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Bruce Springsteens Album "High Hopes":Der Schaukelstuhl muss warten

Nicht mal haarscharf am Alterswerk vorbeigeschrammt: Bruce Springsteens neues Album "High Hopes" beweist, dass der Star seinen Rock 'n' Roll-Herbst noch längst nicht von der Veranda aus genießt.

Von Joachim Hentschel

Langsam wäre es dann doch mal Zeit fürs Alterswerk. Nicht, dass der Sänger Bruce Springsteen mit 64 Jahren hervorgehoben alt wäre in dieser Herbstphase des Rock 'n' Roll, in der beim aktiven Personal ein siebzigster Geburtstag den nächsten jagt, sondern weil das eine lohnenswerte Perspektive wäre auf die oft hektische Springsteen-Welt, ihre Sturmhöhen und brennenden Büsche: aus dem Schaukelstuhl auf der Veranda in New Jersey heraus, mit den Enkeln auf dem Schoß.

Einen Blick in den großen Folianten der amerikanischen Geschichte geworfen, den anderen Richtung Horizont, bereit für das Résumé, das man von Springsteen ja schon gerne hören würde. Auch ein paar Lieder übers Brotbacken oder die Schachpartie gegen den Tod könnte man zur Not ertragen.

Über die Abrissbirne des Kapitalismus

Aber nein, es ist noch nicht so weit. Springsteen sieht sich nicht als Romancier, mehr als fahrender Spielmann, der alles immer wieder zur Disposition stellt. Die Welttour, die er eben beendet hat, übertrifft noch einmal alte Legenden: 133 Konzerte in anderthalb Jahren, in Helsinki das längste Konzert seiner Karriere, vier Stunden und sechs Minuten.

Dazu neue Stücke über die Abrissbirne des Kapitalismus, über den Drang, mit der Schrotflinte die Bank zu stürmen - wahrscheinlich muss man eine dieser absolut triumphalen Shows erlebt haben, um zu verstehen, wie gut solche Rollenspiele bei ihm funktionieren. Das Hemdsärmelige, das ihm die Feinde vorwerfen, ist für Springsteen zum poetologischen Vorsprung geworden.

Und so, tja, ist sein neues, inzwischen achtzehntes Album "High Hopes" also wieder nicht das große Alterswerk geworden. Es ist das Ding, das ihm auf halber Strecke hinten vom Truck gefallen ist.

Das älteste der zwölf Stücke stammt von 1998, die meisten sind Überbleibsel von früheren Sessions, aufgemöbelt oder neu produziert, Stücke also, die erst aussortiert und jetzt wieder einsortiert wurden. Die dunkel pumpende Gangstermoritat "Harry's Place" zum Beispiel, die - eine Vermutung - vielleicht 2002 nur deshalb nicht auf das 9/11-Album "The Rising" kam, weil sie sich auf das Lied "Mary's Place" reimte.

Bei einigen Aufnahmen hört man noch die zwischenzeitlich verstorbenen Bandmitglieder Clarence Clemons und Danny Federici, eine reine Dokumentation sollte es aber nicht werden, weshalb Springsteen auch bei alten Bändern seinen Tourneegast Tom Morello nachträglich mitspielen ließ.

Morello kannte man als Schockeffekt-Gitarristen der Guerillaband Rage Against The Machine, entsprechend seltsam klingt es, wenn er nun mit raumgreifendem Wah-Wah an alten Springsteen-Songs herummodelliert. Von denen der Komponist im Begleittext sinngemäß schreibt, sie hätten darauf bestanden, endlich veröffentlicht zu werden.

So wie "American Skin (41 Shots)", im Jahr 2000 für den von New Yorker Polizisten erschossenen Amadou Diallo geschrieben, beim konservativeren Teil der Fans umstritten, zuletzt als Kommentar zum Fall Trayvon Martin ins Bühnenprogramm genommen wurde.Die auf "High Hopes" gepresste Studioversion, die sich von früheren Aufnahmen durch Morellos presswehenartige Gitarrenarbeit unterscheidet, wirkt unnötig, auf keinen Fall wie ein Statement. Dass ein Song seine Gültigkeit durch Aufführungspraxis erhält, hat Springsteen den Hörern immer schlüssig vorgeführt.

Den wahren Clou an "High Hopes", dieser heiteren Springsteen-Karaoke, erhalten nur die Käufer der Deluxe-Ausgabe. Die enthält als Bonus eine DVD mit dem Mitschnitt eines Open-Air-Konzerts in London, bei dem die Truppe im Juli 2013 das Album "Born In The USA" komplett spielte. Ein großartiger Zyklus über Reagans Amerika. Und allein wie Springsteen hier das Wort "born" im Refrain des Titelsongs neu singt, nicht mehr als Falkengebrüll, sondern als kleine, aufsteigende Melodie, das will man ab sofort nie wieder anders hören.

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SZ vom 10.01.2014/mfh
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