Süddeutsche Zeitung

Brian De Palma wird 70:Alles außer Kontrolle

Mit Filmen wie "Carrie" und "Dressed to Kill" galt Brian De Palma lange als Schmuddelkind - weil er die Wonnen der Schaulust im Film zu seinem Thema machte. Der Schock wirkt bis heute.

Fritz Göttler

Viele Jahre galt er als der fiese Peeping Tom des amerikanischen Kinos, mit seinen ekstatischen, alles penetrierenden Thrillern der Siebziger und der frühen Achtziger. Ein Schmuddelkind - weil er, konsequenter und unverfrorener noch als sein Meister Hitchcock, das Voyeuristische im Film zu seinem Thema machte, die Wonnen der verpönten Schaulust, aber auch all die Obsessionen und Leiden, die sich daraus für den schamlos Schauenden ergeben.

Er hat dafür den Split-screen im Kino durchgesetzt, in dem halbe-halbe ein Subjekt zusammengebracht wird mit dem Objekt seiner Begierde. Mit einer unfasslichen Mischung aus Eleganz und Emphase, der man sich auch heute nicht entziehen kann, die manchmal auch sehr komische Seiten hat, in seinem bislang letzten Film zum Beispiel, "Redacted", einer bösen Realsatire aus dem Irak, über die Selbstdarsteller des Krieges.

Von Anfang an stand Brian De Palma im Kreuzfeuer der politisch Korrekten, der Feministinnen oder der engagierten Filmkritiker, an der Spitze Pauline Kael. Seelenlosigkeit, Monomanie, Misogynie warfen sie ihm vor, wenn er Frauen der Vergewaltigung durch Männerblicke aussetzte oder Attacken mit Rasiermesser und Drillbohrer, wenn er Frauen exzessiv Rache nehmen ließ, Sissy Spacek als "Carrie" etwa, nachdem ein Kübel Schweineblut sich über sie ergossen hat, in der gleichnamigen Stephen-King-Verfilmung. Sex ist erschreckend, sagt De Palma. "Sex ist außer Kontrolle. Liebe ist außer Kontrolle. Seine Gefühle in den Händen eines anderen zu sehen ... Es ist in der Natur der Liebe, außer Kontrolle zu sein."

Als Regisseur reagiert er darauf mit extremer Kontrolle, ein Puppenspieler, der sich über die Misere seiner Puppen mokiert. Sein "Dressed to Kill" hat brutal wie wenige Filme sonst die Achtziger verstört - eine Kinowelt, die wirklich meinte, nach Buñuels "Andalusischem Hund" und Hitchcocks "Psycho" die Mechanismen des Kinoterrors im Griff zu haben. Der Schock wirkt bis heute. "Dressed to Kill" ist ein Stück großbürgerliches Elendskino, der Film folgt dem desperate housewife Angie Dickinson durch ihre freudlose, unbefriedigte Existenz, sie findet sich plötzlich im Museum of Modern Art wieder, angesichts von modernen Malereien, die ihre Leere mit ihr teilen. Sie lässt sich auf ein merkwürdiges Katz-und-Maus-Spiel mit einem Unbekannten ein, landet in seinem Bett, findet beim Gehen dann ein ärztliches Attest über seine Geschlechtskrankheit. Im Fahrstuhl wird sie, eine Minute später, von einer schwarzen Frau massakriert, mit einem Rasiermesser.

Montage wie mit dem Skalpell

Sein Vater war Chirurg und hat den jungen Brian oft zur Arbeit mitgenommen - man hat damit gerne De Palmas kalte, kaltblütige Inszenierung zu erklären versucht, diese Montage wie mit dem Skalpell. Am spannendsten ist, wenn die sich reibt am Stil der Mitarbeiter: Paul Schrader und sein hitziges Script einer Vater-Tochter-Liebe in "Obsession" (nach Hitchcocks "Vertigo"), Tom Wolfes grimmige Perspektive auf die Banker im "Fegefeuer der Eitelkeiten". Bei all dem großen Dekor, bei all dem Drive, den diese Filme entwickeln, hat De Palma nie sein Interesse für die unteren Klassen verhehlt - die kleinbürgerlichen FBI-Leute, die gegen die großkotzigen Mafiosi ermitteln in "The Untouchables", der Drogenkönig "Scarface", der seit langem Kult ist bei den Rappern und Latinos in L.A. oder bei den diskriminierten jungen Arabern in der Banlieue von Paris.

"The Responsive Eye" heißt ein früher kleiner Film über eine Vernissage im MoMA, in dem auch die Museumsleute William Seitz und Rudolf Arnheim Auftritte haben. Bei De Palma sieht man, was Hollywood der neuen amerikanischen Kunst verdankt und was diese Hollywood, von Lichtenstein bis Alex Katz - Angie Dickinson sitzt vor einem seiner Bilder in "Dressed to Kill". Dieses Kino baut auf die Abstraktion wie die moderne Kunst, die Psychoanalyse. Dieser Mann ist der einzige Filmemacher, der eine Geburtstagstorte mit einem riesigen Messer daneben inszeniert, das zum Zupacken quasi nötigt. In diesem Sinne, happy birthday, Brian De Palma.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.998477
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 11.09.2010/kar
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.