Bruce Springsteen in München:"Bruuuuuuuce!"

Bruce Springsteen in München

Bruce Springsteen im Olympiastadion in München.

(Foto: Andreas Gebert/dpa)

Begeistert empfangen 57 000 Fans den "Boss" im Olympiastadion in München. Sogar der kalte Sommer spielt mit. Nur politisch war schon mal mehr los auf der Bühne.

Von Karl Forster

Es klingt, als brülle eine ganze Büffelherde vor Hunger. "Bruuuuuuuce!" schallt es am Freitagabend um 19.12 Uhr aus dem Olympiastadion in den ausnahmsweise erfreulich dämmerblauen Himmel. Denn da gleiten vier schwarze Vans mit abgedunkelten Scheiben durchs Westtor ins Münchner Olympiastadion. Deren Passagiere sollten nun für gut drei Stunden dafür sorgen, dass die Fans von "The Boss" Bruce Springsteen auf ihre Kosten kommen. Und so startet Bruce Springsteen mit Vollgas und jenseits der 100 Dezibel mit "Badlands", "Out In The Street", "Sherry Darling" zum München-Konzert seiner "River"-Tour, begleitet von der legendären E-Street-Band mit dem (fast) neuen Saxofonisten Jake Clemons, von dem noch die Rede sein wird.

Diesen Sound allerdings hat Bruce Springsteen nicht verdient. Dass es laut wird, ist man gewohnt bei ihm. Dass der Wind die eine oder andere Phrasierung im Münchner Olympiastadion verweht, ist kein Wunder, war man doch schon froh, einen in diesem Jahr seltenen regenfreien Abend erwischt zu haben. Aber nachdem mit "Prove It All Night" das erste Powergewitter über die 57 000 Fans hereingebrochen war, ein Lied mit der für Bruce Springsteen so typisch verschleierten Melancholie, ahnte man, dass dies kein Abend des absoluten Hörgenusses werden würde. Bei aller Verehrung für den 66 Jahre alten Musiker und Dichter aus New Jersey, der nun angetreten war, wieder einmal ein Vermächtnis zu präsentieren wie schon 1995 mit den "Greatest Hits" oder 2005 mit der "Born To Run - The 30th Anniversary Edition". Nun also "The River Collection" mit "The Ties That Bind", einem Lied, das irgendwie auf der Setlist untergegangen ist.

Bruce Springsteens "The River" ist sein Schlüsselwerk

Doch wer sich nicht im Vorfeld über solch vorgegebenen Sinn und Zweck der Tour informiert hat, bekam wenig Hilfestellung von Bruce Springsteen, was diesen Abend von früheren am deutlichsten unterschied. Denn dass sich, wie erwähnt, der Sound im Stadion bei quer gestellter Bühne im Glasdach verfangen und dann als gequirlter Tönematsch auf die Zuschauer einprasselt, kennt man schon vor früher. Diesmal klang es, als hätte man unter jedes Becken des wie immer adrett gekleideten Schlagzeugers Max Weinberg ein Mikro gesteckt und voll aufgedreht.

Wer aber trotzdem Lust hatte, sich über die Konzeption und den Titelsong des Abends Gedanken zu machen, dem wurde einiges klar: Bruce Springsteens "The River" ist sein Schlüsselwerk, sowohl musikalisch wie auch inhaltlich und literarisch. Würde Springsteen heute ganz ohne Musik, nur mit seinen Texten in einem literarischen Zirkel auftreten, der Applaus wäre ihm auch dort gewiss. Die Geschichte in "The River" ist ja nicht bloß die eines geplatzten Lebenstraums eines allzu jung verheirateten Paares, Bruce Springsteen versteckt darin die Anklage gegen eine uramerikanische Oberflächlichkeit der Lebensführung. In "The River", vor 36 Jahren erschienen, unterlegt er solche Gedanken mit ebenso nachdenklich stimmenden Harmonien und einem nahezu klerikalen Soundgewebe. Heimtückischer ist das schon bei Liedern wie "Sherry Darling", diesem so fröhlich klingenden Gassenhauer, wobei es auch hier um die Frage geht, wie fröhlich man sein kann und darf, wenn die Gesellschaft keinen Job mehr für einen hat.

Bruce Springsteen nutzt den Drive des amerikanischen Musikkanons, um sich und der Welt zu erklären, warum das Durchschnittsleben so oft so beschissen ist. Dann wählt er wieder stark keyboardlastige kathedrale Klänge zur Untermalung seiner Anklage, meisterhaft gelungen in "American Skin (41 Shots)", wo er des 1999 in New York von vier Polizisten erschossenen Amadou Diallo gedenkt - ein 23 Jahre alter unbewaffneter Immigrant aus Guinea. Die Polizisten wurden später verurteilt.

Besser kann eine Nachfolgefrage nicht geklärt werden

Bruce Springsteen ist klug - und selbstverliebt - genug, jegliche Nachdenklichkeit in Anbetung umzumünzen. Durch das schon legendäre Ritual des fast immer gleichen Einzählens etwa. Sein "One, two, three. . ." ist Stimulanz fürs fröhliche Volk und wird als Mittel sogar zur Selbstironie, wenn er "My Hometown" tonlos nur mit den auf die Videowände übertragenen Fingern einzählt. Er vertraut ganz seiner Musik und seiner Präsenz und sagt keinen Satz außer, dass er sich beim letzten Konzert an dieser Stelle "den Arsch abgefroren hat". Dabei gäbe es angesichts der Situation in seiner Heimat ja eigentlich schon ein paar Themen, die Springsteen früher wohl nicht unkommentiert gelassen hätte.

Und er vertraut seiner trotz diversen Umstellungen konstant perfekten E-Street-Band. Zum einen hat Springsteen die achtköpfige Bläsersektion, die ihn bei der US-Tour begleitet und dort für einen noch breiigeren Sound gesorgt hat, daheim gelassen. Zum anderen hat er einen wirklich ebenbürtigen Ersatz für den 2011 verstorbenen Saxofonisten Clarence Clemons gefunden. Der heißt Jake Clemons, ist der Neffe von Clarence und seit der Wrecking Ball Tour 2013 mit an Bord. Besser kann eine Nachfolgefrage nicht geklärt werden. Ansonsten teilt sich Bruce Springsteen die Frontline mit den Gitarristen Nils Lofgren, der, wie üblich, auch ein paar Pirouetten beim Solo drehen darf. Und Steven van Zandt, der immer mehr aussieht wie ein Schamane oder - für Kenner - die "Schildkröte" bei Dittsche im WDR.

Bruce Springsteen ist - im Grunde seines Herzens - ein Folkmusiker

Es kommt dann im Olympiastadion zu den üblichen Ritualen der Fanbetreuung. Bei "Waiting On A Sunny Day" darf ein kleines Mädchen auf die Bühne, ebenso später, beim Monsterzugabenblock, ein kleiner Bub namens Bruce, dem man sogar eine Gitarre umhängt zum Duett mit dem großen Bruce. Eine Dame findet Aufmerksamkeit, weil sie laut Schild Hochzeitstag feiert und deswegen mit Bruce (dem großen) tanzen will. Sie darf. Und dann kommt auch noch ein Pappdeckelschild ins Bild, auf dem steht: "Fuck Trump, dance with the Boss". Das war der einzige Kommentar zur Lage der Springsteen-Nation.

Und dann singt, ganz am Schluss, nachdem alle Musiker die Bühne schon verlassen haben, Bruce Springsteen zur Gitarre und Mundharmonika "For You". Es ist ein Lied aus dem ersten Jahr seiner Karriere, von seinem Debütalbum "Greetings from Asbury Park N.Y." Und da wird klar: Bruce Springsteen ist nicht nur der Meister der Powerschlüsse mit minutenlangen Schlusskaskaden, nicht nur der König der Riffs, der bei "Darlington County" sogar Keith Richards seine Reverenz erweist. Bruce Springsteen ist - im Grunde seines Herzens - ein Folkmusiker, ein Apologet von Woody Guthrie, von Pete Seeger und Bob Dylan. Bruce Springsteen ist ein Meisterprediger jenes weißen Mittelschichts-Amerika, das gerade zu implodieren droht. Diese Rolle hätte er in München noch etwas deutlicher ausspielen können.

So aber bleibt das Konzert in Erinnerung als einer jener Springsteen-Abende, an dem es der Wettergott wieder einmal gut gemeint hat mit dem Mann aus New Jersey; und für den einmal eine Kollegin die wunderbare Metapher erfand: Der Himmel färbe sich jeansblau, wenn Bruce Springsteen auf die Bühne komme. Nun, jeansblau wäre diesmal vielleicht etwas übertrieben. Aber regenschirmanthrazit war er schon mal nicht.

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