Buch: "Der Begleiter":Mein Callboy kennt Adorno

Da lacht der Kulturjournalist: In Norbert Krons "Begleiter" wird ein Kulturarbeiter zum Sexarbeiter und verwöhnt reiche Damen.

Jutta Person

Die nuttigste aller Welten ist wahrscheinlich diejenige, die ihren Warencharakter verleugnet und so tut, als ob sie ganz dem reinen Geist lebte: der Kulturbetrieb. Kultur, das klingt immer noch nach Höherem, nach Esprit und unentfremdeter Arbeit. Wer im Kulturbetrieb arbeitet, tut es nicht für Geld, sondern aus Spaß, Berufung und mit gläubiger Hingabe. Andernfalls wäre er ja auch nicht hier, sondern in der Wirtschaft oder einem anderen normal bezahlten Gewerbe.

Buch: "Der Begleiter": Der Vorzeige-Gigolo: Ja, Richard Gere war auch mal jung, vor allem in "Ein Mann für gewisse Stunden".

Der Vorzeige-Gigolo: Ja, Richard Gere war auch mal jung, vor allem in "Ein Mann für gewisse Stunden".

(Foto: Foto: Cinetext)

Interessanterweise sind sich die Kulturschaffenden über das spezielle Ausbeutungsverhältnis ihres Marktes völlig im Klaren. In jahrelangen Studien haben sie von Adorno bis Baudrillard alles rauf- und runtergeorgelt, was der Analyse der eigenen Warenförmigkeit dient. Und die wird so lange hingenommen, bis den Beobachtern des eigenen Beobachtens das Wasser zum Hals steht.

Vielleicht ist deshalb der Weg, den die Hauptfigur in Norbert Krons Roman "Der Begleiter" einschlägt, einfach nur konsequent: Alexander Felitsch geht von der bloß metaphorischen direkt über zur körperlichen Prostitution, er verwandelt sich vom Kulturarbeiter zum Sexarbeiter.

Als freier Journalist verkauft er so lange seine Themen, bis irgendwann gar nichts mehr läuft. Seine beste Zeit als Redakteur einer großen Tageszeitung liegt schon eine Weile hinter ihm, die erträumte Feuilletonkarriere ist ausgeblieben, die Freundin ist weg, das Auto kaputt und alle Rechnungen offen.

Arbeit kann Spaß machen

Kurz entschlossen heuert er bei einem Escortservice an und kutschiert wohlhabende Damen durch Berlin - zunächst noch ohne sexuelle Dienste. Bald schon überlegt er sich's anders, und das Geschäft läuft gut. Aber wichtiger als das Geld ist der Spaß an der Arbeit: "Felix", so nennt er sich während seiner Einsätze, ist auch im Privatleben ein Frauenversteher mit leichtem Gigolo-Einschlag, und diese Veranlagung macht es ihm möglich, die professionelle Lustbereitung als eine Art Spiel zu verstehen.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, warum der Autor ausgerechnet bei den erotischen Szenen schwächelt.

Mein Callboy kennt Adorno

Weil er auch noch parkettsicher und gebildet ist, fallen die Wochenendtrips nach Sylt, die Opernbegleitungen und Restaurantbesuche immer zur Zufriedenheit der Damen aus, die ihn gebucht haben. Diese Hauptfigur hat natürlich genügend Kulturtheorie intus, um sich erheiternde Gedanken über den Zusammenhang von Libido und Ökonomie machen zu können - was wiederum den Leser freut.

Während Felix-Alexanders freischaffende Journalistenfreunde noch über die Entfremdung im Kulturbetrieb jammern und Hippie-Aussteigerträumen nachhängen, scheint er seinen Frieden mit der totalen Warenförmigkeit aller menschlichen Beziehungen geschlossen zu haben.

Seine Exfreundin zum Beispiel: Die Fotografin lebt jetzt mit einem deutlich älteren, erfolgreichen Werbeboss zusammen, der ihr auch noch die richtigen Aufträge besorgt. "Sie - nicht Robert mit seiner Brotbackphantasie - war diejenige, die sich in der Kulturwelt nicht mehr prostituieren musste." Dieser menschliche Warenkreislauf funktioniert folgendermaßen: Ältere Manager lassen sich von ihrer ersten Frau scheiden und suchen sich eine Jüngere. Die wiederum hat möglicherweise gerade einen erfolglosen Kulturromantiker verlassen. Und dieser freie Schreiber wird dann von der finanziell gut aufgestellten Manager-Exgattin als Callboy engagiert.

"Der Begleiter" ist immer dann in Form, wenn er diesen Reigen der Käuflichkeit mit feinsinnigen, leicht spöttischen Beobachtungen garniert, und wäre da nicht die hochstaplerisch lebensfrohe Grundhaltung, könnte man in dieser Suche nach dem Geldwert von Emotionen einen Hauch von Houellebecq entdecken. Aber alles Hässliche ist diesem Buch abhold, und deshalb sind selbst die krassesten Erkenntnisse über den Konsum der Gefühle im Zeitalter des Kapitalismus in ein mildes Licht getaucht.

Im Kaschmirpullikosmos

Für den nötigen Spannungsbogen sorgt eine geheimnisvolle Upper-Class-Lady namens Liss Vonhofen, die Felix in Begeisterungstaumel versetzt. Ganz klar: Das Politische passt, trotz aller Adorno-Grundausbildung, nicht ins Repertoire des Kulturcallboys. Er hat keinen Hass auf die Reichen, sondern will ihnen nur ein bisschen gleichen, weswegen er die Charity-Aktivitäten seiner Lieblingskundin ebenso anschmachtet wie ihre Erscheinung selbst: "Solche Taten hatten eine Noblesse, die mit dem Auftreten von Liss Vonhofen in völligem Einklang stand." Dabei wirkt er wie jene Vogue-Leserschaft, die sich den Hochglanz mit einem dezent ironischen Auge anschaut, dann aber komplett im Kaschmirpullikosmos versinkt. Mit den derzeit angesagten Prekariatsgeschichten von Wolfgang Herrndorf bis Ulrich Peltzer, die ebenso kluge wie erfolglose Menschen durch den Großstadtdschungel driften lassen, hat "Der Begleiter" wenig zu tun.

So weit, so schön: Norbert Kron, selbst Journalist und vor einigen Jahren mit dem Debütroman "Autopilot" hervorgetreten, bringt den freien Kulturarbeiter zum Lachen und liefert eine unterhaltsame Story mit Tiefeneffekten. Schade nur, dass die erotischen Auslassungen so missglückt sind: Die klingen immer, als ob sie exakt für jene einsamen Mitfünfzigerinnen geschrieben wären, denen der Begleiter mit schwülstigen Komplimenten oder aufs Bett gestreuten Rosenblättern einheizt.

Immer dann, wenn der Roman dem Geheimnis der weiblichen Lust hinterherjagt, scheint er auf der Gigolospur seines Helden auszuglitschen: "zwischen ihren Beinen lag das schattige Dreieck, in dessen Dunkel er selbst Licht bringen sollte".

Überhaupt macht das anfangs durchaus smarte Buch eine seltsame Wandlung durch: Je stärker es sich in seinen erotisch gemeinten Lustbeschreibungen verheddert, desto mehr kommt ihm der Witz abhanden. Am Ende lauert eine Kitschorgie in Rosamunde- Pilcher-Dimensionen, von der wir nur verraten wollen, dass alles, alles gut wird.

Mit seinem furiosen Schlussakkord lässt sich "Der Begleiter" sowohl als Satire wie auch als herzergreifende Selbstfindungsgeschichte lesen. Ein wahrhaft schamloser Roman, der zur spätsommerlichen Kreuzfahrt genauso passt wie zur kulturjournalistischen Matratzengruft.

NORBERT KRON: Der Begleiter. Roman. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2008. 272 Seiten, 11,95 Euro.

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