Süddeutsche Zeitung

Bruno Ganz im Interview:"Ich dachte erst, das sei unspielbar"

Auf der Suche nach dem "geistigen Fundament" eines politischen Chamäleons bot die Rolle großartiges Material für einen Schauspieler. Bruno Ganz über seine schwierigste Rolle - als Adolf Hitler im Film "Der Untergang".

Von Fritz Göttler

Die Stunde der Wahrheit naht, für Bernd Eichinger und sein Team - am Donnerstag kommt der Film "Der Untergang" in die Kinos. Die letzten Tage des "Dritten Reichs", im Mittelpunkt Bruno Ganz als Adolf Hitler.

SZ: Wissen Sie noch, was Ihnen durch den Kopf ging, als Sie das Angebot bekamen, den Hitler zu spielen? Bruno Ganz: Das war allerlei Widersprüchliches. Da waren ganz simple existenzielle Schauspielerüberlegungen... dass ich lange in Deutschland keinen Film mehr gemacht habe - was mich geschmerzt hat. Mit dem Hitler würde ich, so dachte ich, auf einer bestimmten Ebene zurückkehren. Natürlich graute es auch mir davor, wie jedem anderen Menschen, das zu verkörpern. Ich habe Leute gefragt, die ich lange kenne, denen ich vertraue - und alle haben mir abgeraten. Das hat man ja auch selber verinnerlicht, nicht nur eine Art Bilderverbot, sondern eine Art Darstellungsverbot.

Das kann man nicht spielen, das ist so monströs... Auch ich dachte erst, das wäre unspielbar, da habe ich aber noch nicht gewusst, wie viele Hinweise es gibt auf die Erscheinungsform Hitlers, seine Art zu leben, zu gehen, zu essen, zu husten, seine Freundlichkeiten, seine schlechten Launen, seine Wutausbrüche. Das kann man nachlesen, in den vielen Büchern von den Leuten in seiner Nähe, vor allem in der späten Zeit. Das ist für einen Schauspieler natürlich großartiges Material. Da müssen Sie nicht über Ideologien nachdenken, was sowieso nichts bringt beim Spielen. Da wird beschrieben, wie eine Hand gehalten wurde, wie ein Tonfall war.

Aber irgendwie schien es, dass dieser Mann sich der Darstellung durch einen Schauspieler, und sei er noch so gut, entzieht. Das war einfach eine eigene Kategorie - von Verworfenheit, von Außerhalbsein. Man durfte das nicht antasten, indem man da ein Abbild macht. Ich habe dann den Film von G. W. Pabst gesehen, "Der letzte Akt" von 1956. Der Film ist sehr gut, und er ist auch zeitlich einzuordnen, immer wieder blitzt der Appell auf: Nie wieder. Das ist für 1956 völlig richtig. Albin Skoda hat in diesem Film den Hitler gespielt.

Er sieht ihm nicht mal sonderlich ähnlich - weniger als ich, und er hat sich auch keine besondere Mühe gegeben, diesem Hitler-Sound - das sage ich jetzt mal ein wenig respektlos, mit einem modernen Ausdruck - nachzugehen. Und trotzdem hat das funktioniert. Ich habe gesehen: Das kann man spielen. Und das hat mir die Tür geöffnet.

SZ: Haben Sie bei den Dreharbeiten auch mal bereut, dass Sie sich auf so ein Unternehmen eingelassen haben? Ganz: Es gab Momente der Müdigkeit oder Erschöpfung, aber das passiert mir auch auf dem Theater, wenn das, worin man sich versenkt hat, so entfernt ist von dem, was einen real umgibt. Meistens tritt das ein, wenn sich in der Welt ein furchtbares Ereignis abspielt, ein Unglück - das ist wie ein Schock. Auf einmal begreift man, dass man sich in einer Welt aufhält, durch den Beruf, durch die Leidenschaft, mit der man Schauspieler ist, die so weit entfernt ist von dem, was wirklich passiert. Und man kriegt auf einmal ein Riesenproblem, dass man nicht mehr weiß, wo man wirklich ist.

SZ: Hat die Hitler-Rolle Sie nachhaltig verändert? Ganz: Meine Umgebung meinte, ich hätte in dieser Zeit sehr viel von Hitler geredet und nicht unbedingt in der gebotenen politisch korrekten Art und Distanziertheit. Man kann sich, in Kenntnis des Materials, eine Art Unbefangenheit zurückerobern - so dass man wirklich dieses Stück Mensch sehen kann. Und nicht immer durch das Gitter des Massenmords schauen muss, durch das man nichts mehr wahrnehmen kann. Ich rede da vom rein schauspielerischen Vorgehen, wohlgemerkt. Es ist schwer, darüber zu sprechen, man sollte es in Büchern behandeln, nicht im Film - weil es so unheimlich komplex ist.

Mir hat gefallen, wie Joachim Fest das macht, in dieser zurückgezogenen, hochdifferenzierten bürgerlichen Sprache. Die sich schützt, aber in der er Sachverhalte in ihrer Verflechtung darstellt, vorsichtig wägend, in einer leisen Ironie. Sein Hitler-Buch ist grandios, das war meine Quelle.

SZ: Aber hat nicht auch das Kino eine eigene Komplexität... Als Sie in der Pressekonferenz den Begriff Mitleid verwendeten, wurde das sofort zerpflückt. Im Film hätte man doch sehen müssen, wie das gemeint war. Ganz: Ich kann das mit dem Mitleid auch nicht widerrufen. Ich muss mich eben teilen, in den politischen Menschen und den Schauspieler. Das mag eine fragwürdige Konstruktion sein, aber als Schauspieler ist es eine meiner besten Möglichkeiten, einer solchen Sache näher zu kommen, eine Art Mitgefühl zu entwickeln. Sonst komme ich nie zu einem Verständnis und bleibe bei primären Wertungen hängen. Ich wollte begreifen, wo das geistige Fundament ist, oder, wenn man nicht so weit gehen will, wo die Antriebe sind für all dies. Was steckte in diesem singulären Menschen, und was kam aus der Umgebung dazu, in dieser Symbiose mit dem Volk? Diese Beschleunigung und Verdichtung von 1933 bis 1945 ist hochinteressant.

SZ: Hat sich da etwas gewandelt, ist die Zeit heute reif, wie Bernd Eichinger sagt, für einen neuen Blick? Ganz: Ich sehe Bewegung durch das Buch von Günter Grass, "Im Krebsgang", durch die Debatte um das Vertriebenenzentrum, ich sehe die Bemühungen von W. G. Sebald, der eine Darstellung des Bombenkriegs geliefert hat - der viele Opfer kostete. Damit sind wir mitten in meiner politischen Unkorrektheit: Die Deutschen dürfen keine Opfer sein. In gewisser Weise ist das richtig, sie waren es aber trotzdem. Wir haben Debatten, und nun kommt, um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, noch dieser Film. Das sieht aus, als hätten die Deutschen eine Strategie der Geschichtsrevision betrieben. Aber ich finde diesen Vorwurf absurd.

SZ: Sie haben natürlich alle verfügbaren Hitlerauftritte und -reden studiert. Ganz: Ich hatte den Film von Fest gesehen, von 1972, da ging es um den Aufstieg von Hitler. Der Film ist sehr kritisiert worden von links, weil das Großkapital darin nicht vorkam. Da sind die Linken sehr böse, weil das Großkapital an allem schuld ist. Es stimmt, diese Verknüpfung wird vollständig ausgeblendet. Aber man kriegt eine Anschauung davon, wie das 1920 in München war, man fängt an, das zu riechen.

Da gibt's eine Rede, da steht Hitler vor dem Mikro, vor ihm ein Tisch mit Blättern. Man hört, wie ein voller Saal auf ihn wartet. Er guckt auf die Blätter, dann streckt er verstohlen die Hand aus, zieht den ganzen Stapel ein bisschen näher. Und immer dieses Warten, diese nach innen gekehrten Augen. Als Schauspieler verstehe ich sehr gut, was er da macht. Er ist nervös. Dann geht es los, und er macht diese übliche lange Pause. Ein reiner Schauspielertrick: Ich rede, also Ruhe jetzt. Und dann zieht er los: Er als einfacher Gefreiter, im Ersten Weltkrieg, im Dienst des Vaterlands. Dann kommen die ersten Reaktionen. Seine Laune steigt, und er greift sofort auf Versailles zurück.

Die Schmach und Schande, die Deutschland erfahren musste durch diesen ungerechten, furchtbaren Vertrag. Und er hat recht, der Vertrag war ungerecht und dumm, furchtbar - ein Heer von gerade 100.000 Mann, diese wahnwitzigen Reparationszahlungen. In diese Sache haut er sofort rein. Da kommt Zustimmung, er geht höher. Und dann kommen diese Posen. Beide Fäuste vor der Brust, hochgereckt. Und er endet, wie er es oft in der frühen Phase macht: So wahr mir Gott helfe. Er bemüht die religiöse Sphäre... Da begreift man sehr viel.

SZ: Es gibt eine starke Affinität zwischen der Arbeit von Hitler und der des Schauspielers, der ja auch auf Verführung der Zuschauer aus ist.

Ganz: Das ist richtig. Diese Sachen setzen wir ein, wenn wir arbeiten - aber nie im Privatleben. Aber Hitler wird ja von vielen beschrieben als ein totales Chamäleon, er hat sich instinktiv immer eingestellt auf die anderen, hat sich ständig verwandelt und angepasst. Und dann, das kann man in dem Film sehen, hatte er autosuggestive Möglichkeiten. Wie er von der Gruppe Steiner redet - von der er geahnt haben musste, dass es sie in der Art, wie er sie auf der Karte platzierte, gar nicht mehr gab. Und am nächsten Tag erklärt er: Es ist alles aus. Er konnte sich so überreden, an das Zeug zu glauben, dass es auch für andere überzeugend war. Das sind autosuggestive Akte.

SZ: War der folgende Film, "The Manchurian Candidate" von Jonathan Demme, dann eine Art Alternativprogramm? Ganz: Naja, was soll man tun, wenn einem jemand, von dem man zwei ziemlich gute Filme gesehen hat, "Das Schweigen der Lämmer" und "Philadelphia", am Telefon sagt, dass er Ihre Augen liebt und Sie ganz großartig findet... Und ich schätze Denzel Washington. Natürlich ist es der doofe europäische Wissenschaftler, den die Amerikaner einen da spielen lassen, aber drei Tage allein mit Denzel und Jonathan... Ich habe es jetzt synchronisiert und gesehen, dass das Kernstück herausgenommen wurde, eine sehr ironische, aber sehr harte Rede gegen den militärisch-industriellen Komplex der USA, die Firma Manchurian Global. Das kann man also nicht machen, die US-Armee antasten.

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Quelle:
SZ vom 13.9.2004
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