit Selbstbestimmung für Korea erreicht worden wäre. Washington beschloss die Teilung der Halbinsel am 38. Breitengrad und installierte im Süden Rhee Syngman als Präsidenten der Republik Groß-Han, während im Norden der antijapanische Partisanenkämpfer Kim Il Sung an die Macht kam, der, wie Eggert und Plassen darstellen, viel weniger eine sowjetische oder chinesische Marionette war als Rhee eine amerikanische.

Die Amerikaner ließen im Süden die korrupten Beamten der japanischen Kolonialregierung größtenteils im Amt, und Korea war wieder einmal geteilt. Der von den Nationalisten im Norden unternommene Versuch, das Land zu einen, führte zum blutigsten Krieg seit dem Zweiten Weltkrieg, in dessen Verlauf die Amerikaner das Land so lange bombardierten, bis der kommandierende General feststellte, "es gibt in Korea keine Ziele mehr."

Das unrühmliche Ende der Kolonialzeit und der traumatische Krieg prägen bis heute die Beziehungen der beiden koreanischen Staaten zueinander, zu ihren Nachbarn und den Vereinigten Staaten. Für die nordkoreanische Isolation und eine Atompolitik, die verzweifelt um Bewahrung der Unabhängigkeit bemüht ist, gilt das genauso wie für die Ressentiments beider Staaten gegen Japan. Oder aber Südkoreas Hassliebe zu den Vereinigten Staaten, die von einem tief sitzenden Antiamerikanismus und der sicherheitspolitischen Abhängigkeit von Washington bestimmt ist.

Die Autoren konzentrieren sich bei der Darstellung der Nachkriegsgeschichte hauptsächlich auf Südkorea. Grund dafür ist die Tatsache, dass Nordkorea immer noch sehr verschlossen ist, während Südkorea im Laufe der letzten 25 Jahre zu einer weltoffeneren Wirtschaftsmacht geworden ist.

Der rote Faden, der sich durch die leidvolle Geschichte dieses Landes zieht und bis in die Gegenwart reicht, ist das immer wieder zunichte gemachte Streben nach innerer Einheit und Unabhängigkeit von anderen Mächten. Wie tief der Wunsch danach in der Geschichte verwurzelt ist, lernt man aus diesem instruktiven Buch.

MARION EGGERT, JÖRG PLASSEN: Kleine Geschichte Koreas. Verlag C.H. Beck München 2005 188 Seiten 10,90 Euro

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SZ vom 4.5.2006
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