Süddeutsche Zeitung

"Love Letters" von Bryan Ferry:Liebesbriefe

Mehr Novalis als Jagger: Mit vier Coverversionen rettet "Roxy Music"-Gründer Bryan Ferry die konservative Seite des Pop.

Von Andrian Kreye

Es ist schon eine Weile her, dass der Konservatismus ein Ausdruck von Traditionsbewusstsein, Fürsorge und guten Manieren war, der einem auch dann sympathisch sein konnte, wenn man vehement gegen die klassen- und sonstwie-feindlichen Untertöne stand. Ausgerechnet Bryan Ferry hat sich vor einiger Zeit zur Ehrenrettung aufgemacht. Ferry hatte mit seiner Band Roxy Music in den Siebzigerjahren Genre- und Gendergrenzen eingerissen, aber er trat schon damals sauber frisiert in feinstem Zwirn auf, als sich seine langhaarigen Kollegen Brian Eno und Phil Manzanera noch in Flitterkram warfen. Inzwischen ist er Commander of the British Empire, Officier de l'Ordre des Arts et des Lettres und Ehrendoktor der University of Newcastle. Mehr Bildungsbürger geht kaum. Weswegen er den Kanon des Pop glaubwürdiger pflegt als die meisten seiner Zunft.

Angefangen hatte das 1999 mit seinem Album "As Time Goes By". Da sang er Hits der Dreißigerjahre mit großem Orchester. Das tun inzwischen viele Rockstars, aber niemand so konsequent. Es folgten Alben und Touren mit Big Band, eine Platte mit lauter Songs von Bob Dylan, und vergangene Woche veröffentlichte er vier Liebeslieder, die noch einmal den Kern des Pop ergründen. Ohne Orchester, aber deutlich im Kanon. "Love Letters" heißt die EP. Und weil er nun mal Offizier des Ordens der Künste und der Literatur ist, reicht da keine schnöde Kritik. Es muss schon eine Exegese sein.

Die beginnt mit dem Klangbild. Bei Roxy Music war das noch im Geiste der Avantgarde des mittleren 20. Jahrhunderts von Spröde und Sperrigkeit geprägt. Doch mit seinen Soloalben erarbeitete sich Ferry einen Klangraum, der immer ein wenig wirkte wie ein frisch gekühltes Cocktailglas mit Waffelprägung für den besseren Griff. Das Schwitzige der Rockmusik lag ihm nie. Wozu hatte er auch Kunst an der University of Newcastle bei Richard Hamilton studiert, da wäre es doch affig, sich wie ein Gewerkschafter im Arbeitskampf aufzuführen.

Alle vier Songs feiern ein geradezu fundamentalistisches Verständnis der Liebe

Hamilton hatte seinen Kunstbegriff schon 1959 mit einem Vortrag definiert, dem er eine Songzeile aus Cole Porters Musical "Silk Stockings" als Titel gab: "Glorious Technicolor, Breathtaking Cinemascope and Stereophonic Sound". Und so steht auch "Love Letters" mit einem Glanz und einer Klarheit im Raum, die genau diese Kriterien erfüllen.

Wie bei jeder Pop-Platte, die die Interpretation von Fremdkompositionen offensiv zum Thema macht, David Bowies "Pin Ups" etwa, John Lennons "Rock & Roll" oder Morrisseys "California Son", ist vor allem die Auswahl der Songs das Statement. In den vier Songs setzt Ferry die Klammer von 1934 bis 1975. Das sind ungefähr jene 40 Jahre, in denen sich die Popmusik zu dem entwickelte, was man jenseits der elektronischen Genres auch heute noch darunter versteht. Alle vier Songs feiern ein geradezu fundamentalistisches Verständnis der Liebe, das tief in der Romantik des 19. Jahrhunderts wurzelt. In chronologischer Reihenfolge erschließt sich das noch besser als in der Sequenzierung der EP.

"The Very Thought of You" ist ein Popsong, den der britische Bigbandleader Ray Noble 1934 geschrieben hat. Die absolute Hingabe im Text ("Ich sehe dein Gesicht in jeder Blume, deine Augen in den Sternen über mir") erinnerte zu einer Zeit an die Kraft der romantischen Liebe, als die meisten Menschen auf der Welt in den Ausläufern der Weltwirtschaftskrise gehalten waren, sich um Arbeit und Auskommen zu sorgen.

Auch "Love Letters" steckte tief in der vorindustriellen Zeit der Buhlschaft, als ein Brief der oder des Geliebten noch Gefühlswallungen auslösen konnten, die tagelang hielten. Geschrieben wurde der Song zwar schon 1945, aber so richtig bekannt wurde er dann zwanzig Jahre später, als Elvis Presley daraus eine Ballade machte, mit der er das erwachsenere Country-Publikum eroberte.

"I Just Don't Know What To Do With Myself" ist von Burt Bacharach. Der Song war 1962 ein Bekenntnis zur Monogamie. Zu einer Zeit, als sich die Gesellschaft gerade aufmachte, das Single- und Sexleben zumindest der Männer in Hollywoodfilmen und Illustrierten wie dem Playboy als Ideal einer Aufbruchsstimmung zu feiern.

Der vierte Song wiederum ist ein One-Hit-Wonder des Bluesmusikers Elvin Bishop. Der landete mit "Fooled Around and Fell in Love" 1975 einen antizyklischen Hit, weil er auf dem Höhepunkt der kollektiven Polygamie eine herrlich melodiöse Ode an die wahre Liebe in den Top Ten platzierte. Das klingt in der ersten Strophe wie ein protestantisches Reuebekenntnis: "Ich muss eine Million Mädchen gehabt haben. Ich liebte sie und verließ sie. Es war mir egal, wie sehr sie weinten, nein, Sir. Ihre Tränen ließen mich kalt wie ein Stein. Aber dann habe ich rumgemacht und mich verliebt."

Wenn Bryan Ferry diese vier Songs nun in seiner Smoking-und-Eiswürfel-Ästhetik inszeniert, ist das nicht nur die Laune eines Rockstars. Es ist das Bekenntnis zu einer sehr bürgerlichen Seite des Pop. Mehr Novalis als Mick Jagger. Doch hinter dem Gestus der Rebellen und Bilderstürmer war auch das immer der Kern dieser Musik.

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