Briefe von Paul Celan an "Hannele":"wir wollen zu zweit daran tragen"

Lesezeit: 4 Min.

Anfang des Jahres wurden fünf Briefe von Paul Celan an eine bisher unbekannte Frau namens Hannele versteigert. Jetzt sind sie in einem Sammelband mit Briefen Paul Celans zu lesen.

An Hannelore Scholz, Paris, 16. 9. 1951

Sonntag

Hannele,

vier Tage Paris, vier Tage, mit denen ich kaum etwas anzufangen wußte. Die Stadt trat seltsamerweise hinter ihre Menschen zurück, und diese Menschen blieben mir im allerbesten Falle gleichgültig. Außerdem war alles wie eine Rückkehr ins Zigeunerleben: mein Hotelzimmer besetzt, also Zimmersuche, zwei Tage in der Rue des Bernardins, Riesenbett und Riesenspiegel, seit gestern wieder im alten Zimmer in der Rue des Ecoles, Blümchen an den Wänden, dazu kanariengelbe Tisch- und Bettdecke - bien assorti, n'est-ce pas, meinte der Hotelier.

Ein paar Gänge durch die Stadt "pour faire des contacts", gestern wieder der bulgarische Schüler, ein Besuch bei Claire Goll, Anrufe, zweimal Kaffeehaus St. Germain-des-Près - Unersprießlichstes, wie Du leicht merken wirst.

Stumm, nicht zu-Ende-denkbar der Gedanke an unser letztes Telephongespräch - ich hätte bleiben sollen, einen Tag wenigstens, um Dir noch einmal alles zu sagen, was ist und bleibt, um Dir zu sagen, daß Du Dich nicht grämen darfst, daß Warten nicht schwer sein muß, daß Deine Krankheit keinen der Wege versperrt. Faß Dir also ein Herz gegen Deine Niere, Hannele, ein ruhiges Herz - das ist lange nicht so schwierig wie Du es einen Augenblick lang geglaubt haben magst - sicher ist alles nur halb so schlimm wie es Dir jetzt erscheint, Du mußt nur eine Weile auf Dich aufpassen und Dein Herz nicht mit unruhigen Gedanken quälen. Das kann nicht allzu schwer sein, wenn Du einmal daheim bist und nicht auf fremde Menschen Rücksicht zu nehmen brauchst. Versprich mir bitte, sehr an Dich zu denken und mir alles zu sagen: wir wollen zu zweit daran tragen, solange, bis es überhaupt kein Gewicht mehr hat.

Vorgestern ein kleines Gedicht geschrieben, das ich Dir nun zusammen mit dem Londoner abschreibe. Ich habe das Gefühl, daß ich jetzt, wo ich entschlossen bin, mir die Welt so weit wie nur möglich vom Leibe zu halten, besser weiterkommen kann. Aber drei bis vier Wochen werde ich wohl noch brauchen, um deutlich zu sehn, woran ich bin. Das Zimmer im Hotel möchte ich am liebsten aufgeben, so häßlich ist es (und überdies auch teuer).

Von allen Bekannten habe ich nur den Père-La-Souris wiedergesehn: er ging gestern abend mißmutig über den Boulevard Saint-Germain, gekleidet wie immer, steifer grauer Hut und offener Hemdkragen, aber kein Mäuschen, das ihm über den Rockärmel huschte. Ja, Paris muß man sich ebenso erfinden wie alles übrige, sonst besteht es nicht.

Allein, allein, allein.

Zum Glück fand ich einen Brief vor, der mir die Ankunft meiner Freunde aus der Bretagne - Edgar Jené und dessen Frau - ankündigt.

Bei Claire Goll ein Brief von Rowohlt: Herr Ledig-Rowohlt hat die von mir übersetzte Elegie gelesen, sie gefällt ihm, kommt für das Programm des kommenden Jahres in Frage. Schön, wenigstens das.

Hannele, Liebes, sei ruhig, mach Dir keine großen Sorgen - kleine darfst Du schon ein bißchen - hab keine Schmerzen, überhaupt keine, und denk an mich

Dann kommt Paris zu uns beiden

Ich küsse Dich auf die Augen

Paul

[...] An Hannelore Scholz, Paris, Oktober 1951

Mein liebes Hannele,

diesmal sinds nur wenige Zeilen - der Gedanken sind mehr als der Worte, nimm also die Gedanken, ohne die Worte zu zählen.

Ich bin froh, daß Du die Operation hinter Dir hast, daß du schon Deine ersten Schritte gemacht hast! Die ersten Schritte - darf man Dich ein wenig darum beneiden? Neubeginnen ist immer schön, die Welt hat sich wieder ganz weit geöffnet: diesmal macht mans bestimmt besser als vorher. Das wollen wir denn auch versuchen, ja? Mach also bitte auch für mich ein paar erste Schritte - ich habe es wirklich nötig.

Gestern schickte ich an Bosquet eine weitere Abschrift der fürs "Lot" bestimmten Gedichte. Auch vier seiner eigenen Gedichte, die ich übersetzt habe. Werden wohl auch in der nächsten Nummer - wann? - erscheinen.

Von meiner Tante nicht eben gute Nachricht: sie ist krank, hustet, liegt viel zu Bett. Sie erkundigt sich immer nach Dir, weiß, daß Du operiert wurdest.

Bei mir nicht viel neues. Tasten.

Hannele, Zimmer gibts hier im Quartier nur à la journée, von 450 Frs aufwärts. Nach zwei bis drei Monaten ermäßigte Preise. Entscheidungen können also nur an Ort und Stelle getroffen werden.

Diesmal - endlich, verzeih - das Studienprogramm der Civilisation Française.

Mein liebes Hannele, komm sobald Du kannst. Aber komm nicht ehe die Ärzte es Dir erlauben. Nicht vorschnell handeln, ja? Es ist vielleicht doch ratsamer, Du bleibst noch ein Weilchen unter Beobachtung - dann schlagen unsre Herzen ruhiger und die weiße Wolke kommt, um zu bleiben.

Ich umarme Dich

Paul

An Hannelore Scholz, Paris, 19. oder 26. 10. 1951

Paris, Freitag abend.

Mein Liebstes,

ich habe nun sehr lange gesäumt und muß mich schämen! Verzeih. Die Gedanken waren jedoch immer bei Dir, und Du weißt es. Ich war in Sorge um Dich, weil ja auch Du nicht geschrieben hattest und darüber häuften sich die Tage, weil ja die Briefe sich nicht häufen wollten. Aber nun bist Du bald da, in zwei Wochen bist Du hier, in zwei Wochen wirst Du merken, daß Du garnicht fortgewesen bist.

Die Wolke, die weiße Wolke über dem Boulevard des Battignoles, am Vorabend unserer Englandreise - sie ist das Zeichen, das helle, an dem die Nacht ihren Sinn errät, an dem sie uns, an der wir sie erkennen.

Heute morgen, um acht Uhr, klopfts an der Tür - qui est-ce? - Hedwig Wagner von Wien. Ich öffne, ein junges Mädchen, ländlich-bäurisch, mit einem Riesenpaket: von Klaus Demus, von meinem lieben, guten Kläuschen und von seiner Nani. Eine Riesenschachtel mit Bäckerei und zwei Bücher (Griechische Übungsbücher). Und die Hedwig Wagner ist eine Freundin der beiden, Malerin, Klaus hat ihr meine Gedichte gezeigt. - Auch sonst gute Nachricht. "Wort und Wahrheit" (Kathol. Monatsschrift) bringt zwei Gedichte von mir, Dr. Schönwiese vom Rot-Weiß-Rot-Sender bringt Gedichte.

Bosquet hat die Gedichte fürs 'Lot' an Koval geschickt. Ihm, Bosquet, gefallen sie gut.

Von Herrn Enziger ist Post gekommen! Und eine Dose "echter" Münchner Hausbäckerei. Nebst herzlichen Grüßen an Fräulein Scholz! Ob sie noch in Paris ist. Ja, in zwei Wochen, dann schreibt sie ihm einen schönen Gruß, ja?

Liebes, ich habe Kummer mit dem Zimmer: 10 000 im Monat ab ersten Nov.! Die reine Beutelschneiderei, ich war ganz außer mir und wäre beinah grob geworden. Jetzt heißts ein Zimmer finden, wahrscheinlich privat.

Liebes, komm doch bald! Ich winke Dir jetzt vom Balkon hinunter, und die Tür ist offen

Paul

Gleichzeitig - verzeih die Säumigkeit! - die Zeitungen

Alle fünf Briefe an Hannele sind enthalten in Paul Celan: "etwas ganz und gar Persönliches". Briefe 1934-1979. Ausgewählt, herausgegeben und kommentiert von Barbara Wiedemann. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 1286 Seiten, 78 Euro. Der Band erscheint am 16. Dezember.

© SZ vom 11.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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