Brutales Musik-Video:Böser Flirt

Lesezeit: 2 min

Die Elektrorock-Band Justice löst mit einem brutalen Musik-Video Entsetzen in Frankreich aus. Die rassistische Provokation scheint in erster Linie der Vermarktung neuer Jeans und Jacken zu dienen.

Alex Rühle

Es hat wunderbar geklappt: Die französische Presse rauft sich die Haare, die Fernsehsender weigern sich, das Video auszustrahlen, es sei rassistisch, sagen sie, die gewalttätigen Jugendlichen in dem Video seien schließlich nur Schwarze und Araber.

Daraufhin wurde es im Internet erst recht angeklickt. Genau das hatte der Produzent Pedro Winter des Labels Ed Banger gewollt, wichtig sei heute ohnehin nur noch das Netz, sagte er am 1. Mai, als das Video zum Song "Stress" der Band Justice freigeschaltet wurde.

Einmal das Jugendstrafregister durchgegangen

Acht Jugendliche machen sich darin auf von der Banlieue in die Stadt und gehen auf dem Weg dorthin einmal das Jugendstrafregister durch: Sie zerkratzen Autos, sprühen Wände und Leute voll, pöbeln Frauen an, klauen Handtaschen, ohrfeigen Passanten, treten am Boden liegende Polizisten zusammen, verprügeln einen Barbesitzer, zerstören seine Kneipe, und klauen ein Auto.

Das Video ist der dramatisierte Alptraum des Pariser Bürgers, der Mob, der nicht mehr draußen in der Banlieue wütet, sondern in die weiße Innenstadt einfällt.

All das wird in straßenglaubwürdiger Ästhetik gefilmt (Handkamera, Wackelbilder, harte Schnitte). Kurzum: die Form sehr "La Haine", der Inhalt sehr viel Hass, man weiß am Ende nicht, ob man mehr beats per minute gesehen oder gehört hat.

Die acht Randalierer werden so inszeniert wie die Aufständischen im November 2005 gezeigt wurden, als der Soziologe Michel Wieviorka vom stummen Aufstand "frei flottierender Subjekte" sprach, die Steine werfen um des Steinewerfens willen: Ich bin im Fernsehen, also bin ich.

Am Ende, das geklaute Auto brennt, gehen sie mit den Worten "Na macht dich das geil, das zu filmen, du Arsch?" auf die Filmcrew los, spucken ins Objektiv und scheinen den Kameramann zu verprügeln: Die Kamera sinkt zu Boden und nimmt am Ende nur noch, 90 Grad gekippt, das in der Abenddämmerung eines Industriegebiets vor sich hin brennende Auto auf.

"Provokanter Realismus"

Gedreht hat das Video Romain Gavras, der Teil von Kourtrajmé ist, einem Künstlerkollektiv aus den Banlieues, das sich explizit auf "La Haine" bezieht und nach eigenen Aussagen einen "provokanten Realismus" vertritt.

Jeder Regisseur muss fünf Dogmen unterschreiben, fünf Sätze, die beginnen mit den Worten ich schwöre. So hat Gavras unglücklicherweise geschworen, "nie ein Drehbuch zu schreiben, das die Bezeichnung Drehbuch verdient; meinen Filmen nie einen Sinn zu geben, sondern Filme für die Sinne zu machen; mich bei allen Fragen künstlerischer Komposition vom Instinkt und nicht von der Vernunft leiten zu lassen."

Schaut man sich Gavras' andere Videos an, möchte man ein flammendes Plädoyer für Drehbücher, Sinn und Verstand halten, er arbeitet gern mit Gewalt- und Rassismusklischees, aber das allein macht noch keine Kunst. Eher hat man den Eindruck, dass da einer dem verängstigten Mainstream und der Banlieue zugleich imponieren will.

Gavras selbst stammt nicht aus der Banlieue, Xavier de Rosnay und Gaspard Auge, die beiden Musiker von Justice auch nicht, im Gegenteil, sie waren in Paris der dernier cri der letzten Saison, die wichtigste Band des angesagtesten Labels Ed Banger.

Eher wie Alain-Delon-Enkel

Die beiden gerieren sich auch eher wie Alain-Delon-Enkel, weniger als Banlieue-Jugendliche, cool, gelangweilt, posh und sexy. Warum, so fragen nun Le Monde und Liberation, warum zeigen diese beiden netten Kerle diesen Flirt mit der Gewalt?

Die acht Jungs tragen jedenfalls nicht nur Gewalt in die Stadt, sondern auch ihre schwarzen Jacken, die das Logo der Band, ein sargförmiges Kreuz, ziert. Da sie meist von hinten gefilmt werden, als gesichtlose Phalanx auf dem Weg ins Irgendwo, treten die schwarzen Jacken an die Stelle der Gesichter, saugen sich mit der Gewalt der Jugendlichen voll wie Wildleder im Regen.

Es dürfte kein Zufall sein, dass Justice im Juni mit selbstgestylten Jeans und Jacken auf den Markt kommen will. 700 Euro soll das Stück kosten und nur in 20 Boutiquen weltweit erhältlich sein.

© SZ vom 14.05.2008/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: