Süddeutsche Zeitung

Opernfestival:Blitz über dem Bodensee

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Die Bregenzer Festspiele eröffnen mit Giacomo Puccinis bitterer Liebestragödie "Madama Butterfly" auf der Open-Air-Bühne. Alles ist wunderbar. Dann vertreibt ein Wolkenbruch die Zuschauer ins Festspielhaus.

Von Egbert Tholl

Ein Blatt Papier liegt im Bodensee, es ist ein bisschen zerknittert und hat Falten, es hebt sich gen Himmel, ist 1340 Quadratmeter groß, wiegt 300 Tonnen und wirkt doch federleicht. Auf dem Papier erkennt man Zeichnungen von Bergen und Bäumen, links oben Schriftzeichen. Michael Levine hat sehr hübsch seine Fantasie der gewaltigen Vergrößerung einer japanischen Tuschezeichnung in den See gebaut. Das ist so imposant, wie es hier sein muss, denn die 7000 Zuschauer pro Aufführung wollen begeistert und überwältigt sein. Doch egal wie verführerisch das Licht von Franck Evin diese Bühnenlandschaft wandelt und plastisch werden lässt, egal wie effektvoll das Video von Luke Halls die Geister der Ahnen in dieser Landschaft bedrohlich auferstehen lässt - gegen die Natur hat die Kunst wenig Chancen. Das erste "Wow" entlockt dem Publikum ein imposanter Blitz über den Bodensee.

Die Bregenzer Festspiele eröffnen in diesem Jahr mit Giacomo Puccinis "Madama Butterfly" als Spiel auf dem See, befreit von jeglichen Corona-Beschränkungen, 250 000 Zuschauer werden insgesamt erwartet, 200 000 allein für die bereits ausverkaufte "Butterfly". Tatsächlich ist die Premiere zunächst die Wiederkehr eines großen Kulturfests, die Stimmung ist aufgekratzt, selbst das Wetter spielt erst einmal mit. Das Wetterleuchten über dem See verstärkt die Dramatik der Handlung, Blitze gehen nieder, aber anfangs nur ein leichter Schauer über der Spielstätte. Dieser führt zu einem großen Geraschel der verschiedenen Regenhäute, was eine Szene von Goro, dem Heiratsvermittler, untergehen lässt. Was nicht weiter schlimm ist, den Goro ist meist eine nervige Figur, hier auch, ein traditionell japanisch gewandeter Clown in Gestalt von Taylan Reinhard.

Regisseur Andreas Homoki, Intendant der Zürcher Oper, hat eine Idee. Diese besteht darin, dass Pinkerton, der amerikanische Offizier, in eine Welt hineinstolpert, die er nicht versteht, nicht verstehen will. Ihn interessiert nur sein eigenes Amüsement, bestehend aus der Heirat mit einem 15-jährigen Mädchen, genannt Cio-Cio-San, wobei Heirat nur ein Etikett für eine halbwegs legitimierte Affäre ist. Dieser Pinkerton tritt so auf, dass er ein paar Löcher in das Bühnenbild, also in die alte japanische Zeichnung reißt, deren Wert ihm völlig egal ist. Breitbeinig steht er auf den filigranen Bildern herum, tönt vom Lob Amerikas, aus einem der Löcher wächst wie die Erektion eines ignoranten Eroberertums ein Flaggenmast in die Höhe, die US-Flagge flattert so wie mittlerweile die Regenhäute auf den Köpfen der Zuschauer.

Die große Arie der Cio-Cio-San, die Arie der Hoffnung auf die Wiederkehr des vermeintlichen Gatten, gelingt anrührend schön

Blöd nur, dass dieser Pinkerton tenormäßig gar nichts Imposantes an sich hat, dass sich Edgaras Montvidas mühevoll durch die keineswegs überbordenden Anforderungen seiner Partie ackert. Ihm zur Seite steht als menschliches Korrektiv der Konsul des Brian Mulligan, eines herrlichen Sängers. Und drumherum gibt es Japan, wie es Homoki sich vorstellt: eine Polonaise von Geishas, ein geisterhaft maskierter Statistenchor (Kostüme: Antony McDonald). Butterfly trippelt in kleinen Schrittchen, ihre Vertraute Suzuki ebenso. Das ist nur dann erträglich, wenn man annimmt, Homoki wolle damit Pinkertons Sicht auf eine ihm fremde Kultur ausstellen. Nähme man es als Haltung des Regisseurs, wäre man äußerst verwundert.

Aber es klingt gut. Sämig herrlich spielen die Wiener Symphoniker unter Enrique Mazzola, die Soundanlage gibt ihr Bestes, man ist in einem riesigen Konzertsaal ohne Dach. Und Barno Ismatullaeva, die weiß geschminkte Butterfly, hat einen lyrischen Zauber. Die große Arie der Cio-Cio-San, die Arie der Hoffnung und des Ersehnens der Wiederkehr des vermeintlichen Gatten, gelingt ihr anrührend schön. Und gerade noch rechtzeitig. Denn dann wanzt sich eine Regenfront heran, die Aufführung wird abgebrochen, nur 1700 der 7000 Zuschauer ziehen ins Innere des Festspielhauses, um die Fortsetzung eine Stunde lang als konzertante Oper zu erleben.

Nicht, dass Homokis Inszenierung zuvor sehr viel mehr gewesen wäre, jetzt aber hat man den Eindruck, einer Orchesterprobe beizuwohnen. Die auf der Seebühne nötig großen Gesten der Solisten werden zu einer Art Stummfilmgroteske, musikalisch verbietet sich ein weiteres Urteil, weil ja alles auf das Spiel auf dem See hingeprobt ist. Und dort draußen hat es ja funktioniert.

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