Britney Spears, Mel Gibson und ihre Skandale:Das Prinzip Vergebung

Auf der Straße randalieren? Kann man machen. Ohne Unterhose in den Club? Niemals! Warum das Publikum Mel Gibson verzeiht und Britney Spears ächtet.

Tobias Kniebe

Erst kam seine Spitzenposition in den amerikanischen Kinocharts, dann sein Rekord für den bisher besten Start eines nicht-englischsprachigen Films in Großbritannien, und am Montag könnte es passieren, dass Mel Gibson mit einem Golden Globe in der Hand auf der Bühne des Beverly Hilton in Hollywood steht.

Mel Gibson

Mel Gibson.

(Foto: Foto: AFP)

Das wäre dann wirklich eine Sensation und würde bestätigen, was längst offensichtlich ist: Der Mann ist wieder da. Seine Verhaftung als betrunkener Verkehrsrowdy in Santa Monica, seine antisemitischen Tiraden im Polizeigewahrsam, seine anschließenden Reueschwüre und Alkoholismus-Geständnisse, all das scheint ihm weder an der Kinokasse noch in den Auswahlgremien der Filmkultur ernsthaft geschadet zu haben. Zur Hölle damit - sogar ein Oscar wäre in diesem Jahr noch drin. Das wäre dann die schnellste Rehabilitierung eines Übeltäters, die es in Hollywood je gegeben hat. So einfach war das mit dem Vergeben und Vergessen noch nie.

Das Schauspiel aus Scham und Schande, wenn ein von Millionen geliebter Star plötzlich und unfreiwillig seine dunkle Seite offenbart, sexuelle Tabus bricht, Drogenexzesse eingesteht oder gar unter Mordverdacht gerät, ist natürlich so alt wie Hollywood selbst. Wallace Reid, einer der großen Herzensbrecher der Stummfilmzeit, war einer der ersten großen Junkies.

Fatty Arbuckle, der erste familientaugliche Komiker, über den selbst Menschen lachen konnten, die Hollywood sonst als Sündenbabel verfluchten, erholte sich nie wieder von dem Sensationsprozess in dem er wegen Vergewaltigung und Mord erst angeklagt und dann freigesprochen wurde. Und der erste kreative Gigant des neuen Mediums, Charlie Chaplin, war auch gleichzeitig der erste Star mit einer allgemein bekannten Vorliebe für minderjährige Bräute.

Wenig später, als die Popmusik zum Massenmedium wurde, kamen auch noch deren Götter dazu. Und so führt eine niemals endende Kette von Skandalen bis in die Gegenwart: Zum randalierenden Mel Gibson am Straßenrand, zu Britney Spears ohne Unterhose und zum ehemaligen "Seinfeld"-Komiker Michael Richards, der auf der Bühne eines Clubs kürzlich einen rassistischen Wutausbruch bekam.

Von Dämonen getrieben

Die erste Reaktion auf Blamage, Ausfall oder Verhaftung eines Stars ist stets die selbe: Das überlebt der nicht, denkt man. Früher las man die Schlagzeilen und studierte die Beweisfotos, heute kommt womöglich noch das Internet-Video dazu, und niemand kann sich im ersten Moment vorstellen, dass der Betroffene je wieder vor die eigene Haustür treten, geschweige denn eine Karriere im Showgeschäft fortsetzen kann.

Es geht auch nicht immer. Manchmal ist definitiv Schluss. Sehr oft geht es aber doch, manchmal erst nach Jahren des Schweigens und der Verbannung, manchmal viel schneller als man denkt. Dabei wäre es nicht nur für die gefallenen Sünder und potentiellen Risikofälle wertvoll zu wissen, ob das alles nicht doch nach bestimmten Gesetzen funktioniert. Gibt es Muster dafür, wie die Öffentlichkeit ihre Stars entschuldigt, und also - im Wortsinn - von Schuld wieder freispricht?

Die Antwort der Hollywood-Historiker, die sich im Lauf der Filmgeschichte immer wieder bestätigt hat, ist denkbar einfach: Fast alles kann vergeben werden, solange der Star große Werke produziert. Die verlogene Moral der Klatschpresse, die entrüsteten Aufschreie der Sittenwächter täuschen meist nur kurz darüber hinweg, dass in Wahrheit eine weitreichende Mythologie des Künstlertums existiert, die auch Film- und Popstars gnädig umfasst:

Das Prinzip Vergebung

Wer Werke von bleibendem Wert schaffen will, braucht auch Dämonen, die ihn dazu antreiben, der darf nicht akzeptieren, was anderen als geltende Regel gilt, der muss die eigenen Untiefen nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch ausloten. Deswegen kann ein Mann wie Roman Polanski zwar nach wie vor nicht in die USA einreisen, weil es dort immer noch einen Haftbefehl wegen Verführung Minderjähriger gibt, aber in Abwesenheit den Oscar gewinnen, das geht sehr wohl, wie er vor vier Jahren mit dem "Pianisten" bewiesen hat.

Britney Spears

Britney Spears.

(Foto: Foto: ddp)

In derselben Oscarnacht wurde auch Leni Riefenstahl, lange die politisch diskreditierte Künstlerin schlechthin, wieder in die Ehrenliste der großen verstorbenen Filmschaffenden aufgenommen.

Das also ist die gute Nachricht für alle Missetäter: Es gibt immer einen Weg zurück. Auch wenn es manchmal Jahre und Jahrzehnte dauert. Die schlechte ist, dass diese Begnadigung nur durch nachhaltige künstlerische Höchstleistungen erkauft werden kann.

Rein ins Pantheon, raus aus dem Pantheon

Wer gar nicht mehr kreativ tätig ist, so wie derzeit Britney Spears, hat es am schwersten: Selbst eine Lappalie wie das demonstrative Ausgehen ohne Unterhose wächst sich dann leicht zur Katastrophe aus, weil es die Botschaft vermittelt, die Frau lasse sich nun endgültig gehen und werde nie wieder einen Song produzieren. So erklärte zum Beispiel der Webmaster der Fansite www.worldofbritney.com, er habe alle Hoffnung aufgegeben und werde demnächst dichtmachen.

Dem schwulen Kollegen George Michael dagegen konnte nicht einmal sein unfreiwilliges Coming-Out bei der Verhaftung in einer Herrentoilette in Beverly Hills schaden, weil er das einfach zum Anlass nahm, einen Hit zu schreiben, der den Vorfall ironisch reflektierte.

Und jede Wette: Wenn Michael Jackson morgen mit einem neuen Song in der Qualität von, sagen wir, "Billy Jean" auf den Markt käme - ein ganzes Jahrzehnt voller Skandale, Prozesse und Verrückheiten würde sich bald in Nichts auflösen. Noch aber geht es ihm wie einst Fatty Arbuckle. Die Justiz hat ihn vielleicht von seinen Sünden freigesprochen, doch das Publikum hat ihn auf ewig aus dem Pantheon der Stars verbannt.

Du bist nicht lustig

Mel Gibson mag, was seine politischen Ansichten betrifft, ein gefährlicher Idiot sein, und die Entrüstung vieler jüdischer Hollywood-Größen war sicher berechtigt. Dennoch wird er nun wieder als Filmemacher wahrgenommen, der nicht nur geschäftlich voll auf der Höhe ist, sondern, sondern auch erhebliche künstlerische Risiken eingeht und damit durchkommt. Immerhin wird in seinem blutigen Stammes-Epos "Apocalypto" nur Maya gesprochen.

Mit so einem Film auf Nummer Eins zu landen, zeigt nicht, dass Geld in Hollywood von allen Sünden reinwäscht. Das tut es nämlich nicht. Es wird vielmehr als unwiderlegbarer Beweis von kreativer Potenz wahrgenommen - und nur das erklärt Gibsons schnelles Auftauchen auf der Nominierungsliste der Golden Globes.

Michael Richards dagegen, einst der verrückte Turmfrisur-Kramer in der Serie "Seinfeld", darf sich dagegen keine Hoffnung mehr machen. Einer der Schwarzen, die er von der Bühne herunter auf übelste Weise beleidigt hat, brüllt am Ende des Skandalvideos eine Replik in den Raum: "Du bist nicht lustig, du bist ein Versager, die hast nie einen Film oder eine Show bekommen, nur ,Seinfeld', das war's." Darauf hat der Komiker keine Antwort mehr - denn es ist einfach die Wahrheit.

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